Schadstoffbelastung

Dicke Luft in Hamburg

Die Max-Brauer-Allee in Hamburg
Die Max-Brauer-Allee in Hamburg © picture alliance / dpa / Foto: Angelika Warmuth
Von Axel Schröder · 15.12.2014
Von wegen frische Brise. Wer in Hamburg an einer Ausfallstraße wohnt, wird täglich von krankheitserregenden Autoabgasen belästigt. Das Feinstaubproblem hat die Stadt zwar gemeistert, die Grenzwerte für Stickstoffdioxid werden aber weiterhin überschritten.
Der Blickdurch die Schallschutzfenster fällt auf die Hamburger Max-Brauer-Allee. Morgens um zehn fließt der Verkehr auf zwei Spuren stadteinwärts und auf zwei Spuren raus aus der Stadt, in Richtung Elbe. Ein Grünstreifen trennt die Fahrbahnen. Matthias Pätzold wohnt an der Max-Brauer-Allee. Er steht am Fenster, dreht den Griff, lässt den Lärm ins Wohnzimmer fluten:
"Autos, Autos, Autos. Direkt eine Bushaltestelle unterm Fenster. Also auch da ständig was los. Paar Meter weiter eine größere Kreuzung. Darum ist hier immer viel los. Auch mit stehenden Autos. Die Sachen, die man halt riechen kann, kriegt man natürlich mit, wenn man das Fenster aufmacht. Und die Stoffe, die man nicht riechen kann, kriegt man halt erst mit, wenn man es liest."
Das was man nicht sofort riechen kann, ist das Stickstoffdioxid, kurz: Stickoxid oder: NO2. Aus den Auspuffrohren tausender Autos, LKW, Busse und Motorräder. Schon seit mehr als zehn Jahren werden an vier Hamburger Straßenzügen stark überhöhte Stickstoff-Konzentrationen in der Atemluft gemessen. Nach den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation dürfen in einem Kubikmeter Luft nicht mehr als 40 Mikrogramm des giftigen Gases enthalten sein. Seit 2010 gilt dieser Grenzwert auch in der Europäischen Union. Und wird seitdem in vielen deutschen Großstädten überschritten. Nicht mit 40, sondern 60 Mikrogramm pro Kubikmeter ist die Atemluft in der Max-Brauer-Allee im Jahresdurchschnitt belastet.
Klage gegen die Stadt Hamburg
Matthias Pätzold schließt das Wohnzimmerfenster, serviert Kaffee in der Küche. Zusammen mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz hat er gegen die Stadt Hamburg geklagt, will die Einhaltung der Grenzwerte gerichtlich durchsetzen lassen:
"Der BUND ist auf mich zugekommen, hat mich gefunden in der Mitglieder-Datenbank und hat bei mir offene Türen eingerannt. Weil das Thema Stickoxide war mir nicht so bekannt, aber wenn man sich in der Stadt bewegt, viel mit dem Fahrrad und zu Fuß vor allem an solchen Straßen – das nervt einfach, dass es einfach nicht weniger wird, dass auch nichts passiert! Insofern war auch ziemlich schnell klar, dass ich mich gerne mit engagiere."
Hamburg hat zwar schon seit 2004 einen Luftreinhalteplan, den der amtierende SPD-Senat sogar noch um etliche Maßnahmen ergänzt hat. Trotzdem werden nicht nur an der Max-Brauer-Allee die Stickoxid-Grenzwerte immer noch überschritten. Auch die Anwohner der Kieler Straße, der Habicht- und der Stresemannstraße sind überhöhten Konzentrationen ausgesetzt. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ging es darum, den Luftreinhalteplan der Hansestadt zu überprüfen. Und Mathias Pätzold konnte dabei auf die stadteigenen Messdaten verweisen. 20 Meter von seiner Haustür entfernt steht auf dem Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen einer von 17 im Stadtgebiet verteilten Messcontainern.
