Schiller-Film

Der Dreck des Lebens an den Schuhen

Hannah Herzsprung (links, als Caroline von Beulwitz), Florian Stetter (Friedrich Schiller) und Henriette Confurius (Charlotte Lengefeld) in Weimar während der Dreharbeiten von Dominik Grafs Film "Die geliebten Schwestern".
Hannah Herzsprung (links), Florian Stetter und Henriette Confurius bei den Dreharbeiten in Weimar © dpa / picture alliance / Martin Schutt
Dominik Graf im Gespräch mit Britta Bürger · 26.07.2014
Zu Schillers Zeiten brachte die Lust, über Gefühle zu sprechen, "viel vielfältigere Ergebnisse und viel verrücktere sprachliche Ideen", meint der Regisseur Dominik Graf. Er hat aus einer Dreiecksbeziehung des Schriftstellers zu den "geliebten Schwestern" einen Film gemacht.
Britta Bürger: Die Einstiegsfrage ist die nach der Modernität der Dreiecksbeziehung, die Friedrich Schiller mit den Schwestern Caroline von Beulwitz und Charlotte von Lengefeld lebte, Modernität im Sinne von Gleichberechtigung.
Dominik Graf: Ach, das mit der Modernität ist immer so ein relatives Ding. Ich glaube, dass es zur damaligen Zeit relativ modern war, dass zwei klein-adelige, wenn auch verarmte Schwestern sich in einen sehr bürgerlichen Dichter verliebt haben und versucht haben, diese Liebe nicht nur geheim, sondern quasi dann auch öffentlich auszuleben. Also, die eine sollte ihn dann heiraten, weil die andere eben schon verheiratet war, unglücklich und aus Geldgründen. Und die drei haben eigentlich sich gegenseitig – da gibt es überhaupt keine Konflikte in dieser Beziehung am Anfang. Da gibt es nur Zueinanderhinwollen, den anderen lieben. Auch die Schwestern haben sich sehr untereinander geliebt. Keine Intrigen, keine Eifersucht. Und dann irgendwann zieht so plötzlich das – wie soll man sagen – das Leben irgendwie durch dieses Arrangement und behindert bestimmte Dinge, macht Sachen schwerer, Distanzen werden weiter. Die einen leben in Ludwigsburg, die anderen eben doch noch immer zurück in Rudolstadt. Und plötzlich kommt so, als würde man quasi vom Leben so den Dreck an den Schuhen haben, und der Weg zu der Utopie wird immer schwerer und mühsamer.
Bürger: Wir kennen Sie vor allen Dingen als einen Regisseur, der die dunklen Seiten der Gegenwart befragt. Jetzt also zurück ins 18. Jahrhundert. Was hat Sie über diese Ménage à trois hinaus interessiert an dieser Zeit?
Graf: Erst mal sehen vergangene Zeiten einfach besser aus als unsere Zeiten, also macht es mehr Spaß sozusagen, sich in solchen Umgebungen zu bewegen. Nein, es ist natürlich – da hat sicherlich auch meine persönliche Suche in der Vergangenheit nach Ausdrucksformen, nach Kommunikationsformen, wie Menschen Leidenschaft, Liebe, Konstrukte, also auch Liebeskonstrukte miteinander kommuniziert haben. Ich habe das Gefühl, dass die Lust, darüber zu sprechen, viel vielfältigere Ergebnisse hatte, viel verrücktere sprachliche Ideen, viel – wie soll ich sagen – also einen selber die Lust ans Wort, ans Verbalisieren von Gefühlen zurückgibt. Wir leben ja jetzt in einer Zeit, wo quasi das Bild den eindeutigen Vorrang hat vor dem Wort in gewisser Weise, was ich völlig falsch finde, und das tut dem armen Wort auch ganz schrecklich unrecht, weil wir können auch über Gefühle sehr gut miteinander sprechen. Und die konnten es dann teilweise, selbst wenn die Gefühle in dem Moment erst mal komplett neu waren, auch ziemlich gut natürlich.
