Schallplatten-Pressen

Die zischelnde Zukunft der Vinyl-Industrie

Ein Mitarbeiter eines Plattenlabels prüft eine frisch gepresste Schallplatte in einem Presswerk.
Ein Mitarbeiter eines Plattenlabels prüft eine frisch gepresste Schallplatte in einem Presswerk. © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Von Andi Hörmann · 15.01.2016
Der Vinyl-Hype der letzten Jahre überlastet die Presswerke - auch weil es lange nur jahrzehntealte Maschinen gab. Eine deutsche Firma baut nun komplett neue - und beliefert damit auch das Label des US-Musikers Jack White. In der Werkhalle wird klar: Die Platten-Produktion hat einen ganz eigenen Sound.
Hat es nicht etwas Sinnliches, das sanfte Berühren mit den bloßen Fingerspitzen, wenn wir fast schon zärtlich eine Schallplatte aus der Hülle ziehen? Und dann dieser irgendwie intime Moment des Auflegens, wenn das Vinyl auf den filzbedeckten Plattenteller gleitet.
Knisternde Romantik der Musikliebhaber: Wie ein Neugeborenes hegen und pflegen sie ihr geliebtes Vinyl. Doch von der schweren Geburt der Schallplatte bekommt kaum jemand etwas mit. Und damit ist nicht der Zeugungsprozess − die Komposition im Studio − gemeint, sondern das Pressen der Musik auf den Tonträger. Das ist weniger romantisch, vielmehr technisch bis mechanisch − nüchtern, fast schon brutal.
"Mein Name ist Erwin Neubauer, Baujahr 1960, bin direkt nach der Schule in den Bereich Optical Disc gegangen − alles, was mit CD und DVD zu tun hat."
Im Jahr 2000 hat sich Erwin Neubauer selbstständig gemacht und sich ganz der Wartung von CD- und DVD-Produktionsanlagen gewidmet - in einer kleinen Halle im Industriegebiet in Alsdorf, einer etwa 50.000 Einwohner Stadt in der Nähe von Aachen.
"Da das ganze Business die letzten zwei, drei Jahre sehr ruhig wurde, hatten wir eigentlich immer geguckt: Was können wir Neues machen? Aber ich muss zugeben, Vinyl-Anlagen zu machen, darauf wäre ich eigentlich nie gekommen."
"Teilweise so wie ein Hundehaufen"
Erst die kalte CD, dann die warme Schallplatte: Eher wie die Jungfrau zum Kind ist Erwin Neubauer zur Vinyl-Presse gekommen. Damals, vor zwei Jahren, als sich sein ehemaliger Chef bei ihm meldete.
"Du, ich habe da ein Projekt, das ist ein Mann aus Singapur, der möchte Vinyl-Anlagen haben. Ich habe welche. Können wir die bei dir in der Halle überarbeiten und dann nach Singapur schicken? Und irgendwann haben wir gesagt: Pass auf, lass uns doch eine neue Maschine bauen, weil Second-Hand-Equipment gibt es immer weniger. Und so haben wir dann im letzten Jahr angefangen, eigene Maschinen zu entwickeln - aufgebaut natürlich auf der Technologie von damals. Wir müssen ja nichts neu erfinden, es muss funktionieren. Wir bauen das Alte wieder neu."
Newbilt Machinery heißt der momentane Fünf-Mann-Betrieb von Erwin Neubauer. Im Büro ein Sichtfenster in die gut 100 Quadratmeter große, etwa zehn Meter hohe Industriehalle: Auf Euro-Paletten stehen alte, ausgemergelte Vinyl-Pressen, die ein halbes Menschenleben auf dem Buckel haben - mannshoch, zwei Armlängen breit - als würden sie schlafen, wie ausgediente Roboter.
"Wir können mal reingehen. − Mit dem hat das Ganze angefangen. Das ist wirklich eine Handpresse von Finebilt aus den Jahren 1960, 1965 vielleicht. Wir haben aus einer Finebilt jetzt eine Newbilt gemacht und haben die mit neuer Technologie, mit neuer Hydraulik, mit neuer Steuerung komplett neu aufgebaut. Ein ganzes Set besteht im Prinzip aus vier Komponenten: zwei Pressen, ein Extruder und ein Hydraulik-Aggregat. Der Extruder macht den Vinyl-Cake. Sagen wir mal so: ein Vinyl-Kuchen. Das ist teilweise so wie ein Hundehaufen."
Autor: "Eine Handvoll Vinyl-Masse. Das ist heiß!"
Erwin Neubauer: "Ja, die kommt mit 150 Grad da raus. Und die wird dann ... Jetzt muss ich fragen: Kann ich kurz raus fahren, das Molde?"
Autor: "Ok, das sieht jetzt ein bisschen aus wie ..."
"... wie ein Waffeleisen. Auf Englisch wird es Book-Molde genannt, weil es sich aufklappt wie ein Buch. Hier legt also ein Bediener dann die Label ein, unteres, oberes Label, den Vinyl-Kuchen, drückt hier drauf, er fährt rein und presst eine Platte. Dauert ungefähr 36 Sekunden, dann kommt eine Platte raus."
Acht Monate Wartezeit für Indie-Label
Zehnmal so lang wie die Herstellung einer CD dauert das Pressen einer Vinyl-Platte − und diese Prozedur hat einen ganz eigenen Sound. Klingt ein wenig nach Hightech-Dampfbügeleisen oder nach dem Sound-Effekt experimenteller Pop-Musik - die vertonte Vergangenheit aus Industriegeräuschen, die zischelnde Zukunft der Vinyl-Industrie.
Erwin Neubauer: "Was mir Ende letzten Jahres verstärkt aufgefallen ist: Die Labels und die Firmen, die Vinyl die letzten 20 Jahre am Leben gehalten haben, dass die im Moment fast vor die Hunde gehen. Weil: Die bekommen keine Platten mehr gemacht. Jetzt steigen die Majors ein und die Majors belagern die Presswerke. Und das ist ja logisch: Wenn da ein Universal, ein Warner oder ein Sony ankommt, dann sind das natürlich die, die als erstes bedient werden. Und die kleinen, die mit 100, 200 oder 500 Platten ankommen − die fallen hinten runter."
Ganze acht Monate Wartezeit bedeutet das momentan für Indie-Labels, wenn sie bei einem Presswerk eine Kleinstauflage in Auftrag geben. Erwin Neubauer liefert mit seiner Firma "Newbilt Machinery" innerhalb von zwölf Wochen: ein nagelneues, hellblaues Vinyl-Press-System - so groß wie ein Pkw, für etwa 160.000 Euro. Also erst mal kalkulieren und bei aller Leidenschaft die Nadel auf dem Vinyl halten.

Mehr Informationen über das Unternehmen Newbilt Machinery auf dessen Webseite

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