Vor dem grünen Stahlcontainer steht Dagmar Gömer, Referatsleiterin im Institut für Hygiene und Umwelt, zuständig für das Luftmessnetz in Hamburg. Dagmar Gömer schließt die Stahltür auf, fährt den Computer hoch und erklärt, wie überhöhte NO2-Konzentrationen auf den menschlichen Organismus wirken:
"Sie kriegen eine Reizung der Schleimhäute und im Prinzip kann dann der, der schon Asthma-Probleme hatte, der hat dann zusätzliche Probleme unter Umständen."
Nach Studien der Helmholtz-Gesellschaft wirkt das Gas vor allem auf die Lungen von Kindern und Jugendlichen und alten Menschen. Auch die Gefahr, an Diabetes zu erkranken, erhöht sich für Menschen, die dauerhaft zu viel Stickstoffdioxid einatmen.
Überprüfung der Stickoxid-Werte an einem Hamburger Messgerät
Überprüfung der Stickoxid-Werte an einem Hamburger Messgerät© Foto: Axel Schröder
Dagmar Gömer ruft die aktuellen Messwerte auf. Blaue, rote und gelbe Kurven auf dem Computermonitor zeigen die gerade gemessenen Schadstoffwerte an. Nicht 40, nicht 60, sondern 150 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter wurden in den letzten zwei Minuten gemessen. Kein Grund zur Besorgnis, beruhigt Dagmar Gömer:
"Das sind momentane Werte! Die schwanken sehr stark. Und da kann ich ihnen nur sagen: man sieht hier bei der hohen zeitlichen Auflösung, wenn größere Fahrzeuge vorbeifahren zum Beispiel."
Entscheidend, so Gömer, seien ohnehin die so genannten Jahresmittelwerte. Und die lägen in den letzten Jahren nur bei 55 bis 60 Mikrogramm pro Kubikmeter. Also nur 15 bis 20 Mikrogramm über dem zulässigen Wert. Im Verfahren von Mathias Pätzold und dem BUND vor dem Hamburger Verwaltungsgericht standen die Chancen für die Kläger gut. Immerhin belegen die offiziellen Messwerte, dass die bestehenden Maßnahmen zur Luftreinhaltung das Ziel verfehlen, die Stickoxid-Belastung unter die Grenzwerte zu drücken. Für Manfred Braasch, den Landesgeschäftsführer des BUND, war das Urteil der Richter dann auch keine Überraschung: die Stadt Hamburg, urteilten die Richter Anfang November, muss ihren Luftreinhalteplan nachbessern, um endlich die Stickoxid-Belastung für die Anwohner der hochbelasteten Straßenzüge zu senken. Ganz zufrieden mit dem Etappensieg vor Gericht ist Manfred Braasch aber nicht:
"Das Gericht ist der Auffassung, dass Hamburg mehr tun muss, um die Luft in der Stadt zu verbessern. Dass ist eigentlich ein klarer Auftrag. Das ist nicht nur ein klarer Auftrag des Gerichtes, sondern auch des Gesetzes. Und deswegen verwundert uns schon, dass die Stadt Hamburg ohne Kenntnis der Begründung, die ja noch kommen soll, jetzt schon in die Berufung geht."
Die Stadt Hamburg, so scheint es, lässt sich weder von den durch die EU-Kommission festgesetzten Grenzwerten, noch von den eigenen Gerichten beeindrucken. Dabei gäbe es Möglichkeiten für die Stadt, das Problem der zu hohen Stickstoffdioxid-Emissionen zu lösen, glaubt Manfred Braasch:
"Wir vom BUND sprechen hier von einem Instrumenten-Mix. Man muss das wirklich breit aufstellen! Man fängt an natürlich bei den üblichen Dingen wie ´Attraktivitätssteigerung des ÖPNV`, beim Fahrradverkehr ist noch viel Luft nach oben. Dann geht es weiter mit ´Tempo 30`-Zonen – Berlin macht es vor, Berlin ist doppelt so groß wie Hamburg. Umweltzonen sind in Hamburg noch nicht eingeführt worden. Auch da sind Städte weiter: in 48 deutschen Städten gibt es eine Umweltzone. Hannover hat es wegen der Stickoxide eingeführt."
