Saudische Milliarden "wichtig zur Stabilisierung"

Henner Fürtig im Gespräch mit Gabi Wuttke · 20.08.2013
Die Festigung der gegenwärtigen Entwicklung in Ägypten sei nur möglich, wenn es den Machthabern gelinge, "zumindest kurzfristig für ökonomische Erleichterung zu sorgen", sagt Henner Fürtig, Direktor des GIGA Instituts für Nahoststudien. In diesem Sinne sei das saudische Geld wichtig. EU und USA hätten keinen messbaren Einfluss.
Gabi Wuttke: Hat der Bürgerkrieg in Ägypten schon begonnen oder steht er noch bevor? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander. Feststeht: Der Westen beißt diplomatisch auf Granit. Um sich auf keine Seite zu stellen, könnte Europa morgen verkünden, seine Entwicklungshilfe einzustellen, was Deutschland bereits getan hat. In die Bresche wollen dann die Saudis springen, die wahhabitischen Verbündeten schon von Husni Mubarak kündigten an, im Ernstfall Milliardenlöcher auszugleichen. Was bedeutet das? Auskunft kann Henner Fürtig geben, er ist der Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. Einen schönen guten Morgen!

Henner Fürtig: Ja, einen schönen guten Morgen!

Wuttke: Was ist für Sie bedeutsamer, der mögliche Zahlungsstopp der EU oder eine Ausgleichszahlung Saudi-Arabiens an die neuen Militärmachthaber?

Fürtig: Ja, von beiden gehen sehr symbolische Signale aus. Die EU zeigt deutlich ihren Unwillen mit der gegenwärtigen Entwicklung in Ägypten, während Saudi-Arabien ganz deutlich zu erkennen gibt, dass der Sturz Mursis und die Machtübernahme durch das Militär beziehungsweise eine technokratische Regierung absolut in ihrem Kalkül liegt und sie bereit sind, sehr viel Geld aufzuwenden, um diese Entwicklung zu festigen.

Wuttke: Ist die Rechnung in der Region denn ganz einfach? Wer Mubarak unterstützt hat, unterstützt jetzt auch die Militärmachthaber, und eben nicht die Muslimbrüder?

Fürtig: Ich glaube, es geht gar nicht so sehr um die Unterstützung Mubaraks, das ist für alle Vergangenheit, und zwar sehr, sehr, ich sage mal, tote Vergangenheit. Es geht viel mehr darum, dass große Teile der arabischen Welt, vor allen Dingen der Monarchien, auf keinen Fall eine islamisch legitimierte republikanische Regierung wollen, wie sie die Muslimbruderschaft repräsentiert. Das ist für sie Anathema, es geht tatsächlich, wie ich gesagt habe, eher gegen die Muslimbrüder als um irgendetwas zur Wiederherstellung des Mubarak-Regimes.

Wuttke: Und was macht die Arabische Liga zurzeit? Man wundert sich ein bisschen, wo sie abgeblieben ist!

Fürtig: Gut, die Arabische Liga ist schon Jahrzehnte, um nicht zu sagen, aus der Tradition heraus, sehr stark auf Ägypten zentriert. Ägypten ist das Zentrum der arabischen Welt, die Arabische Liga ist in Ägypten gegründet worden, sie waren jahrelang das Hauptquartier. Also, das ist völlig normal, dass die Arabische Liga sich nicht wesentlich anders verhalten wird als die gegenwärtige Regierung in Ägypten. Insofern ist das Schweigen relativ gut nachzuvollziehen. Und natürlich sind wichtige Mitglieder in der Liga eben die besagten Monarchien, die sich auch über die gegenwärtige Entwicklung eher freuen als ärgern.

Wuttke: Wo steht denn eigentlich das kleine Katar?

Fürtig: Katar ist von der Entwicklung deutlich überrascht worden. Es ist bekannt, dass Katar die Regierung der Muslimbruderschaft in Ägypten unterstützt hat, ganz im Gegensatz zu anderen Monarchien. Das ist ein bisschen eine Anomalie, denn auch Katar ist eine Monarchie, aber der Herrscher hat ja vor wenigen Monaten gewechselt - auch sehr unüblich, dass der Vater in einem sehr unblutigen Übergang die Macht an seinen Sohn weitergegeben hat, auch das zeigt das Katar anders ist als die Nachbarn.

Katar war es wesentlich darum getan, dass die Muslimbruderschaft eine islamische Regierung, einen islamischen Entwicklungsweg einschlagen wollten, und den katarischen Herrscher hat weniger interessiert, auf welche Weise das geschieht, ob durch Wahlen oder durch Bestimmung. Auch das zeigt, dass er sich sehr deutlich von seinen Nachbarherrschern unterscheidet.

"Kurzfristig für ökonomische Erleichterung sorgen"
Wuttke: Wie allein die Muslimbrüder jetzt dastehen, das könnte auch die Anmerkung des Außenministers von Katar deutlich machen. Der sagt nämlich, inzwischen unterstütze man keine einzelne Partei in Ägypten mehr, sondern das Land als Ganzes!

