Schäuble lobt Wallenstein-Inszenierung

Moderation: Stephan Detjen · 31.05.2007
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat sich positiv über die Wallenstein-Inszenierung von Peter Stein in Berlin geäußert. Die Inszenierung und die Schauspieler seien toll, das Stück sei über weite Strecken unglaublich spannend, sagte Schäuble. Auf die heutige Zeit lasse sich das Drama allerdings nicht übertragen. Der Satz "Wo ein Wille ist, ist ein Weg" gelte so nicht mehr.
Stephan Detjen: Herr Schäuble, war der Besuch eher eine Pflichtveranstaltung oder ein Genuss?

Wolfgang Schäuble: Es war überhaupt nicht lange. Es ist eine tolle Inszenierung, es sind tolle Schauspieler, aber es ist eben auch – jedenfalls über weite Strecken – ein unglaublich spannendes Stück. Und dieser Wallenstein ist natürlich eine grandiose Figur, an der sich unheimlich viel festmacht. Im Übrigen muss man ja bei der Gelegenheit daran erinnern, dass Schiller ein genialer Geschichtsschreiber war. Man muss seine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in ihren historischen Schlussfolgerungen nicht teilen, aber geschrieben ist diese Geschichte in einer Sprache, wo es wenig Vergleichbares in der Geschichte …

Detjen: Der Anfang der Geschichtswissenschaftler in Deutschland.

Schäuble: Ja, aber es ist große Geschichtswissenschaft, und es ist noch größere Geschichtsschreibung, und so ist eben sein Drama …

Detjen: Und es ist ja nicht nur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, man kann dieses Drama unterschiedlich lesen. Es lässt sich auch in Bezug nehmen auf die Zeit Schillers, die Napoleonischen Kriegen fingen an, also es lädt ja zur Aktualisierung auch heute ein. Es ist ein ungemein politischer Stoff.

Schäuble: Ja, ja, Wallenstein ist im Grunde die Frage aus der klassischen Antike schon, bis in die Gegenwart – das Zaudern, Wallenstein, er ist ja der große Zauderer und auch immer hin und her gerissen. Und das wird übrigens in dieser Inszenierung von Peter Stein, kommt unheimlich toll raus, vor allen die mittleren Stücke in dem Piccolomini …

Detjen: Genau, das ist Schlüsselszene in ersten Akt, wo der Hauptdarsteller Brandauer dann den Kopf auf den Tisch legt und dann diese Schlüsselsätze spricht: "Wär es möglich, könnt ich nicht mehr, wie ich wollte, nicht mehr zurück, ich müsste die Tat vollbringen, nur weil ich sie gedacht."

Schäuble: "Nur weil ich sie gedacht habe", ja.

Detjen: Das ist ja eine Spannung, aus der dann das ganze Drama entwickelt wird.

Schäuble: Und später sagt er ja immer wieder, ich wollte doch nur … ich wollte immer alle Möglichkeiten offenhalten, ich wollte ja mich nicht entscheiden. Natürlich hat er mit dem Gedanken gespielt.

Detjen: Das ist ja die Frage, auch ein Grund, weshalb wir mit Ihnen sprechen, Herr Schäuble: Was entdeckt ein Politiker da aus seiner eigenen Erfahrungswelt wieder, in diesem politischen Drama?

Schäuble: Ja, also ich meine, ich bin in so einer der Pausen gefragt worden und habe dann gesagt, das will ich jetzt nicht so einfach so umsetzen, eins zu eins in unsere Wirklichkeit, das ist ja auch ein bisschen zu dicht. Außerdem, wir haben ja als Folge dieser Verwerfungen vom Dreißigjährigen Krieg über all das, was da noch in der Aufklärung war, mit den Verwirrungen in der ersten Hälfte des vergangenen 20. Jahrhunderts oder auch in der zweiten Hälfte mit dem Ost-West-Gegensatz, uns den großen Vorzug einer verfassungsmäßig gebundenen Ordnung erfahren gelernt, wo eben nicht mehr der Einzelne alles kann, wo auch der Satz: "Wo ein Wille ist, ist ein Weg" eben so nicht gilt, sondern Verfassung, rechtsstaatlich-demokratische Verfassung heißt Bindung von Macht, Begrenzung von Macht, auch nicht Effizienz. Oft wird ja gesagt, es sei alles zu schwerfällig. Nein, ist aber gut so, dass es nicht so einfach geht.