In der Hansestadt ist alles anders
In Berlin sinken seit Einführung einer Umweltzone die Stickoxid-Werte. Auch in München wird das Tempo auf einigen Straßen begrenzt, um diesen Effekt zu erzielen. Der Hamburger Senat verfolgt dagegen eine andere Politik: weitermachen, wie bisher. Die zuständige Umweltsenatorin Jutta Blankau taucht zu dem Thema ab. Zwei Anfragen für ein Interview bleiben erfolglos. Die Senatorin schickt ihren Pressesprecher Volker Dumann vor.
"Es gibt mehrere Forderungen der Umweltverbände, die immer wieder hochkommen: City-Maut, Umweltzone, Tempo 30, Stadtbahn. Alle diese Sachen sind durchgeprüft worden. Wir meinen: Die bringen nichts. Was wir brauchen, ist viel mehr und viel besserer Öffentlicher Personennahverkehr. Da ist die Stadt wirklich dran! Es werden neue Busse getestet. Es sollen neue U-Bahnen gebaut werden. Es wird der Radverkehr massiv ausgeweitet. Das StadtRad, was es hier in Hamburg gibt, ist in Europa das führende Projekt dieser Art, also Ausleihräder…"
…und dazu kommen all die anderen Maßnahmen des Hamburger Luftreinhalteplans, so Behördensprecher Volker Dumann. Anders ausgedrückt: die Forderung des Hamburger Verwaltungsgerichts, den Luftreinhalteplan zu überarbeiten, mehr zu tun für bessere Luft, will die Stadt nicht akzeptieren, weil schon genug getan wird. Zwar würden die Stickoxid-Grenzwerte nicht eingehalten, aber die Überschreitungen würden Jahr für Jahr geringer ausfallen, argumentiert die Umweltbehörde. Dank des bestehenden Luftreinhalteplans:
"Der tut’s wirklich! Es sind 80 Maßnahmen. Die letzte interessante ist gewesen, dass in Altona der Landstromanschluss eingeweiht worden ist. Der soll richtig arbeiten im nächsten Sommer. Das ist europaweit das größte Projekt dieser Art. Und wird also dann eingeschaltet, wenn die Schiffe kommen und dann können die endlich ihre Motoren abschalten und es ist leise und vor allem wird kein Rauch mehr ausgestoßen. Das ist eine von 80 Maßnahmen."
Diese Landstromanlagen sollen große Kreuzfahrtschiffe mit Energie versorgen. Die bordeigenen Dieselgeneratoren können dann abgeschaltet werden. Allerdings ist nicht der Hafen, sind nicht die Schiffe für die zu hohen NO2-Emissionen an den vier Hamburger Hotspots verantwortlich. Die Stickoxid-Belastung in der Max-Brauer-Allee geht zu 75 Prozent auf den Autoverkehr zurück. So steht es im 200 Seiten starken Luftreinhalteplan der Stadt. Dort steht auch, wie viele Hamburgerinnen und Hamburger unter den Grenzwertüberschreitungen zu leiden haben. Volker Dumann:
"Das ist in einem Gutachten dargelegt worden, dass wir selbst in der Umweltbehörde gemacht haben. Das wären über den Daumen gepeilt fast eine Viertelmillion, fast 220.000. Man muss aber eines dabei berücksichtigen: das sind statistische Werte. Man hat also einfach die Straße genommen, die belastet ist und hat die Einwohner dazugerechnet und dann diesen Wert gefunden. Aber nur die Anwohner, die direkt an der Straße wohnen, ich sage immer: am ´Straßen-Canyon` wohnen – also ´Canyon`: die eine Wand des Canyons ist die Bebauung auf der einen Seite und die andere ist die andere und mittendrin, die Straße, das ist der Canyon-Boden. Also wer in so einem Canyon wohnt, in so einer Straßenschlucht, der direkt daran wohnt an der Straße, der hat die größten Probleme. Wenn sie nach hinten raus wohnen, ist das Problem schon wesentlich geringer."
