Schiller-Adaption

"Die Räuber" in der Finanzwelt

Maximilian Schell in einer Szene des Kinofilms "Die Räuber"
Maximilian Schell in einer Szene des Kinofilms "Die Räuber" © Jerzy Palacz/COIN FILM
Frank Hoffmann im Gespräch mit Susanne Burg · 14.03.2015
Die Regisseure Frank Hoffmann und Pol Cruchten haben Schillers "Die Räuber" neu verfilmt und in die Welt einer Bankiersfamilie des 21. Jahrhunderts verlegt. Das Familienoberhaupt spielt Maximilian Schell - seine letzte Rolle vor seinem Tod.
(Filmausschnitt) "Ich fühle eine Armee in meiner Faust. Tod oder Freiheit."
Susanne Burg: Karl Escher war drei Jahre in Haft – wegen Veruntreuung von Geldern. Nun wird er entlassen. So beginnt "Die Räuber", ein Film, wie es in der Unterzeile heißt, "sehr frei nach Schiller". Die beiden Regisseure Frank Hoffmann und Pol Cruchten verlegen die Geschichte zweier gräflicher rivalisierender Brüder in die Welt einer Bankiersfamilie des 21. Jahrhunderts. Karl Escher saß unschuldig im Gefängnis. Er hat die Vorwürfe auf sich genommen, um seinen Vater zu schützen, vermutet aber, dass sein Bruder Franz eigentlich hinter den Machenschaften steckt. Um sich zu rächen, nimmt er Kontakt zu einem Gangsterboss auf.
(Filmausschnitt) "Dir ist klar, dass du die Seite wechselst. Du musst alles aufgeben, deine Familie, deinen Vater. – Ich hab keinen Vater mehr."
Burg: In einem Studio in Luxemburg begrüße ich jetzt einen der beiden Regisseure, nämlich Frank Hoffmann. Und wenn Ihnen sein Name auch aus anderen Zusammenhängen bekannt ist, ist das kein Zufall: Denn er ist auch Intendant und Geschäftsführer der Ruhrfestspiele Recklinghausen. Guten Tag, Herr Hoffmann!
Frank Hoffmann: Guten Tag!
"Das Bewegende, das nur ein deutscher Autor haben kann"
Burg: Im Abspann des Films haben Sie geschrieben: Für meinen Vater, von dem ich gelernt habe, Schiller zu lieben. Herr Hoffmann, was haben Sie gelernt, an Schiller zu lieben?
Hoffmann: Die Beziehung zu Schiller ist eine sehr lange in meiner Familie. Mein Großvater, der Lehrer in einer Kleinstadt war, mein Vater, der Lehrer und Schriftsteller war, und ich - wir haben alle drei diese Vorliebe zu diesem großen deutschen Dramatiker von klein auf sozusagen gehabt. Ich bin damit groß geworden, vor allem mit den "Räubern", auch mit anderen Stücken von Schiller. Ich habe auch eines seiner unbekannteren Werke, "Demetrius", sogar zweimal inszeniert, einmal in Basel, einmal in Luxemburg und Mannheim. Also, das ist wirklich ein Autor, der mich immer wieder auf Schritt und Tritt begleitet, vor allem dieses Werk.
Schiller hat dieses Bewegende, das ganz Besondere, das nur eigentlich, würde ich mal so sagen als Nicht-Deutscher, das nur ein deutscher Autor haben kann, das Unbedingte, das Rastlose, manchmal auch das Klinische, das auf eine Richtung Hinweisende. Und das hat mich immer fasziniert.
Burg: Nun haben Sie es in die Welt einer Bankiersfamilie verlegt – wie kamen Sie auf die Idee?
Hoffmann: Es ist kein Sturm-und-Drang-Film. In den Bankiersfamilien wird vielleicht gestürmt und gedrängt, aber hinter den Kulissen und das sieht man an der Oberfläche nicht - so ist auch der Film zu verstehen. Ich habe eine Metapher gesucht und diese Metapher in der Bankenwelt, ob er in Luxemburg oder anderswo angesiedelt ist, ist eigentlich gar nicht so wichtig, aber in dieser Bankenwelt gefunden.
Familien sind komplexer als die Bankenwelt
Ich wollte eine Familie schildern, die in dieser Welt von heute lebt und agiert, in diesem 21. Jahrhundert, und die dennoch in einer langen Tradition steht. Und da bin ich wieder ganz nahe bei Schiller, und dadurch auch die Veränderung des Vaters, der eine ganz andere Rolle im Film spielt, als er das im Stück von Schiller tut.
Burg: Bei Schiller geht es ja auch in seinem Stück sehr stark um das Streben nach Freiheit, nach Recht und Moral. Karl sieht am Ende ein, dass er Unrecht getan hat, dass, wie er sagt, "zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten würden", und beschließt, sich der Justiz auszuliefern. Die Ordnung ist im Stück selber wiederhergestellt. Ist diese ganze Finanzwelt dann nicht doch eigentlich fast zu komplex, als dass man dieses Drama auf die Bankenwelt des 21. Jahrhunderts übertragen kann?