Dominik Graf
Der Filmregisseur Dominik Graf © dpa / picture alliance / Martin Schutt
Bürger: Welche Überlegungen hatten Sie überhaupt zu historischem Film, ohne dass die Gefahr besteht, dass das jetzt in so einen Kostümschinken entgleist?
Graf: Ich glaube, das Schwierigste beim historischen Film ist dieses ständige Hinterfragen, was die Historie denn uns zu sagen hat und was da modern dran ist an dem, was man da erzählt. Man muss die Historie einfach auch mal Historie sein lassen. Das sind halt Menschen von vor mehr als 200 Jahren, das sind Menschen, die hatten andere Gefühlslagen, die haben sich anders geäußert, die hatten einen anderen Lebensrhythmus, andere Gefährdungen ihres Lebens. Und dieser – wie soll ich sagen – wenn man einen Film darüber macht, die sozusagen in unsere Zeitgenossenschaft zu zerren und all das, was wir als emotional empfinden, in diese Figuren hineinzustopfen oder es aus ihnen herauszuholen und dann bei jeder Gefühlsregung mit einer Steadycam auf die zuzurasen wie eine Neutronenbombe, das finde ich verfälschen. Und es war ein anderes Leben. Es war nicht so schnell, es war nicht so wirr, es war nicht so viel. Es war wesentlich langsamer, es war an vielen Stellen überlegter, aber es war immer auch vom Tod bedroht. Und irgendwie denke ich, dass man auch diese Kulissen irgendwie auch noch mal anders filmen kann als nur so Räume im emotionalen Sinn, sondern einfach nur als Flächen, ja, wie so Veduten, wissen Sie, also wo Menschen vor Hintergründen stehen. Weil ich glaube, die haben damals das Leben auch noch wesentlich unräumlicher oder zweidimensionaler empfunden als wir heute. Am Anfang weiß man eigentlich immer erst mal, was man nicht will. Und das, was man will, das kommt dann durch das, was man geboten bekommt von so wahnsinnig guten Mitarbeitern, wie ich sie dieses Mal wieder hatte. Das gilt für die Kostüme ebenso wie die Kamera und die Ausstattung.
Bürger: Sie selbst geben ja den Erzähler in dem Film, Sie sprechen den Erzählertext. Es ist keine anonyme Profisprecherstimme oder Schauspielerstimme. Davon geben Sie ja von sich aus schon mal einen heutigen Erzählton da rein. Nach was für einem Sound haben Sie aber in der Arbeit mit den drei jungen Schauspielern gesucht?
Graf: Die haben sich diese Texte auf unglaublich respektvolle und gleichzeitig auch so egomane Weise einfach rangezogen, die Dialogtexte. Wir haben lange geprobt mit diesen Texten, wir haben auch einiges geändert beim Proben, rausgeschmissen, verkürzt, noch einen Relativsatz weg. Ich hatte das Gefühl, dass am Ende jeder von den Dreien eigentlich dann doch seine eigene, persönliche Art hat. Also die Charlotte zurückhaltend, schüchtern scheinbar, und dann doch hinten so hartnäckig wie so ein kleiner Kirschkern. Und die Hannah, also die Caroline, zerrissen, fordernd, verzweifelt an bestimmten Stellen. Und Schiller halt immer doch mit diesem Impetus von: ich weiß, dass ich formulieren kann, und ich weiß, dass ich ad hoc mal hier irgendwie eine Rede halten kann, wenn es Not tut. Und nie um ein Wort verlegen, aber insgesamt doch nicht so ganz die Sturm-und-Drang-Bestie, die man so kennt oder vermutet aus den überkommenen Schiller-Bildern. Sondern eigentlich zu dem Zeitpunkt, wo die drei sich kennengelernt haben, ein ziemlich zurückhaltender und auch an sich relativ zweifelnder Mann.
