Schlechtes Klima im Revier

Polens Steinkohleregion im Strukturwandel

Bergarbeiter einer Kohlenmine, die geschlossen werden soll, starten im polnischen Bytom am 17.11.2003 einen 24-stündigen Warnstreik gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze.
Streikende Bergarbeiter vor einer von der Schließung bedrohten Kohlenmine in Bytom im Süden Polens © picture-alliance / dpa / Koszowski
Von Ernst-Ludwig von Aster · 18.02.2016
Die Zahl der Kumpel in den polnischen Zechen sinkt immer weiter. Weil die eigene Kohleförderung teuer ist, importieren die Energiekonzerne Polens den fossilen Brennstoff lieber. Im oberschlesischen Revier sorgen sich die Menschen um ihre Zukunft - ohne die Steinkohle.
Mit kräftigen Händen packt der alte Bergmann die verbeulte Schubkarre, schiebt sie über den holprigen Hof der Zeche. Glänzende Stahlrohre ziehen sich an verrußt-roten Backsteinfassaden entlang, eine rostige Metalltreppe führt ins Verwaltungsgebäude. Gleich daneben wartet eine Reihe gelber Abfallcontainer. "Stadtreinigung Gelsenkirchen" steht auf einem Modell, "Stadtreinigung Dresden" auf einem anderen. Müll-Container-Export aus deutschen Bergbaugebieten, ins polnische Bytom, der alten Steinkohlestadt in Oberschlesien. Der Bergmann greift zur Schaufel, schippt Kehricht in den Gelsenkirchen-Container.
Jaroslaw Greszik kommt über den Hof. Ein massiger Mann: Über 1,90 m groß, Jeans, blaue Lederschuhe, weißes Hemd, blaues Jackett. Am Revers glitzert ein kleines Solidarnosc-Abzeichen:
"Es stimmt einfach nicht, dass der polnische Kohlebergbau auf Kosten der Allgemeinheit lebt. Natürlich gibt es gerade eine Krise. Es gibt Finanzlücken bei einzelnen Zechen. Das ist aber vor allem eine Folge der mangelhaften Unterstützung."
Als Greszik hier vor knapp 30 Jahren anfing, gab es in Polen noch mehr als 70 Steinkohlebergwerke, heute sind es noch 34. Die Zahl der Bergleute schrumpfte von 300.000 auf 100.000. Heute arbeitet Greszik im letzten Bergwerk von Bytom. Und auch dem droht die Schließung.
Die Regierung in Warschau ist heute das Bergbau-Unternehmen Nummer eins Polen. Eine Staatsholding, die Kompania Wenglowa, und diverse Beteiligungen an polnischen Energieunternehmen garantieren ihren Einfluss in den Zechen.
Mit jedem Arbeitgeberwechsel schrumpft die Belegschaft
"Die Adresse meiner Arbeitsstelle hat sich eigentlich nie geändert", erzählt Greszik. "Es war immer Zeche Bobrek Zentrum, Straße der Verfassung, Bytom".
Nur die Namen der Arbeitgeber wechselten: Mal war es die Bytomer Vereinigung für Steinkohle, dann das Kohlekonsortium Bytom, dann das Kohlenkonsortium Nord, dann die Kompania Wenglowa, die staatliche Kohleholding. Aber mit jedem Arbeitgeberwechsel schrumpfte die Belegschaft.
Im Besprechungsraum warten der Bürgermeister von Bytom, der Arbeitsdirektor der Zeche, der Chef des Sozialamtes. Krisensitzungen sind für sie seit Jahren Routine. Die Arbeitslosigkeit in der 175.000 Einwohnerstadt liegt bei über 20 Prozent. Und damit fast doppelt so hoch wie im Rest Oberschlesiens. Fast zwei Drittel der Menschen ohne Job sind in Bytom Langzeitarbeitslose.
"Die Regierung hat einfach keinen Plan für die der Zukunft der polnischen Energie- und Rohstoffwirtschaft. Es gibt nichts, womit die Kohlegesellschaften arbeiten können. Es gibt keine Analysen, keine Studien. Niemand weiß, wie viel Steinkohle Polen in zehn oder 20 Jahren braucht."
