Schillers "Jungfrau von Orléans"

Ein explosiver Abend

Marine Le Pen bei einer Kundgebung des Front National am 1. Mai 2011 am Reiterstandbild der Jeanne d'Arc in Paris
Regisseur Mikaël Serre webt auch Marine Le Pen in sein Stück ein © dpa / picture alliance / Jb Le Quere / Maxppp
Von Tobi Müller · 17.12.2015
Regisseur Mikaël Serre bringt Schillers "Jungfrau von Orléans" im Berliner Gorki Theater auf die Bühne. Alles wirkt entzündet, meint Tobi Müller, es rumort und gärt auf der Bühne. Das Stück kommt angenehm komplex daher, kaschiert damit aber nur seine recht einfache Symbolik.
Das deutsche Theater hat in den letzten 200 Jahren schon viel angestellt mit Schillers "Jungfrau von Orléans". Johanna, das französische Hirtenmädchen, das zur Heiligen auf dem Schlachtfeld gegen die Engländer wird, gab es schon als Terroristin, als Feministin, als Rechte. Der deutsch-französische Regisseur Mikaël Serre zeigt alles zusammen, wie eine Geisterbahn des Regietheaters. Marina Frenks Jeanne kommt spät ins Spiel, wird aber sofort Instrument der anderen. Von Dunois (Till Wonka), der aus ihr das republikanische Heiligtum für den Front National baut – Dunois wird Marine Le Pen; von Bourgogne/Burgund, der bei Aleksandar Radenkovic zwischen der historischen Rolle und einem Flüchtling changiert, der am Ende französische Lieder des Islamischen Staates singt, die zum Töten aufrufen; von König Charles... aha: Charlie, Charlie Brown, Charlie Hébdo...
Alles ist entzündet an diesem Abend und will explodieren, sicherlich die Sprache, die sich berührt und schnell assoziiert. So weit, so französisch. Oder doch kalifornisch? Wo der Schiller gepimpt wird mit Texten, die uns die Aktualität des Mythos der heiligen Johanna einbläuen, wirkt der Abend mit der Zeit vergoogelt. Die Suchmaschine als zentrales Tool der Dramaturgie. Das wirkt zuweilen angenehm komplex, kaschiert aber die recht einfachen symbolischen Verhältnisse, die sich wiederholen. Auch hier wurden sie schon genannt: Burgund ist IS, Dunois ist FN, und am Ende ist Jeanne auch die Frauen aus Kobane, die sich alleine wehren. In der letzten halben Stunde dieser 90 Minuten flimmern zudem Bilder der jüngsten Pariser Terrornacht auf den drei Guckkastenwänden. Blaulicht, Polizei, Ambulanz, Angst, Tote. Wer er es noch nicht gemerkt hat: Der Islamische Staat ist die Entsprechung zum Front National, der Terror ein Symptom der französischen Fremdenfeindlichkeit.
In manchen Szenen sprüht der Humor
Auf der Leitartikelebene ist der Abend allzu überschaubar und gibt unfreiwillig den alten Theaterverteidigern recht, die diese blöde Gegenwart wegsperren möchten, am liebsten hinter einer Mauer, auf der dick und samtrot "Kunst" steht. Das ist schade, denn er hat zwei ziemliche Trümpfe. Einen überraschenden und einen nicht so überraschenden.
Das Gorki-Ensemble läuft besonders bei den Männern zu großer Form auf, wie man nicht erst seit gestern sehen kann. Die sind schnell, bleiben aber Teamplayer. Falilou Seck droht als König Charles, das Stück von vorne zu beginnen, und zwar auf Französisch, es spiele schließlich in Frankreich! Selbstverständlich sagt Seck auch dies schon in aktzentfreiem Französisch, sein französich-senegalesisch-deutscher Hintergrund wird erwähnt. Wichtiger ist aber, dass in solchen Szenen Humor sprüht, der vom Stoff aufgesogen werden kann.
Erstaunlicher ist, wie sehr dieser dozierende Abend doch spielerische Bilder findet, und zwar – noch erstaunlicher – gerade in den Schillerstrecken. Nur schon der Anfang, als sich der König und seine entmutigten Krieger beschnuppern, bedrängen, nicht mehr riechen können! Wonka, Seck und auch Aram Tafreshian, der später La Hire übernimmt, tänzeln an Ort. Gleichzeitig schwingt in "Ist das die Sprache eines Königs?" auch die Skepsis gegenüber der Sprache Schillers mit. Klar, die Metaphysik ist gestrichen, sie tritt höchstens in der Schwundstufe als Kritik an der Linken auf, die angeblich genauso universelle Werte fordere wie die Rechte. Doch den Dialogfuror der heißen Herzen nimmt Serre immer wieder auf. Fast verschämt und nie sehr lange zwar, aber lustvoll.
Mehr zum Thema