Hoffmann: Was ist komplexer als eine Familiengeschichte? Ich glaube, Familien sind viel komplexer, als die Bankenwelt es ist, auch wenn sie für den, der da doch nicht arbeitet, sehr undurchschaubar ist. Bei mir im Film ist der Schluss ein ganz anderer, eigentlich ein zutiefst, wenn man so will, unmoralischer Schluss, der vielleicht Schiller gar nicht gefallen hätte. Es heißt ja auch "sehr frei nach Schiller". Ich konnte dieser Bankenwelt nicht diesen grandiosen Schluss geben. Ich habe einen ironischen gewählt, einen bösen, den ich sehr viel richtiger für diese heutige Welt finde.
Die Karls von heute und vor allem die Franzens – wie soll ich das sagen –, die arbeiten ja in Büros und haben alle saubere Hände und haben alle tagsüber die Krawatten an und versuchen, so gut wie möglich, ihre Oberfläche zu schützen. Denn was drinnen vorgeht, das ist ohne Belang. Mich hat aber das interessiert, was innen vorgeht.
"Eine Welt, die sich nicht in den Spiegel schaut"
Es ist aber ein Film, der gar nicht versucht, diese großen Gefühle, die bei Schiller sind und natürlich auch im Film – die sind da, aber die sind wie eingefroren, aber man spürt, da ist etwas, aber es kommt nicht raus. Es darf nicht raus. Vielleicht ein- oder zweimal, aber es ist eine Welt, die sich nicht in den Spiegel schaut. Aber es ist in den Menschen, das wollte ich auch erzählen, und deswegen auch der Rückgriff auf Schiller, auch in diesen Menschen ist etwas, das blutet, das lebt. Also, das sind genauso Lebewesen wie diese Menschen des 18. Jahrhunderts bei Schiller es waren, nur sie trauen sich nicht, sie dürfen nicht, sie lassen das nicht raus. Und das hat mich interessiert, wie wir heute alles verstecken, alles verdrängen wollen und eigentlich nur – das ist vielleicht ein bisschen anders als in der Bank –, eigentlich nur Spaß haben wollen.
Burg: Also ist das für Sie im Grunde genommen auch symptomatisch für das 21. Jahrhundert: die Unfähigkeit, Dinge rauszulassen.
Hoffmann: Ja. Ganz genau. Wir reden über alles, alles darf geschildert werden – ich habe eine Frau vergewaltigt, und dann: ja, wieso, wie konnten Sie denn? – alles wird erklärt, alles wird rationalisiert. Aber was wirklich vorgeht, das wird nicht rausgelassen.
Burg: Haben Sie deswegen auch konsequenterweise Amalia nicht als Geliebte von Karl von Mohr erzählt, sondern sie in eine Schwester verwandelt?
Hoffmann: Genau. Amalia ist der dritte Teil der Dynastie, der Ruhrdynastie, die im Film Escher heißt. Sie ist, wie bei Schiller, vor allem Karl zugetan, lebt aber, und das ist auch wiederum wie bei Schiller, natürlich zu Hause in der Bank ist da sozusagen Frank ausgesetzt.
Maximilian Schell als Mr. Escher und Isild Le Besco als Amalia in einer Szene des Kinofilms "Die Räuber"
Maximilian Schell als Mr. Escher und Isild Le Besco als Amalia in einer Szene des Kinofilms "Die Räuber" © Jerzy Palacz/COIN FILM
Aber dadurch, dass es die Schwester ist, ist es nicht eine rein erotische Geschichte, sondern es ist vielleicht eine Geschichte auch über die tiefsten Beziehungen, die manchmal Menschen haben können. Das sind Beziehungen zu Schwestern, zu Brüdern. Diese beiden Brüder sind sich sehr nahe, auch wenn sie eigentlich nur gegeneinander arbeiten. Und die Schwester ist es ja eigentlich, die auch den Film durch ihre seltsam unbestimmten – man weiß nicht genau, wo sie hin will, und am Ende eigentlich doch ganz stark die Fäden in der Hand hält.
Burg: Dann ist ja auch noch da das Familienoberhaupt, Bankier Escher, gespielt von Maximilian Schell. Es war sein letzter Film, bei dem er mitgespielt hat. 83 Jahre war er damals. Es gab ja auch einige Nachtdrehs, was auch anstrengend klingt für einen 83-jährigen Mann. Wie sind Sie mit ihm umgegangen und seinem Alter und seiner Konstitution?
Hoffmann: Maximilian und ich, das ist eine Beziehung, die gar nicht so alt ist. Sie ist sieben, acht Jahre alt ist. Wir haben uns im Atelier des Malers Ben Willikens kennengelernt. Seitdem haben wir zusammen gearbeitet, über Projekte nachgedacht. Wir haben ein großes, schönes Theaterprojekt über August Strindberg gemacht, in dem er Strindberg selbst spielte.