Nicken in der Runde. Früher gab es sechs Steinkohlebergwerke in Bytom, zwei Kraftwerke, zwei Eisenhütten. Heute gibt es nur noch die Zeche Bobrek Centrum. Mit über 3000 Beschäftigten ist sie immer noch der größte Arbeitgeber der Stadt. Anfang 2015 kündigte die alte Regierung an, das Bergwerk zu schließen. Aus Rentabilitätsgründen. Elf Tage lang hielten Greszik und seine Kollegen die Zeche besetzt:
"Alle sagen immer, dass der Bergbau verhasst ist. Dass wir zu viel verdienen, dass wir zu viele Privilegien haben, dass wir die Umwelt zerstören. Aber als wir im Januar gestreikt haben, da haben uns alle hier in der Region unterstützt. Bei unseren Protesten waren wir eine große oberschlesische Familie."
Russisches Preisdumping macht Probleme
Die Kohle-Familie in Oberschlesien. Sie hat sich noch einmal durchgesetzt. Die Regierung knickte ein. Darum wird in Bytom jetzt mal wieder umstrukturiert. Und Greszik bekommt mal wieder einen neuen Arbeitgeber. Der heißt jetzt Wenglo Koks und ist nach wie vor in Staatsbesitz. Wieder einmal schrumpft die Belegschaft. 500 Bergleute gehen in den Vorruhestand oder nehmen 20.000 Euro Abfindung.
"Die meiste Steinkohle, die heute nach Mitteleuropa importiert wird, kommt aus Russland. Sie wird aus Sibirien über tausende Kilometer herangekarrt. Wenn man sich die Transportkosten anschaut, dann ist diese Kohle viel zu billig. Sie wird zu Dumpingpreisen angeboten. Und das geht auf Kosten der polnischen Kohle. Aber wir können das Dumping nicht beweisen. Kein Land unterstützt uns. Alle haben nur Interesse an billiger Kohle aus Russland."
Aus Russland kommt billige Kohle. Von der Europäischen Union kommen Klimaschutzvorgaben. Beides trifft die polnische Steinkohle.
Gut zehn Kilometer weiter, in Zabrze, eilt Dr. Jaroslaw Zulawa durch alte Backsteinhallen. Großgewachsen, schlank, graumeliertes Haar, eleganter Anzug, mit Einstecktuch in der Brustasche, einen geschlossenen Regenschirm in der Rechten - der Ingenieur wirkt ein wenig, wie ein Lord auf Landtournee. Nicht wie ein Techniker, der daran arbeitet das Image der polnischen Steinkohle zu verbessern. Mit Millionen-Unterstützung aus der EU suchen Zulawa und seine Kollegen am Zentrum für saubere Kohletechnolgien nach neuen Nutzungswegen für den alten Energieträger
"Nein, in meiner Familie gibt es keine Bergbautradition", sagt der Mittvierziger: "Und ich hatte eigentlich auch gar nichts mit Kohle zu tun."
 Braunkohle-Kraftwerk Turow in Polen
Braunkohle-Kraftwerk Turow in Polen© picture alliance / CTK / Radek Petrasek
Zulawa ist Ingenieur, spezialisiert auf Energietechnik. Vor zehn Jahren kam er ans Institut. Zu dem Zeitpunkt, als Polen und seine Kohlepolitik international am Pranger stand. Kein europäisches Land setzt so stark auf den fossilen Energieträger, mehr als 80 Prozent der Elektrizität wird in Polen aus Kohle erzeugt. Als Klimakiller Nummer eins brandmarkten dann auch Umweltschützer die polnische Regierung.
"Unsere grüne Geschichte begann vor zehn Jahren. Wir waren das erste Institut, das den Energieerzeugern half, Biomasse in ihren Verbrennungsanlagen zu verfeuern. Zuerst noch zusammen mit Kohle. Heute verfeuern sie oft nur noch Biomasse."
Eine Biomasse-Offensive mit Schwierigkeiten
Mit der Biomasse-Verfeuerung im großen Stil wollte die polnische Regierung die EU-Vorgaben zum Klimaschutz einhalten. Dabei setzte sie auf die Mithilfe der Landwirte, die sollten auf ihren Äckern die nötigen Energieträger produzieren. Doch die Bauern verdienten lieber ihr Geld mit der Lebensmittelproduktion. Nun müssen die polnischen Kraftwerke Biomasse aus dem Ausland importieren. Aus Russland, der Ukraine, aber auch aus Asien und Afrika:
"Die Energieerzeuger verfeuern sechs bis sieben Millionen Tonnen Biomasse pro Jahr. Gleichzeitig haben die Zechen Probleme ihre Kohle loszuwerden. Bei ihnen liegen fünf bis sechs Millionen Tonnen auf Halde. Das ist Kohle sehr schlechter Qualität."
