Schäuble kritisiert US-Politik nach 11. September 2001

Moderation: Hanns Ostermann · 11.09.2006
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat sich kritisch zur Politik der USA nach dem 11. September 2001 geäußert. Zwar seien die Militäraktionen in Afghanistan unvermeidlich gewesen, sagte der CDU-Politiker. Den Irak-Krieg habe er aber von vornherein für zweifelhaft gehalten. Zugleich betonte Schäuble, gegen das Terrornetzwerk El Kaida müsse man entschlossen vorgehen, doch dürften dabei die Prinzipien des Rechtsstaates nicht außer Kraft gesetzt werden.
Hanns Ostermann: Es war unglaublich und unfassbar, was heute vor fünf Jahren geschah, da wurden Flugzeuge zu Raketen umfunktioniert, ein Milliardenpublikum musste mit ansehen, wie grenzenloser Vernichtungsrausch tausende Menschenleben kostete. Schon vor dem 11. September 2001 hatten Terroristen auf sich aufmerksam gemacht, in dieser Form allerdings erreichte die Bedrohung eine neue Qualität. Überall wurden seitdem die Antiterrormaßnahmen verschärft, um die Bevölkerung zu schützen. Und trotzdem, Angst und Sorge bleiben. Über die Folgen des 11. September reden möchte ich mit dem Bundesinnenminister, mit Dr. Wolfgang Schäuble. Guten Morgen, Herr Schäuble.

Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Ostermann.

Ostermann: Welche Gedanken gehen Ihnen ganz persönlich an diesem Jahrestag durch den Kopf?

Schäuble: Ja, man denkt natürlich zunächst einmal an den Tag vor fünf Jahren zurück, dieses völlig Unfassbare, dass man Zuschauer war, wie unglaubliche Anschläge, die man sich so hatte nicht vorstellen können, passiert sind. Wie man dann im Fernsehen gesehen hat, wie die beiden Riesenhochhäuser zusammengestürzt sind, wie die Menschen aus den hochgelegenen Stockwerken sich zu Tode gestürzt haben, um den Flammen zu entkommen. Das ist das erste, was einem in Erinnerung ist. Und das zweite ist natürlich, dass uns bewusst geworden ist, wie eng die Welt zusammengerückt ist und wie wir von den Konflikten, den Problemen, den Auseinandersetzungen, dem Hass in allen Teilen der Welt auch betroffen sind, neben all den großartigen Chancen, die ja die Globalisierung für uns mit sich bringt. Und das dritte ist natürlich, als Innenminister denkt man daran, was man für eine Verantwortung trägt, das Menschenmögliche zu tun, damit solche Anschläge sich nicht wiederholen, auch bei uns nicht stattfinden können. Wir haben ja auch in diesem Sommer genügend Grund zur Sorge gehabt.

Ostermann: Wir kommen gleich darauf zurück, Herr Schäuble. Aber hat der Westen, allen voran die USA, auf die Anschläge richtig reagiert?

Schäuble: Na ja, wir wissen, dass natürlich vieles in den fünf Jahren nicht besser geworden ist. Deswegen muss man ja immer neu überlegen, wie man es richtiger machen kann. Ich denke, dass der Ansatz, die Basis der Terroristen mit den Ausbildungslagern in Afghanistan zu zerstören, schon unvermeidlich notwendig gewesen ist. Wir wissen ja jetzt, was die meisten vorher schon vermutet haben, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zum Irak nicht gegeben hat. So dass die Frage - die Beseitigung des Diktators, Saddam Hussein, ist ja sicher in sich auch eher richtig, aber was mit dem Irak-Krieg daraus geworden ist, das war von vornherein zweifelhaft. Wir haben ja immer auch gesagt, unilaterale Entscheidungen - ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben - werden die Welt nicht stabiler machen. Und sie sind auch nicht im Interesse der USA. Und die Amerikaner spüren es und wir leiden ja auch mit, denn wir sitzen ja, wir sind ja in einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Wir können uns ja am Scheitern der Amerikaner nicht freuen, sondern wir haben jedes Interesse daran, dass sie erfolgreich sind. Wir können die Welt nur gemeinsam stabiler bekommen.

Ostermann: Ja gut, es gab darüber hinaus die Geheimgefängnisse im Ausland. Leidet nicht letztlich die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Politik? Die Grünen sprechen sogar davon, wir würden an der Nase herumgeführt.

Schäuble: Also man kann natürlich die Prinzipien des Rechtsstaates, des Völkerrechts, nicht verteidigen, indem man sie aufgibt, oder auch nur teilweise außer Kraft setzt. Das habe ich beispielsweise persönlich von Anfang an gesagt und die Bundeskanzlerin auch immer. Es macht keinen Sinn; das ist auch nicht im Interesse der Amerikaner, dass sie das tun. Natürlich muss man gegen solche Organisationen wie El Kaida mit aller Entschiedenheit und mit aller Entschlossenheit vorgehen, aber wenn man die fundamentalen Rechtsprinzipien außer Kraft setzt, dann wird nichts besser, sondern es wird nur schwieriger und das haben wir ja auch erlebt.