Und dann habe ich ihn eines Tages auf der Alm besucht, auf der sehr schönen Alm in Österreich zwischen Graz und Klagenfurt, und habe ihn versucht zu überreden, zu überzeugen, doch noch einmal vor die Kamera zu treten. Er wollte das nicht mehr, er hat gesagt, nein, Frank, das ist jetzt vorbei, ich habe alles in meinem Filmleben eigentlich erlebt, was ich erleben konnte. Ich möchte nur einen Film, über Beethoven und Napoleon, über eine imaginäre Beziehung zwischen Beethoven und Napoleon drehen. Aber als Regisseur wollte er das machen. Und dann, wie gesagt, pilgerte ich eines Tages wieder mal auf die Alm und sagte, Maximilian, dieser Film, das musst du machen, Schiller, das ist dir so nahe. Und ich glaube, das waren auch die zwei Momente, Schiller und dann vielleicht auch die persönliche Beziehung zu mir, das Vertrauen, das ihn überzeugt hat, mitzumachen.
Maximilian Schell: Hinter der Bühne "fast ein Greis", auf der Bühne ein junger Mann
Er kam abends an beim ersten Dreh, es war Mitternacht um zwölf Uhr, 83 Jahre, natürlich sehr müde von der langen Reise. Und als Erstes sitzt er in der Maske, ich neben ihm, er hat immer gern die Hand gehalten, und dann gesagt, ja, guck mal, hier müssen wir in der Szene – gleich wurde natürlich über die Szenen diskutiert, was einen Schauspieler auszeichnet. Auch über den einen oder anderen Satz. Und dann ging er zum Set, und ich dachte, das kann ja nichts werden. Aber um vier Uhr war die Szene im Kasten. Und es war die große Abschiedsszene zwischen Sohn und Vater. Also, da sah man, was für eine Kraft in ihm stand. Das war im Theater auch so. Hinter der Bühne bewegte er sich, wenn man so sagen kann, fast wie ein Greis. Der Vorhang ging auf, und er hüpfte wie ein junger Mann.
Burg: Voller Energie. Ich musste auch so ein bisschen bei seiner Rolle an Marlon Brando im "Paten" denken. Okay, er ist nicht ganz so brutal, aber irgendwie hatte er wirklich so was "Familienoberhauptiges".
Hoffmann: Absolut. Das hätte ihm sehr, sehr gefallen, was Sie gerade sagen, denn er hat mir oft von Marlon Brando erzählt – die Anekdoten sind natürlich immer das Schönste – das war eine der großen Begegnungen seines Lebens, wie er in seiner schönen Biografie "Ich fliege über dunkle Täler" das erzählt.
Burg: Im deutschen Kino – ich mach mal einen Sprung – läuft noch der Oscar-Gewinner "Bird Man", bei dem Riggan Thomson, gespielt von Michael Keaton, als ehemaliger Superheld, Schauspieler ein Theaterstück inszeniert. In dem Film geht es auch sehr satirisch um das Verhältnis von Theatermachern zu Filmschaffenden und auch um, na ja, die Borniertheit von Theatermachern gegenüber dem Film. Sie, Frank Hoffmann, bewegen sich mit dem Film in die andere Richtung. Sie gehen ab und an vom Theater in die Welt des Films. Wie erleben Sie dieses Liebäugeln und auch diese Rivalität zwischen Theater und Film?
Film kann Dinge erzählen, die das Theater nicht erzählen kann
Hoffmann: Wenn Theatermacher eine Arroganz empfinden dem Film gegenüber und auf der anderen Seite die Filmleute ein Desinteresse am Theater haben, das zeugt auf beiden Seiten von einer großen Ignoranz. Das Theater ist ein fantastisches Medium, und der Film ist ein fantastisches Medium. Es ist nur so anders.
Ich habe gar nicht versucht, "Die Räuber" jetzt sozusagen eine Filmfassung des Stückes zu machen, das lag mir sehr, sehr fern. Das wäre kein Film dann geworden. Der Film kann was anderes als das Theater. Das Theater kann aber auch Sachen, die der Film nicht kann. Und das hat mich interessiert. Mich interessiert dann – also ich will dann im Film etwas erzählen, was ich im Theater nicht erzählen kann, und das ist etwas, wo ich wieder jetzt, nach diesen vielen Jahren, wo ich nicht im Film gearbeitet habe, jetzt habe ich wieder Blut geleckt und will auch weiter dabei bleiben. Ich liebe das Kino, kann ich nur sagen, aber ich liebe auch das Theater.
Burg: Frank Hoffmann, Intendant und Geschäftsführer der Ruhrfestspiele Recklinghausen, und zusammen mit Pol Cruchten hat er Regie geführt bei dem Spielfilm "Die Räuber", der am Donnerstag bei uns in die Kinos kommt. Vielen Dank fürs Gespräch, Herr Hoffmann!
Hoffmann: Vielen Dank, Frau Burg!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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