Zulawa tritt in die große Versuchshalle. Blitzende Kessel, Rohre, Messgeräte. Auf den meisten klebt ein Hinweis auf EU-Fördermittel. Eine Anlage zur CO2-Abscheidung, eine zur Gasifizierung, eine zur intelligenten Verkokung, eine zur Biomasse-Verbrennung. Ein Groß-Labor der Verbrennungstechnologie.
"Wir Ingenieure sind hier in einer sehr komfortablen Situation. Denn wir müssen nicht über die Preise nachdenken. Wir kümmern uns nur um die Effizienz der Verbrennungsprozesse. Kosten und Preise, das ist die Angelegenheit der Politiker. Und nicht der Ingenieure."
Die EU macht Druck auf Polens Regierung
Fest steht, dass sich die polnische Regierung bewegen muss. Denn die EU macht Druck. Eine Richtlinie verpflichtet zur CO2-Reduzierung, eine andere schreibt einen bestimmten Anteil von erneuerbaren Energien am Energiemix vor.
Gut 50 Kilometer südöstlich, in Jaworzno, rangiert ein großer Kipper über den schwarzschlammigen Zechenboden. Der Fahrer blickt kurz in den Rückspiegel, lässt eine Besuchergruppe vorbei. Betriebsleiter Wojciech Kaminski stapft vorneweg, ganz hinten geht Magdalena Rusinek. Sie ist die Sprecherin von Tauron. Das ist der zweitgrößte polnische Energiekonzern.
Im Zulieferschacht warten drei Hängegondeln auf den Einsatz, einige Baumstämme müssen unter Tage transportiert werden. Stolz rattert Betriebsleiter Kaminski die Zahlen herunter: 10 Kilometer Fahrweg, bis in 800 Meter Tiefe, 2.200 Bergleute sind unter Tage im Einsatz, über der Erde noch mal 800:
"Unsere Lagerstätten können wir noch bis zum Jahr 2060 ausbeuten. Gerade bauen wir einen neuen Schacht, der soll den Betrieb für die nächsten 50 Jahre sichern. Als Tauron-Gruppe verfügen wir insgesamt über fast drei Milliarden Tonnen Kohle. Wir hier im Bergwerk haben rund eine Milliarde Tonnen, die wir fördern können.
Es kommt auf die Förderkosten an
Nach dem Rundgang präsentiert Magdalena Rusinek die Firmenstrategie. Die Tonne Steinkohle holt Tauron hier für 230 bis 250 Zloty ans Tageslicht, für rund 60 Euro. Die Kompagnia Wenglowa, der rein staatliche Kohle-Konzern, muss fast doppelt so viel aufwenden. Eine günstige Abbausituation und moderne Fördertechnik, das macht den Unterschied. Und dass Tauron die Kohle gleich in seinen eignen Kraftwerken verfeuert. Gerade errichtet das Unternehmen wenige Kilometer entfernt ein neues Kohlekraftwerk. Investiert fast 1,2 Milliarden Euro:
"Wir investieren in die Kohle. Und wir sind davon überzeugt, dass die Steinkohle in Polen generell eine Zukunft hat. Das ist nun einmal unsere Energiequelle Nummer eins, unser heimischer, natürlicher Energieträger. Es geht doch auch um die Energiesicherheit des Landes. Und deshalb investieren wir in Steinkohle."
Auch weil es die polnische Regierung so will. Die hält immerhin 30 Prozent der Anteile am Unternehmen. Und gegen ihren Willen läuft nichts. Das gilt auch für die drei anderen großen polnischen Energiekonzerne.
"Langfristig werden wir den Kohle-Anteil bei der Energieerzeugung reduzieren. Zugunsten anderer Energieträger. Wir betreiben auch noch 35 Wasserkraftwerke und vier Windparks. Und wir verfeuern Biomasse. Außerdem sind wir beim Bau des neuen Atomkraftwerks mit dabei."
Kohle und Kernkraft, Wasser- und Windkraft. Der polnische Energiemix. Da fällt es auch Fachleuten schwer, eine energiepolitische Richtung zu erkennen. Dr. Andrzej Ancygier beobachtet seit Jahren für die Organisation Cimate Analytics die polnische Energiepolitik:
"Ich bin immer neidisch, wenn ich zu Konferenzen nach Deutschland gehe. Es wird heftig gestritten, wie wir die Ziele erreichen, was muss zuerst gemacht werden, welche Förderinstrumente müssen genutzt werden, wie das alles funktionieren soll, damit die Ziele erreicht werden. Ich bin neidisch, weil Deutschland Ziele hat. Wenn ich nach Polen fahre zu einer Konferenz, da hat man keine Ahnung, wo wir in 30,40 Jahren sein wollen."