Warum es der Senat aber so strikt ablehnt, die Luft in den Canyons von Hamburg durch eine Umweltzone, Tempo 30 oder City-Maut zu verbessern, erklärt Volker Dumann so:
"Umweltzone bringt vor allem was für Feinstaub. Das Problem haben wir aber zum Glück nicht mehr. Umweltzone ist aber auch deswegen ein Problem, weil sie immer Ausnahmen zulassen müssen. Genauso wie bei der City-Maut. Bei der Umweltzone und der City-Maut müsste man beispielsweise Feuerwehr, Krankenwagen, Polizei, Anlieferer, die müssten trotzdem rein. Egal, welche Autos die fahren. Denn man kann keine Existenzen vernichten, dadurch, dass man Umweltzonen einrichtet."
Meinungen über Umweltzonen gehen auseinander
Welche Effekte die Einrichtung einer Umweltzone auf den Stickoxidausstoß hätte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Fest steht: besonders groß ist ihr Effekt auf die Feinstaubemissionen. Aber auch der NO2-Ausstoß kann durch Umweltzonen und Tempo-30 reduziert werden, erklärt Marcel Langner vom Umweltbundesamt.
"Eine Umweltzone bringt ihnen eine Reduzierung im einstelligen Prozentbereich. Das sind zumindest die Auswertungen, die wir kennen. Tempo 30 alleine führt in der Regel noch nicht generell zu einer Reduzierung der NO2-Belastung, sondern dass muss immer noch begleitet werden mit Maßnahmen, die dann auch den Verkehrsfluss optimieren."
Diese "adaptive Ampelschaltungen", die "Grüne Welle", die den Autoverkehr möglichst ohne Stop-and-Go, möglichst fließend durch die Stadt führen soll, gibt es in Hamburg bereits. Die "Grüne Welle" könnte dafür sorgen, dass der Verkehr auch mit 30 Kilometern pro Stunde fließt, statt stockt. – "Tempo 30" lehnt der Hamburger Senat aber ab. Vor allem deshalb, so Behördensprecher Volker Dumann, weil die Autofahrer dann auf kleinere Straßen ausweichen würden und dann die Anwohner dort höheren Stickoxid-Konzentrationen ausgesetzt wären.
Gegen diese These spricht: schon heute ist Tempo 30 auch in vielen kleinen, schmalen Straßen vorgeschrieben. Auf diese Straßen werden Autofahrer kaum ausweichen. In der Großstadt Berlin kam es nach Einführung von 30er-Zonen nicht zu derartigen Ausweichverkehren. Der Hamburger Senat lehnt aber generell alle Maßnahmen ab, die Auto- und LKW-Fahrer einschränken könnten. Auch die City-Maut, bei der bestimmte Stadtbereiche nur gegen eine Gebühr befahren werden dürfen. Ganz ohne Einschränkungen wird sich der Stickoxid-Gehalt allerdings nicht drücken lassen, so Marcel Langner vom Umweltbundesamt:
"Letzten Endes müssen alle Maßnahmen auch darauf zielen, dass sie den motorisierten Straßenverkehr reduzieren. Und das würden sie auch erreichen, wenn sie eine City-Maut einführen. Denn eine City-Maut führt ja dann dazu, dass dann weniger Fahrzeuge in die Stadt einfahren."