Fürtig: Erstens war die Muslimbruderschaft keine Partei, sondern eine Organisation. Sie haben ja extra eine Partei ausgegründet. Aber das könnte jetzt eine rein sophistische Darstellung sein. Ich glaube eher, die katarische Außenpolitik wird deutlich machen, dass aus ihrer Sicht die legitime Regierung Ägyptens in Gestalt des Präsidenten Mursi gestürzt worden ist. Und wenn man jetzt die gestürzte Regierung unterstützt, unterstützt man eigentlich die legitime Regierung des Landes. Insofern könnte Katar durchaus mit der Unterstützung fortfahren.

Wuttke: Aber das, was die Saudis angekündigt haben und was sie längst tun, das ist kein Sophismus!

Fürtig: Nein, was die Saudis machen, ist völlig klar. Sie sagen, dass der militärische Umsturz von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung getragen ist, insofern bemühen auch sie quasi demokratische Begründungen und dass damit quasi der Volkswille zum Ausdruck gebracht worden ist, und dass sie in dem Sinne die Entwicklung bereitwillig unterstützen.

Wuttke: Ist denn aus Ihrer Sicht das Geld ein ausschlaggebender Faktor für die Zukunft Ägyptens?

Fürtig: Wenn man sieht, dass die Unruhen vor zwei Jahren, der Sturz Mubaraks, im Wesentlichen durch eine unhaltbare ökonomische Situation vor allen Dingen für große Teile der jugendlichen Bevölkerung entstanden ist, dann ist völlig klar, dass auch die Festigung der gegenwärtigen Entwicklung nur möglich ist, wenn es den Machthabern gelingt, zumindest kurzfristig für ökonomische Erleichterung zu sorgen, die Subventionen weiter zu zahlen, die Nahrungsmittel, die Grundnahrungsmittel so weit zu subventionieren, dass sie sich auch die arme Bevölkerung leisten kann. Und in dem Sinne sind natürlich die saudischen Milliarden ausgesprochen wichtig zur Stabilisierung.

Wuttke: Und inwiefern stabilisiert sich Saudi-Arabien damit selbst?

Fürtig: Saudi-Arabien sorgt vor allen Dingen dafür, dass der, ich sage es mal etwas salopp und in Anführungsstrichen, dass der Virus des Umsturzes möglichst weit vom Lande ferngehalten wird. Es ist erstaunlich und nur mit sehr viel Geld zu erklären, dass der Arabische Frühling, um mal diesen Begriff zu bebrauchen, ja bisher doch einen Bogen um das Königreich gemacht hat. Und die saudischen Herrscher wollen diesen Zustand so lange wie möglich aufrechterhalten.

Wuttke: Was sagt denn diese Gemengelage, die Sie uns gerade erläutert haben, aus Ihrer Sicht über die Haltung der USA und der EU?

Fürtig: Grundsätzlich gilt erst mal festzuhalten, dass beide an Einfluss in der Region, auf die Entwicklung in der Region deutlich verloren haben. Es zeigt sich auch, wie lange die amerikanische Regierung gebraucht hat, um zu einer Sprachregelung dessen zu kommen, was da in Ägypten stattgefunden hat. Sie haben sich um den Begriff des Putsches bis heute, ich sage es auch mal salopp, herumgedrückt, sie nehmen eigentlich nicht klar Stellung. Sie verurteilen die Gewalt, das macht die EU auch, aber im Grunde genommen einen messbaren Einfluss auf die Entwicklung kann man gegenwärtig nicht ausmachen. Weder von den USA, noch von der EU.

Wuttke: Was mich immer schon interessiert hat, Herr Fürtig, wir reden darüber, dass Ägypten politisch in einer äußerst schwierigen und fragilen Lage ist, die Wirtschaft liegt am Boden. Gibt es irgendeine Zahl, eine Einschätzung, wie viel Geld die Militärs als Unternehmen in ihrem eigenen Land, wie viel Geld die eigentlich haben, um aus eigener Kraft, wenn sie denn wollten, das Land aufzupäppeln? In ihrem Sinne dann natürlich!

Fürtig: Das liegt nicht im Sinne des Militärs. Das Militär will ja nicht Geld investieren …

Wuttke: Sie sind aber gleichzeitig ja auch Unternehmer, das ist ja das Pikante!

Fürtig: Ja, was ich damit sagen wollte, sie sind ja nicht altruistisch, die wollen Geld verdienen. Insofern ist von ihnen nicht anzunehmen, dass sie jetzt aus staatstragenden Motiven heraus Geld mit unsicheren Gewinnchancen in die Wirtschaft pumpen.

Wuttke: Nö, aber sie müssten nicht betteln gehen, wenn sie wollten?

Fürtig: Nein, betteln müssten sie nicht gehen. Allerdings darf man diesen Einfluss des Militärs auch nicht überschätzen. Es gibt natürlich aus verständlichen Gründen darüber keine genauen Zahlen, aber alle etwas angereicherten Schätzungen gehen davon aus, dass das Militär ein knappes Viertel der ägyptischen Wirtschaftsleistung wenn nicht beherrscht, dann aber zumindest beeinflusst. Das ist eine große Zahl, das ist für ein Militär auch sehr unüblich, insofern ist das auf jeden Fall bemerkenswert. Aber es reicht eben nicht aus, um die Wirtschaft als solche im Ganzen aus der Krise zu führen.

Wuttke: Professor Henner Fürtig, Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg über die Zukunft Ägyptens, gespiegelt in der Nachbarschaft.


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