Die PiS-Regierung setzt auf die Kohle
Und daran hat auch der Regierungswechsel nichts geändert. "Unabhängigkeit" und "Energiesicherheit" gehören nach wie vor zu den meistgebrauchten Begriffen der polnischen Energiepolitiker. Dass die verbindlichen EU-Klimaziele auch für Polen gelten spielt dabei in der Debatte kaum eine Rolle:
"Wir befinden uns auf einem Kollisionskurs mit der Kommission der Europäischen Union, wo wir doch die Politik der Karbonisierung fortsetzen werden. Was sich geändert hat ist, dass man bemerkt hat, es gibt keine Chance für einen Optout, vor den Wahlen hat man noch darauf gehofft, dass Polen sich von der Klimapolitik ausschließen - und trotzdem das Geld nehmen kann. Und trotzdem von Europa profitieren kann. Langsam kommt es an, nee, das geht nicht."
Der Vorsitzende der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit, Kaczynski, hält eine Rede in Warschau.
Jaroslaw Kaczynski , Vorsitzender der Regierungspartei PiS© picture alliance/dpa/EPA/Pawel Supernak
Die polnische Kohle würde Energie für die nächsten 200 Jahre liefern, sagte kürzlich Präsident Andrzej Duda. Und PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski forderte den Bau neuer Kohlekraftwerke. Derweil importieren die Energieunternehmen den fossilen Brennstoff aus dem Ausland – da ihnen die polnische Kohle zu teuer ist:
"Nicht nur Russland, auch die USA liefern immer mehr Kohle nach Polen, die Kohlepreise fallen auf der ganzen Welt. Kaum jemand investiert in die Kohle jetzt, dadurch positioniert sich die Regierung so, dass sie etwas verkaufen wollen, was eigentlich keiner mehr will. Und wo die anderen doch billiger sind bei der Herstellung, der Produktion, wie Russland, USA, Südafrika, Australien. Also irgendwann verbrennen wir Kohle aus Australien, und sagen, das ist der Pfeiler unserer Energieunabhängigkeit."
Der staatliche Kohlekonzern, die Kompagnia Wenglowa, wird so immer mehr zur energiepolitischen Hypothek. Während Millionen Tonnen unverkäuflicher Kohle auf Halde liegen, fördern die unrentablen Bergwerke weiter. Das aber kann auf Dauer nicht funktionieren, prognostiziert Andrzej Ancygier. Ein Dilemma für die nationalkonservative Regierung:
"Wie kann man die Kohleminen retten, ohne den Zorn der Europäischen Union auf sich zu ziehen, und diese Lösung hat man immer noch nicht gefunden. Man kann nur Kohleminen subventionieren, die geschlossen werden sollen. Und das Wort 'geschlossen' versucht man weiterhin zu vermeiden: Aber es ist klar, dass ein paar Kohleminen, die fast pleite sind, geschlossen werden müssen. Wie sagt man das den Menschen?"
Ende einer Bergmann-Tradition
In Bytom kommt Jaroslaw Greszik aus dem Verwaltungsgebäude der Zeche Bobrek-Zentrum. Schlaff hängen zwei Solidarnosc-Fahnen neben dem Eingang.
"In anderen Ländern haben Energie-Unternehmen jahrelang dafür gesorgt, dass Arbeitsplätze im Bergbau erhalten blieben. Bei uns dagegen beuten die Energieunternehmen den Bergbau regelrecht aus. Sie erzielen riesige Gewinne auf Kosten der Kumpel. Und der Staat ist sowohl Eigentümer der Zechen als auch der Energieunternehmen. Während die einen riesige Gewinne machen, nagen die anderen am Hungertuch."
Und darum wird Jaroslaw Greszik weiterkämpfen: gegen die Kohle aus Russland, gegen die Klimaschutzziele der EU. Auch wenn der alte Gewerkschafter ahnt, dass die Zeiten des Steinkohlebergbaus in Bytom zu Ende gehen:
"Wahrscheinlich bin ich der letzte Bergmann in unserer Familie. Mein Großvater war Bergmann, mein Vater war Bergmann. Ich bin Bergmann. Und mein Sohn hat leider im Bergbau keinen Arbeitsplatz mehr gefunden."
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