Das Problem der City-Maut: bislang fehlt dafür eine bundesgesetzliche Grundlage. Auf eigene Faust dürfen die deutschen Kommunen keine Maut auf ihren Straßen erheben. Volker Dumann von der Hamburger Umweltbehörde:
"Das müsste man erst langwierig über eine Bundesratsinitiative machen. Und eh die durch, dauert das bestimmt mindestens eine Legislaturperiode. Und dann kriegen wir Luft sicherlich in Hamburg mit diesen Maßnahmen schneller sauberer."
City-Maut nein, danke
Bekannt ist die Stickoxidproblematik schon seit 2010. Seitdem hat die Hansestadt zwar Dutzende Bundesratsinitiativen auf den Weg gebracht. Darunter war aber keine Initiative, die die Einführung einer City-Maut möglich gemacht hätte. Die Ablehnung der City-Maut scheint vor allem politisch motiviert zu sein. Hamburgs Autofahrer und Hamburgs Gewerbetreibende, Ladenbesitzer, die auf Lieferverkehre angewiesen sind, sollen geschont werden. Auch die einflussreiche Hamburger Handelskammer lehnt alle Eingriffe in den Autoverkehr strikt ab. Ohne die wird es aber nicht gehen, so Manfred Braasch vom BUND:
"Natürlich muss man auch vor ordnungspolitischen Maßnahmen nicht zurückscheuen, die möglicherweise in den Autoverkehr massiv eingreifen. Aber davor hat offensichtlich der aktuelle Senat dann auch Angst."
Was Behördensprecher Volker Dumann natürlich bestreitet. Aber trotzdem davor warnt, die Hamburger Autofahrer, die vielen zehntausend Pendler, mit neuen Ideen zur Verkehrslenkung zu überfordern:
"Diese Sache mit dem Auto ist auch ein Kulturfaktor. Um diese Veränderungen hinzubekommen, da muss man wirklich lange dran arbeiten! Den Leuten zu sagen: ´Es ist für viele eurer Mitbewohner oder Mitmenschen oder Mitbürger ein Gesundheitsproblem! Also lass das Auto stehen!` Der Prozess in diesem Lande wird sehr, sehr lange dauern, ehe man das hinbekommt!"
Was bleibt, ist der Hamburger Luftreinhalteplan. Mit 80 Maßnahmen. Wie Volker Dumann immer wieder betont. Aber nicht alle dieser 80 Maßnahmen haben einen Effekt auf die Stickoxid-Belastung an Hamburgs Hauptstraßen. Abgasarme oder abgasfreier Linienbusse können die NO2-Bealstung tatsächlich senken. Neue Radfahrstreifen auf der Straße können dazu führen, dass mehr Menschen ihr Auto stehen lassen.
Aber rund die Hälfte der 80 Maßnahmen im Luftreinhalteplan haben mit dem Autoverkehr gar nichts zu tun: der "Ausbau der dezentralen Wärmeversorgung" oder das Projekt "Barrierefreiheit im Schnellbahnbereich" werden die Stickoxid-Konzentrationen an der Max-Brauer-Allee nicht senken. Das Hamburger NO2-Problem kann aber ohnehin nicht durch den Hamburger Senat gelöst werden, erklärt Volker Dumann von der Umweltbehörde. Denn die EU-Grenzwerte können gar nicht eingehalten werden:
"Das größte Problem sind aber leider Dieselfahrzeuge. Als die EU-Richtlinie, die wir jetzt umzusetzen haben, in die Welt gesetzt wurde, war der Anteil von Dieselfahrzeugen wesentlich weniger als heute. Ungefähr die Hälfte bis noch weniger. Das hat sich jetzt verdoppelt und noch mehr…"
…und diese Dieselfahrzeuge stoßen viel mehr Stickstoffdioxid aus als benzingetriebene Autos. Deshalb müsse die Bundesregierung handeln und die Steuer auf Dieselkraftstoff anheben, fordert Volker Dumann. Dann würde sich weniger Menschen für einen Diesel entscheiden, die Stickoxid-Werte würden sinken. Das Problem sei außerdem, dass die von der EU vorgeschriebenen Abgastests fehlerhaft seien, so Volker Dumann. Tatsächlich sind diese Tests schon seit Jahren in der Kritik. Sie finden unter Laborbedingungen statt, die mit dem realen Fahrbetrieb kaum etwas zu tun haben. Die Folge: der Schadstoffausstoß eines Diesel-Autos fällt im realen Fahrbetrieb viel höher aus als vorher im Labor gemessenen. Sogar die derzeit schärfste Abgasnorm – "Euro 6" – verspricht mehr als sie halten kann. Übersetzt heißt das: viel zu viele Dieselfahrzeuge stoßen mehr Schadstoffe aus als gedacht.
