Schauspiel Frankfurt am Main

NSU im Ruhestand

Von Alexander Kohlmann · 07.02.2014
Was wäre wenn der NSU nicht erwischt worden wäre, sondern sich irgendwann zur Ruhe gesetzt hätte? Das ist die Leitfrage, die sich Lothar Kittstein für sein Stück "Der weiße Wolf" gestellt hat. Doch er verliert dabei die Opfer aus den Augen.
Irgendwo auf dem Land haben sich die Frau und einer ihrer Männer verkrochen. Sie ist schwanger und "viel schlanker", er hat sich ordentlich Fett angefressen und jobbt jetzt als Türsteher in einer Land-Disko. Ihre Ankunft hier draußen ist schon wieder so lange her, dass es für Verklärungen reicht: "Weißt Du noch, als Du am ersten Tag dem Schwarzen die Zähne raus geschlagen hast", fragt sie und er lächelt wohlig. Das Ganze findet realistisch gespielt in einem surrealem Bühnenbild statt (Bühne: Nehle Balkhausen).
Die beiden merken nicht, dass sie sich mitnichten auf dem Land, sondern in einer Art Gruft befinden. Komplett leer ist die unterirdische Bühne der Frankfurter Kammerspiele in Christoph Mehlers Inszenierung geräumt. Einer der Betonträger ist von der Decke gekracht und hängt quer über dem löchrigen Boden, auf dem das schwangere Paar seine Heimat gefunden hat.
Kein Klischee ungezeigt
Die Idylle wird gestört durch den Besuch von Tosch, dem dritten im Bunde, den beide seit Jahren nicht gesehen haben. Im langen, schwarzen SS-Mantel, schlank und mit fettigen Schulterlangen Haaren tritt der ehemalige Freund ein - und erinnert an die alten Zeiten. Er hat kein Kind und keine Frau bekommen, er will wieder auf die Reise gehen, im Wohnwagen, durch deutsche Landschaften. Wie die Erinnerung mittelalter Männer an ihre Uni-Band erscheinen die Geschichten, die er sich mit Gräck erzählt. Und auch Janine fängt wieder Feuer. Nur durch den Fluter gespenstisch von unten beleuchtend, verwandeln sich die drei zurück in das Horror-Trio, das sie einmal waren.
Dabei lässt der Text kein Klischee ungezeigt. Natürlich gibt es eine unausgesprochene homoerotische Anziehung zwischen den Kerlen, die sich heftig küssen im Rausch des Todes, den sie brachten. Natürlich hat die Frau mit beiden Sex, auch wenn sie den Dreier für beendet hielt - und deshalb von Tosch erstmal vergewaltigt wird.Während Gräck noch einmal das alte Auto mit dem Fuchschwanz ausprobiert.
Keine neuen Erkenntnisse
In ihren Erinnerungen näheren sich die beiden Jungs immer mehr der bekannten Realität, bis sie sich plötzlich mit roter Farbe übergießen und wieder in dem Wohnmobil befinden, in dem sie sich bereits vor vielen Jahren erschossen haben. Janine aber, wird wieder zu Beate, trägt jetzt keinen Disco-Fummel mehr, sondern das schicke, graue Gerichtsoutfit der Frau Zschäpe. Das Ganze war nicht mehr als eine alternative Realität, ein Fiebertraum der Angeklagten oder ein Paralleluniversum, wie es Serienfans aus der letzten Staffel von "Lost" kennen.
In jedem Fall eine gruselige Spekulation über das "Was wäre wenn?", die leider überhaupt keine neuen Erkenntnisse zum rechten Terror, zum NSU-Prozess oder zum Seelenleben der Angeklagten bringt. Die Faktenlage ist dürftig, über das Zusammenleben der drei Mörder nur wenig bekannt. In dieser Frankfurter Spekulation werden sie nun mit einer Bedeutung aufgeladen, die sie nicht verdient haben. Diejenigen, über die wir ungleich mehr wissen, spart der Abend dagegen komplett aus: Es ist eine voyeuristische Betrachtung der Täter, in der die Opfer nicht vorkommen.