Detjen: Jetzt wüsste ich ja doch noch mal gern – das ist ein Stück über Intrigen, über Macht, über Verrat –, wie es einem Politiker, wie es gerade Ihnen, der ja auch selber Erfahrungen mit Intrigenspielen in der Politik gemacht hat. Sie haben in der CDU-Parteispendenaffäre mal gesagt, das ist eine Intrige mit kriminellen Elementen. Wie geht’s einem Wolfgang Schäuble da, der in diesem Drama sitzt – denkt er, ja genau, das kenne ich, oder anders gefragt, ist es vielleicht im Leben manchmal umgekehrt, dass man sagt eigentlich, stehe ich hier auf einer Bühne, bin ich hier in einem Schiller’schen Drama?

Schäuble: Ich meine, Theater ist immer die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und mit der Vielfalt, mit der Kompliziertheit menschlicher Existenz, das muss man gar nicht auf den einzelnen herunterbrechen. Das ist ja auch in dem wunderschönen Prolog, den Schiller zu der Aufführung aus Anlass, ich glaube, des Nationaljahres in Weimar geschrieben hat …

Detjen: Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.

Schäuble: Ja, wo er sehr genau auch beschreibt, was die Aufgabe des Theaters ist, nämlich uns die grundlegenden Beziehungen und Strukturen im menschlichen Leben zu verdeutlichen. Das hat fast eine Gesetzlichkeit wie die naturwissenschaftlichen Gesetze auch.

Detjen: Herr Schäuble, vor zwei Jahren hat Bundespräsident Horst Köhler im Berliner Ensemble, im Schillerjahr war das damals, im Berliner Ensemble, das diese Produktion jetzt auf die Bühne gebracht hat, eine Rede gehalten, in der er aufgerufen hat, Klassiker, gerade Schiller’sche Klassiker, ganz unverfälscht auf die Bühne zu bringen. Köhler rief damals: Einen ganzen Tell, einen ganzen Don Carlos, das wär doch was. Das ist damals verstanden worden auch als ein Plädoyer gegen das sogenannte Regietheater, das klassische Texte mit individuellen Einfällen der Regisseure überlagert. Wie geht Ihnen das – Sie haben das eben auch erwähnt, Sie gehen häufig ins Theater –, können Sie diesen Überdruss, den ja nicht nur Köhler zum Ausdruck gebracht hat, am deutschen Regietheater verstehen? War das auch so ein Aufatmen in dieser Wallenstein-Inszenierung – endlich sieht man den mal ganz unverfälscht?

Schäuble: Also die Vorstellung, dass wir nur noch zehnstündige Theateraufführungen haben, ist auch wieder ein wenig erschreckend, deswegen: Man muss es ja nicht so einseitig machen. Es kann ja das eine und das andere sein. Bei dieser Inszenierung lässt uns der Regisseur mit Wallenstein und mit Schiller alleine. Er sagt uns nicht, wie wir es nun zu empfinden haben, ob der nun gut oder böse ist oder wer der Schuft und wer der Held ist, sondern das lässt er uns selber. Und vielleicht geht es uns so, wenn wir es zweimal anschauen würden – ich werde es nicht ein zweites Mal vermutlich anschauen –, dann kämen wir vielleicht beim zweiten Mal zu anderen Schlussfolgerungen als beim ersten Mal, weil es eben so ambivalent ist. Deswegen, das Regietheater hat auch seinen Sinn, hat ja manches auch ein Stück weit hinterfragt, hat manche Übertreibungen, aber davon lebt Kunst, jede Form von Kunst dann auch wieder. Und dann ist es aber auch wieder gut, dass man als Alternative auch mal die originalen Texte hat. Im Übrigen, das ist ja so ungewöhnlich nicht. Ich habe vor zwei Jahren den "Faust" auch gesehen. Die Sprache hat so was unglaublich Großes, und dass man das immer wieder zeigt, dass man es auch den Jungen nahebringt, dass sie auch lesen, das finde ich schon sehr wichtig.