"Es hat keinen Sinn, sich in die Tasche zu lügen, weil diese Diesel-Problematik so groß geworden ist und uns die Grenzwerte so kaputt macht, dass wir ohne das zu lösen am Ende einfach nicht reüssieren können. Und das können wir nicht alleine. Da müssen Brüssel und Berlin mit ran. Sonst geht es einfach nicht!"
Keine Hilfe aus Brüssel oder Berlin
Das Problem dabei ist: aus Berlin und Brüssel können die Hamburger keine Hilfe erwarten. Auf Nachfrage beim Bundesumweltministerium heißt es: zwischen dem Bundesverkehrs-, dem Bundesfinanzministerium und dem eigenen Ressort herrscht der Konsens: an der Dieselbesteuerung werde sich nichts ändern. Und auch auf Brüssel kann der Hamburger Senat nicht hoffen. Zwar sollen in zwei Jahren die Vorschriften für Abgastests reformiert werden.
Aber die aktuellen Grenzwertüberschreitungen akzeptiert Brüssel nicht. Im Gegenteil: die EU-Kommission hat wegen der vielen deutsche Städte, in denen die Stickoxidgrenzwerte nicht eingehalten werden, gerade ein so genanntes Pilotverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Enrico Brivio ist Sprecher der EU-Kommission und erklärt den europäischen Standpunkt:
"Die Kommission denkt, dass zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden können! Auch in Hamburg ist das so. Und diese zusätzlichen Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die Grenzwerte einzuhalten. Also wurde am 2. September ein Pilot-Brief an die Bundesrepublik geschickt. Das ist noch kein Vertragsverletzungsverfahren, sondern darum, unsere Gründe darzulegen. Und nun warten wir auf eine Antwort aus Deutschland."
Der Hamburger Standpunkt ist in Brüssel schon seit Jahren bekannt. Als vor fünf Jahren die Stickoxid-Grenzwerte der EU in Kraft traten, war klar, dass viele deutsche, viele europäische Großstädte diese Werte nicht sofort einhalten werden können. Fünf Jahre Aufschub, bis Ende 2014, bekamen deshalb die Länder, deren Kommunen erklären konnten, wie sie nach diesen fünf Jahren den Stickoxid-Grenzwert einhalten könnten. Auch der Hamburger Senat stellte einen Antrag auf Fristverlängerung. Allerdings mit der Ansage, dass man auch danach die Grenzwerte nicht einhalten werde. Eine erstaunlich sture Haltung sei das, findet Bas Eickhout, Mitglied der Grünen-Fraktion im EU-Parlament:
"Das ist wirklich lächerlich! Die Kommission hat gesagt: wir geben nur den Ländern – es geht immer um die Mitgliedsstaaten – nur den Ländern mehr Zeit, die einen ernsthaften Plan verfolgen. Man muss doch einen Aktionsplan haben, wie diese Ziele erfüllt werden können. Und wenn man diesen Plan dann hat, erst dann bekommt man einen Aufschub. Wenn aber eine Stadt sagt: ´Wir hätten gern mehr Zeit, aber wir haben keinen Aktionsplan!`, dann hat man ein Problem!"