Ostermann: Herr Schäuble, Sie haben auf Ihre Verantwortung als Bundesinnenminister hingewiesen. Nicht nur die Weltpolitik hat sich in den letzten fünf Jahren verändert, offene Gesellschaften mussten auch das Verhältnis von Freiheit und innerer Sicherheit neu austarieren. Haben Sie Verständnis für die Sorge, dass bei uns zu stark in die Grundrechte eines jeden Einzelnen eingegriffen werden könnte?

Schäuble: Für die Sorge habe ich immer Verständnis, weil es auch meine Sorge ist und weil jeder Verantwortliche darauf achten muss, dass das nicht geschieht. Aber es geschieht eben auch nicht, es gibt nicht einen einzigen Punkt, wo man, nach meiner Überzeugung, begründet sagen kann, dass in die Grundrechte der Menschen in einer nicht vertretbaren Weise eingegriffen werde. Ich glaube auch nicht an den Widerspruch zwischen Sicherheit und Freiheit. Eine Freiheit, die nicht mit einem hinreichenden Maß an Sicherheit verbunden ist, hat ja keinen Wert. Und eine Sicherheit, wie wir sie in Zeiten der Diktaturen in Deutschland hatten, wo der Staat selbst die Kriminalität begeht, ist auch nicht besser. Deshalb müssen wir das, angesichts der Herausforderungen der modernen Welt, in der richtigen Weise lösen. Aber es gibt immer nur beides zusammen, Freiheit, Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit. Und das ist nicht ein Gegeneinander und ich kann nicht erkennen, wo in Deutschland dagegen verstoßen würde.

Ostermann: Sie sagen, es ist kein Gegeneinander. Auf der anderen Seite betonen Sie, dass die unionsgeführten Länder, im Vergleich zu den SPD-geführten, im Bereich Innere Sicherheit sehr viel besser abschneiden. Besteht da doch nicht die Gefahr, dass dieses Thema in irgendeiner Form auch instrumentalisiert wird?

Schäuble: Ja, dass man natürlich im politischen Wettbewerb darum ringt, wer hat die besseren Lösungen, das entspricht ja der Idee der offenen Gesellschaft und des demokratischen Wettbewerbs. Und natürlich ist es ja richtig, dass man die Zahlen der Kriminalitätsbekämpfung in den einzelnen Bundesländern, in der Verantwortung der einzelnen Regierungen, vergleichen kann. Natürlich kann man sich beispielsweise anschauen, wie der Verfassungsschutz in Bund und Ländern, in den einzelnen Ländern aufgestellt ist und dass alle ihren Anteil dazu beitragen müssen. Wir sind ein föderaler Staat, ich bin ein überzeugter Anhänger dieses Prinzips, aber das heißt natürlich auch, dass man dann schon einen Wettbewerb machen muss, um zu sagen, wer macht es besser. Und dann kann der, der es schlechter macht, vom anderen lernen.

Ostermann: Wie groß ist die Gefahr ganz generell, dass bei uns in Deutschland, auch in Deutschland, Islam und Gewalt gleichgesetzt werden?

Schäuble: Das ist auch eine Gefahr und der muss man auch entgegenwirken. Sie ist ja völlig ungerecht. Wir haben rund drei Millionen Muslime, die in Deutschland leben und die allermeisten sind Teil dieser Gesellschaft. Wir wollen ja auch, deswegen mache ich ja auch diese Islamkonferenz, alles dafür tun, dass sie sich als Teil dieser Gesellschaft unseres Landes fühlen, dass sie sich auch alle so verhalten. Jeder muss seinen Beitrag dazu leisten. Aber natürlich ist auch wahr, dass die meisten der Täter aus einem übersteigerten, fanatisierten, falschen islamistisch-fundamentalistischen Verhältnis kommen. Und deswegen ist es natürlich die Aufgabe, gerade auch der Mitbürger muslimischer Religion, das Menschenmögliche zu tun, dass solche Entwicklungen unterbunden werden, dass sie nicht zunehmen. Und dort wo es Hinweise auf mögliche Anschlagsgefahren gibt - wir sind ja immer noch mit den Ermittlungen beschäftigt der beiden Bahnbomben - dort wo es Hinweise auf mögliche Entwicklungen zu Anschlägen gibt, muss man sie den Sicherheitsbehörden auch geben. Wir dürfen nicht wegschauen, wir müssen alle hinschauen, nur so können wir eine freiheitliche Gesellschaft auch mit Sicherheit gestalten.

Ostermann: Dr. Wolfgang Schäuble von der CDU, der Bundesinnenminister, ich danke Ihnen für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.