Detjen: Bei Köhler hatte das aber noch was anderes, da ging es nicht um Nebeneinander, beides kann gleichberechtigt nebeneinander stehen, dieses Regietheater und die Werktreue, sondern Köhler hat gesagt, dieses deutsche Regietheater, das hatte in den 60er Jahren mal seinen Sinn, da musste man die Klassiker – wie Köhler sagte – entstauben, man musste sie problematisieren. Heute dagegen, so sagte Köhler, zeuge dieses moderne Regietheater von einer arroganten Spießigkeit. Und das wurde so verstanden, dass er sagt, so ungefähr alles das, was die 68er gemacht haben, ist in, und jetzt kommt eine neue konservative Zeit.

Schäuble: Also ich habe die Rede des Bundespräsidenten nicht so genau in Erinnerung, dass ich mich jetzt damit auseinandersetzen könnte. So wie ich ihn zu kennen glaube, vermute ich, dass das doch eine Überinterpretation dessen ist. Es gibt Formen von der Art, wo man dann sagt, damit kann ich nichts anfangen, das muss ja auch nicht sein. Ich hasse auch diese Besserwisserei, wenn mir der, der Regie führt, gewissermaßen vorschreiben will, was ich nun zu denken oder zu empfinden habe, aber es ist ja auf der anderen Seite auch nicht schlecht, wenn wir immer wieder Anstöße haben. Immer nur das Alte weiterzumachen, wäre es auch nicht. Und insofern denke ich, der Erfolg von Wallenstein in dieser Inszenierung ist ja gerade auch, weil es nicht die Regel ist, sondern weil es die Ausnahme ist.

Detjen: Lassen Sie mich dennoch noch mal ein paar Fragen an Sie weitergeben, die der Bundespräsident in dieser Rede 2005 gestellt hat, und die könnten wirklich unmittelbar an den Bundesinnenminister gerichtet sein. Köhler hat da nämlich einen Zusammenhang hergestellt zwischen – wie er sagte – dem tiefgreifenden Wandel in der demografischen Zusammensetzung unserer Bevölkerung und der Darbietung von Klassikern. Also Köhler fragte damals: Wie fruchtbar können Klassiker sein für gesellschaftliche Integration, für Identitätsfindung, in einer kulturell gemischten Gesellschaft? Das ist eine Frage, mit der Sie sich auch mal beschäftigt haben im Zusammenhang mit der Islam-Konferenz. Sie sind damals in die Idomeneo-Aufführung, in die umstrittene Idomeneo-Aufführung in der Deutschen Oper in Berlin gegangen.

Schäuble: Natürlich ist die Beschäftigung mit Kunst – das müssen gar nicht nur Klassiker sein – ein ganz wichtiges Element der Integration, miteinander Theater spielen. Die Tatsache, dass es wichtige Regisseure, Schauspieler, erfolgreiche Filmregisseure aus türkischer Abstammung gibt – denken Sie gerade an die Filmfestspiele in Cannes, der den Regiepreis gewonnen hat, Drehbuchpreis, für das beste Drehbuch –, ist ja ein Zeichen für Integration. Und dass wiederum die Menschen nicht-türkischer Abstammung dadurch neue Erfahrungen machen, aus der Auseinandersetzung entsteht ja immer Neues. Oder ganz primitiv, Kinder – oder ganz einfach, primitiv ist es gar nicht – Kinder im Schul- oder schon im Vorschulalter miteinander Theater spielen zu lassen, das ist bestimmt ein tolles Mittel der Integration. Oder sie miteinander musizieren zu lassen, ist auch nicht schlecht. Denken Sie an die grandiosen Projekte, die die Berliner Philharmoniker machen: It’s a Rhythm und, und …

Detjen: Tanzprojekte mit Kindern aus Problemvierteln.

Schäuble: … "Le sacre du printemps" von Strawinksy, jedes Jahr einmal, wo sie Hunderte von Kindern, zum Teil aus Problemschulen in Berlin, über Wochen in intensiven Proben – ich habe mal irgendwann gelesen, die Lehrer hätten gesagt, die Kinder seien überfordert mit der Probenarbeit, aber die Kinder fanden es ganz toll und haben natürlich da Erfahrungen gemacht. Das ist Integration durch Kunst, und davon kann man gar nicht genug haben.