Schauspiel Frankfurt

Familiäre Pseudo-Idylle

Lukas Rüppel als Pauli in dem Stück "Helden"
Lukas Rüppel als Pauli in "Helden" am Schauspiel Frankfurt. © Schauspiel Frankfurt / Foto: Birgit Hupfeld
Von Natascha Pflaumbaum  · 21.12.2014
Judith und David verzweifeln an ihren spießigen Eltern, die wiederum gehen sich nur noch auf die Nerven. Regisseurin Mizgin Bilmen inszeniert am Schauspiel Frankfurt "Helden" von Ewald Palmetshofer. Ein Familienidyll, das nur darauf wartet, in die Luft zu fliegen.
In "Helden" erzählt Ewald Palmetshofer die Geschichte zweier junger Erwachsener, Judith und David, die am kleinbürgerlichen Spießertum ihrer Eltern verzweifeln. Vater Wolfgang, Journalist, hat ständig Stress im Büro, Mutter Doris, Lehrerin, beantwortet das mit ständiger Heulerei und passiver Gefolgschaft. "Familie" inszenieren sie als Pseudo-Idylle, in der sich alle gut verstehen müssen, in der es selbstverständlich keine Konflikte gibt, keine abweichenden Meinungen und erst recht keine persönlichen Fluchten geben darf. Man hat ja alles, was man braucht.
Die Kinder Judith (Paula Skorupa) und David (Carina Zichner) proben dennoch nachts den Aufstand. Sie spielen Revolution, werfen Molotowcocktails in Einkaufshäuser, quälen Menschen und gaukeln sich so als Spiderman und Catwomen ein heldenhaftes Leben vor. Denn ihre von allem Liberalismus unterdrückte Wut muss raus. Ihr Sadismus kennt keine Grenzen: eine Form von Wohlstandverwahrlosung, die mal in die Luft gehen müsste. Hier geht aber nichts in die Luft.
Eine Implosion der Wut
Die Regisseurin Mizgin Bilmen zeigt in ihrer Frankfurter Inszenierung, wie es doch zu einer Implosion der Wut kommt. Sie findet ein einprägsames Bild für die Familienhölle. Bilmen filmt Judiths und Davids Alltag in einem kleinen leeren Zimmer außerhalb der Theaterbühne mit einer Überwachungskamera aus einer Deckenecke heraus. In dieser Zimmerzelle ist nichts – außer wengefarbenes Laminat, auf dem sich Judith und David krümmen, winden, balgen wie Kinder.
Dieser Film wird 40 Minuten lang auf ein silberfarbenes Organzatuch in die Box, den kleinstkleinen Theaterraum des Schauspiel Frankfurt, übertragen. Lukas Rüppel als Nachrichtensprecher umspielt diese Filmfahne, so dass der Eindruck eines "begehbaren" Films entsteht. Erst als Catwoman und Spiderman zu ihren gefürchteten Aktionen antreten und den Schulkameraden Pauli malträtieren, kommen sie auf die Bühne.
Fragen über Liebe, Identität und Terrorismus
Ewald Palmetshofer zeichnet vordergründig das Psychogramm einer Familie als eine Traumatisierungsmaschine, die das Anders-Sein nicht verwindet und darum implodiert: Grauenvoll banale Alltagssituationen über das Essenkochen, über Sexualität gipfeln in großen Fragen über Liebe, Identität und Terrorismus. Sie wollen so gerne Helden sein, aber sie scheitern an ihrer eigenen Phrasendrescherei, an ihrer leeren Ideologie. Heldsein ist einfach nicht mehr zeitgemäß.
Mizgin Bilmen drängt diese Familiengeschichte, die der Schlüssel zu hohler Gewalt ist, in die Zimmerzelle. Dank Paula Skorupa und Carina Zichner – beide sind Mitglieder des Schauspiel Studios – wird aus der Sippenhaft ein beklemmendes Kammerspiel. Dazu kommt noch Kameramann Oliver Rossol, der dieses geschwisterlichen Sinnsuchedramas mit seiner wackeligen Schulterkamera über drastische close-ups in Szene setzt.
Alles gute Ideen, doch man hätte den drei Schauspielern diese Geschichte auch ohne Zimmerzelle und Film abgenommen. Film auf Organza verwischt so manche Mimik, die "live" noch eine viel stärkere Wirkung gehabt hätte.

Weitere Informationen zu dem Stück "Helden" finden Sie auf der Homepage des Schauspiel Frankfurts.

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