Direkten Druck auf den Hamburger Senat kann die Kommission nicht ausüben. Nur auf die Bundesrepublik, so Enrico Brivio. Und macht einen Vorschlag, welche zusätzlichen Maßnahmen die Hamburger Luft besser machen würden:
"Sie haben ein Problem mit Stickstoffdioxid. Und es gibt verschiedene Quellen dafür. Und was wir sagen können, ist, dass ein Element sein könnte, sich um den Verkehr zu kümmern. Einige deutsche Städte haben zum Beispiel Umweltzonen eingerichtet: Berlin, Stuttgart, Leipzig, viele, viele Städte in Deutschland sind diesen Weg gegangen. Aber am Ende müssen die Städte das entscheiden und die Mitgliedsstaaten. Sie können den Verkehr begrenzen, der die Umwelt am meisten verschmutzt. Zu dieser Maßnahme könnte man raten."
Das Antwortschreiben auf den letzten Brief aus Brüssel, übermittelt vom Bundesumweltministerium, hat der Hamburger Senat vor wenigen Tagen abgeschickt. Neue Vorschläge, zusätzliche Maßnahmen zur Senkung der Stickoxid-Emissionen sind darin nicht enthalten. Der Senat verfolgt gegenüber Brüssel die gleiche Strategie wie gegenüber dem Hamburger Verwaltungsgericht: wir machen schon sehr viel, der Luftreinhalteplan wirkt. Und mehr – eine Umweltzone, Tempo 30 oder eine City-Maut – kann man nicht tun. Ob sich die EU-Kommission damit zufrieden gibt, ist offen.
Verfahren gegen die Bundesrepublik
Falls nicht, könnte nach dem Pilotverfahren ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet werden. Möglich wäre das, wenn am 01.01.2015, nach Ablauf der bereits gewährten 5-jährigen Schonfrist die NO2-Grenzwerte in deutschen Städten immer noch nicht eingehalten werden. Ob es tatsächlich zu diesem Verfahren, an dessen Ende Strafzahlungen stehen könnten, kommt? Der grüne EU-Parlamentarier Bas Eickhout wagt eine Prognose:
"Ein sensibles Thema ist das! Gerade zum jetzigen Zeitpunkt. Weil die Kommission weiß, dass sich die Luftqualität in vielen Städten verbessern muss! Das ist wichtig für die europäischen Bürger. Auf der anderen Seite wissen sie, dass es eine sehr schwierige Sache ist, gerade für die größeren Mitgliedsstaaten. Für Großbritannien oder Deutschland. Bisher hat die Kommission ihnen immer wieder Zeit gegeben. Aber das wird aufhören. 2015 sind die fünf zusätzlichen Jahre um. Dann muss es aufhören. Und dann wird die Kommission handeln müssen."
Aber erst einmal wird abgewartet, werden die neuesten Stellungnahmen der deutschen Städte zum Thema geprüft. Erst dann wird über die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens entschieden.
Zurück in der Max-Brauer-Allee in Hamburg. Bei Mathias Pätzold, der sich nicht recht darüber freuen kann, dass das Verwaltungsgericht auf seine Initiative hin den Hamburger Senat zum Handeln gezwungen hat. Die Stadt hat Berufung eingelegt, der Rechtsstreit geht weiter. Obwohl niemand bestreitet, dass die Stickoxid-Grenzwerte nicht eingehalten werden.
"Ja. Das kommt einem irgendwie absurd vor. Weil man sich dann halt fragt: was brauche ich eine Politik, wenn sie nicht, wenn sie es einfach nicht anpackt."
Ein mögliches Vertragsverletzungsverfahren der EU könnte fünf, sechs Jahre dauern. Fünf, sechs Jahre, in denen sich die Hamburger Luft so weit verbessert haben wird, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Das beteuert der Hamburger Senat. Es sind aber auch fünf, sechs Jahre, in denen Mathias Pätzold und viele Zehntausend Hamburger Stickoxidkonzentration über dem Grenzwert einatmen müssen, sobald sie vor die Haustür treten.
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