Schatzkammer der Arten

Von Thomas Gith · 18.04.2010
Seit 200 Jahren werden ausgestopfte Vögel, konservierte Fische und auf Papier geklebte Käfer im Berliner Museum für Naturkunde gesammelt. Heute umfasst das Archiv rund 24 Millionen Objekte - und ist damit eines der größten seiner Art weltweit.
Die zoologische Sammlung im Berliner Museum für Naturkunde ist ein wahres Labyrinth: Es gibt unzählige Flure, versteckte Räume, schmale Treppen und abseits gelegene Säle. Ausstellungsleiter Peter Bartsch kennt sich in diesem Labyrinth gut aus.

Mit sicherem Schritt geht er voran - hin zu einem prominenten Teil der Sammlung: dem Schädelboden. Er schließt eine schwere Tür auf und tritt in einen niedrigen und schwach beleuchteten Raum. In dem unteren Teil eines Regals lagern mehrere wuchtige Schädel.

"Hier unten in den Schränken sind ganze Serien von Giraffenschädeln zum Beispiel untergebracht. Diese sind ja vorwiegend in kolonialer Zeit geschossen worden. Heute würde man so etwas ja überhaupt nicht mehr tun, aus Naturschutzgründen würde man es vermeiden, so große Sammlungen von Giraffenschädeln anzulegen. Deshalb ist dieses Material gerade für heutige Forschung so wertvoll."

Wissenschaftler benötigen diese Objekte für vergleichende Forschungen an heute lebenden Giraffen. Auf einem Tisch nebenan liegt der Schneidezahn eines Elefanten – ebenfalls aus der Kolonialzeit -, dahinter steht sein riesiger Schädel. Und auch in zahlreichen Schachteln lagern wertvolle Sammlungsstücke. Peter Bartsch schließt einen Schrank auf, zieht eine Pappschachtel hervor und öffnet sie vorsichtig.

"Das ist ein Orang-Utan-Skelett. Von einem kleinen Orang. Und solche Skelette werden bei uns oft zerlegt aufgehoben in solchen Schachteln, damit die einzelnen Skelettteile detailliert und separat auch untersucht werden können."

Bis heute nutzen Zoologen die Knochen und Schädel für anatomische oder auch morphologische Studien. Damit die Objekte dauerhaft erhalten bleiben, wird in der Lagerstätte streng auf Luftfeuchtigkeit und Temperatur geachtet. Genauso vorsichtig müssen die Wissenschaftler auch in einem anderen Teil der Sammlung sein: Dem Reich des Zoologen Johannes Frisch. Der Wissenschaftler führt durch einen lichten und rund fünf Meter hohen Saal.

"Das ist die Käfersammlung des Museums für Naturkunde. Es ist die größte Einzelsammlung hier im Hause mit etwa sechs Millionen Objekten, die in diesem Saal hier lagern. Wenn sie sich hier mal umschauen, in den Schränken befinden sich ausschließlich Käfer."

Rund 430.000 Käferarten haben die Zoologen bisher beschrieben. Johannes Frisch ist Experte für eine Gattung: Die winzig kleinen Scopaeus-Käfer. Der Zoologe öffnet eine Schranktür und zieht eine mit einer Glasplatte verschlossene Schublade hervor. Fein säuberlich sind auf weißem Untergrund einige hundert Käfer aufgeklebt. Für den Laien sind die Scopaeusarten nicht zu unterscheiden – und auch Johannes Frisch muss die Tiere erst unters Mikroskop legen:

"Ich kann die einzelnen Arten ohne Genitalpräparation nicht auseinander halten. Mit wenigen Ausnahmen muss ich die Käfer sezieren, um zu wissen, welche Art habe ich vor mir."

Denn oft unterscheiden sich die Arten nur durch die Form ihres Geschlechtsteils. Ihr detailliertes Studium veranschaulicht auch, wie reich die Biodiversität unseres Planeten ist. Seit nunmehr 15 Jahren beschäftigt sich Johannes Frisch mit der Gattung Scopaeus. Regelmäßig reist er in den Iran, um neue Exemplare einzufangen. Anschließend kommen die Käfer in die Sammlung. Welche Arten er gefangen hat, weiß er nicht. Um die zu bestimmen, sind Untersuchungen nach der Reise nötig. Und so lagern in den Glaskästen neben zahlreichen unbekannten Scopaeusarten auch abertausende weitere geheimnisvolle Käfer.

"Wir haben etwa 30 Prozent, ja, doch, etwa 30 Prozent von bislang unbearbeiteten Arten und noch viel mehr nicht abschließend bearbeiteten Käfern. Und das ist das eigentliche Gold in unserer Sammlung. Ich kann nicht abschätzen, wie viele wissenschaftlich unbeschriebene Arten in dieser Sammlung schlummern, die eigentlich entdeckt werden wollen."

Klein aber nicht weniger beeindruckend ist die Fischsammlung des Museums: Rund 135.000 konservierte Fische lagern in zahlreichen alkoholbefüllten Gläsern. Seezungen finden sich genauso wie Kugelfische, Haie, Schwertstöre. Viele der Exemplare stammen aus ehemals privaten Sammlungen, die bereits vor der Museumsgründung entstanden. Peter Bartsch:

"Die Sammlung hat ein hohes Alter, so ungefähr seit 1770, 1780. Die ältesten Exemplare haben hier dieses Alter und über diese lange Zeit sind die Tierkörper auch konservierbar in Ethanol."

Peter Bartsch demonstriert das an einer 150 Jahre alten Seezunge. Er schraubt ein Glas auf: Kopf, Flossen, Gewebe – alles ist noch bestens erhalten. Die Seezunge ist ein sogenanntes Typusexemplar – also ein Fisch, an dem eine Art erstmals beschrieben wurde. Objekte wie die Seezunge, aber auch die Käfer, Schädel und Knochen dienen sowohl für aktuelle Forschungen als auch für Referenzwecke: Denn der Bestand der zoologischen Sammlung ist auch ein Wissenschaftsarchiv, sagt Peter Bartsch.

"Wir sind ja kräftig dabei, die Sammlung auch zu digitalisieren. Also Katalogdaten und Labeldaten in Datenbanken aufzunehmen. Und das ist eben auch eine buchhalterische Tätigkeit die wir leisten. Eine Art Serviceleistung auch für die Wissenschaftlergemeinde. Das diese Exemplare gut registriert und zugreifbar sind."

Und noch eine weitere Herkulesaufgabe steht den Mitarbeitern der zoologischen Sammlung bevor: Noch in diesem Jahr werden sie samt den Objekten in neue Räume umziehen. In ihnen sollen die Schätze aus diesem Kabinett der Arten dann die kommenden Jahrhunderte überdauern.