Die Darsteller von "Die geliebten Schwestern" Hannah Herzsprung (links), Florian Stetter und Henriette Confurius
Die Darsteller von "Die geliebten Schwestern" Hannah Herzsprung (links), Florian Stetter und Henriette Confurius© dpa / picture alliance / Martin Schutt
Bürger: Sie haben schon neulich in einem Interview gesagt, man müsste vielleicht heutzutage viel mehr Filme machen, die, wie es immer so schön heißt, Deutschland nicht braucht, die der Markt nicht braucht. Heißt das auch, dass es Ihnen langsam auf die Nerven geht, vor allen Dingen in der Arbeit im Fernsehen immer schneller auf die Gegenwart reagieren zu müssen?
Graf: Ja, ich kenne diese Art von Bedürfnisfilmerei, dieses "Wir haben hier ein Thema, und das Thema muss jetzt irgendwie durchdekliniert werden, möglichst politisch korrekt und nach allen Ecken und Enden abgesichert". Das degradiert ja die Filmkunst zu einer irgendwie Argumentationsdeutschaufsatzkultur. Das ist katastrophal, aber das kommt natürlich auch – mein Gott, wir haben nicht mehr so eine riesige Filmindustrie. Die Filmindustrie ist subventioniert, die hängt von bestimmten Faktoren ab, die hängt von Konsensvorgängen ab, die durchaus schwierig sind und die auch rückwirkend auf die Filmkultur manchmal merkwürdige Entscheidungen treffen, aber das hängt eben damit zusammen, wenn sich zwölf Leute auf irgendwas einigen müssen und nicht nur ein Produzent, der so viel Geld hat, dass er sagt, da rein investiere ich, das möchte ich. Die Zeiten sind eben vorbei.
Bürger: Der Film kommt in drei Versionen heraus. Auf der Berlinale läuft die Original-, die lange Version, 170 Minuten. 140 kommen dann ins Kino und ein Zweiteiler ins Fernsehen. Warum lieben Sie die lange Fassung?
Graf: Ich bin im Kino selber jemand, der am liebsten Filme sieht, die länger sind als 150 Minuten, weil ich dann das Gefühl habe, hier erfüllt sich das Kino, das Versprechen, das das Kino einem gibt. Den Rest kann man im Fernsehen sehen gewissermaßen, das Kino selber muss auf seine Weise sozusagen die Stärken, die es hat, auch eben gerade in langen Filmen kann es die besonders auch unter Beweis stellen, finde ich. Auch die Länge der Emotionen, oft – die Länge der Wege, die Länge der Abläufe, die dann zu einer Emotion führen, machen erst die Tiefe aus. Und ich meine, ich habe ja auch schon kürzere Filme gemacht, aber in diesem Fall hatte ich auch den Eindruck – es ist ja auch die Länge der Zeit, die ich schildere. Also, von 1788 bis 1801 ist ein langer Weg in der Geschichte dieser drei. Was wir wissen an dem Film, ist ja, dass er nicht gut ausgeht an der Geschichte, weil Schiller irgendwann stirbt. Insofern wissen wir, wo es landet, aber wie es dahin zieht – es gibt so was wie einen ethischen Sog. Und den habe ich versucht, ob es mir gelungen ist, aber den hätte ich gerne hergestellt.
Bürger: Gab es in den vielen Liebesbriefen, die Sie gelesen haben und mit geschrieben haben, einen Satz, den Sie mal übernehmen werden in einem Liebesbrief?
Graf: Der lustigste ist eigentlich drin. Der ist aber berühmt. Das ist, wenn Schiller wieder zurück in Weimar ist, nachdem er diesen wunderschönen Sommer 1788 mit den beiden Damen hinter sich hat und dann den schönen Satz schreibt: "Die Mohammedaner verneigen sich nach Mekka, ich verneige mich täglich nach Rudolstadt und werde mir einen Schreibtisch kaufen, der in die richtige Richtung zeigt." Da spürt man so bei ihm so eine sonst bei ihm eigentlich gar nicht so bekannte Lockerheit und Lustigkeit. Einfach auch, dass er das Gefühl hatte, nach all diesen Krisen, die ihm da zuvor passiert sind, und diese Ängste, Lebensängste vor allem natürlich, als wäre er eigentlich gefühlsmäßig irgendwo angekommen. Der Satz hat mich immer sehr gerührt. Außerdem ist er wirklich relativ lustig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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