Satire

Vom Avantgardekomponisten zum "Bioterrorist-Bach"

Zwei Hände fassen eine Petrischale mit Bakterienkulturen zur Genvermehrung.
Genexperimente in der eigenen Küche: So gerät Powers Protagonist ins Visier der Sicherheitsbehörden. © dpa / picture alliance / Michael Rosenfeld
Von Wolfgang Schneider · 20.08.2014
Der Amerikaner Richard Powers beschreibt in "Orfeo" mit Witz, wie ein Avantgardekomponist im Ruhestand ins Visier der Sicherheitsbehörden gerät. Nach "Der Klang der Zeit" ist Powers nun wieder zum Thema Musik zurückgekehrt. Sein Roman ist ein intellektuelles Vergnügen, das sich wie ein Soundtrack liest.
Künstliche Intelligenz, Genforschung, Musik, Spieltheorie – Richard Powers ist ein Verknüpfungskünstler, ein Autor, der Wissenschaften, Zeichensysteme und Konzepte in seinen Romanen auf anspruchsvolle Weise zusammenführt und überblendet. Das gilt auch für "Orfeo", mit dem Powers nach "Der Klang der Zeit" zum Thema Musik zurückkehrt.
Hauptfigur ist der Komponist Peter Els ("else", anders, klingt an), ein spröder, einzelgängerischer Avantgardekomponist, der sich auf seine alten Tage vom Musikbetrieb abgewandt hat (seine Werke sind weitgehend vergessen) und in einer kleinen Stadt in Pennsylvania seiner Faszination für Biowissenschaften nachgeht. In der Küche hat sich der Biopunk mit gebrauchter Ausrüstung ein Labor eingerichtet und Bakterien genetisch manipuliert. Es geht ihm um die Reize der DNA-Struktur, ihre musikalischen Qualitäten. Mehr noch, ihn treibt die Idee an, dem Bakterien-Genom eigene musikalische Patterns einzuschreiben.
Roman entwickelt sich zum Roadmovie
Mit Witz beschreibt Powers, wie Els ins Visier der Sicherheitsbehörden gerät. Als sein Hund Fidelio stirbt, wählt er in seiner Verstörung den Notruf. Kurz darauf stehen Polizisten in seiner Wohnung und wundern sich über sein Labor. Es ist die Zeit der Anthrax-Anschläge und Brief-Attentate; schnell wird Els im Zeichen des "Patriot Act" zum Zielobjekt einer Paranoia, die er letztlich gar nicht unverständlich findet: "Jedermann konnte für weit weniger als 5000 Dollar eine prachtvolle Seuche herstellen…" Als er wenige Tage später bei der Heimkehr sieht, wie sein Haus von einem Trupp in Schutzanzügen ausgeräumt wird - ein Mann stochert gar im Schornstein -, macht sich der Komponist überstürzt auf die Flucht. In den Medien wird er bald als "Bioterrorist-Bach" angeprangert. Verschollene Aufnahmen seiner Werke werden aus Archiven geholt und gelangen ausschnittweise zu nie gekannter Verbreitung.
Der Roman entwickelt sich zum konzise durchstrukturierten Roadmovie: Els' Flucht als "Fuge". Kontrapunktisch sind Kapitel über seine Biographie und seinen musikalischen Werdegang eingefügt, die eine Geschichte der Avantgarde seit den sechziger Jahren ergeben, mit dem Leitmotiv der Verteufelung des musikalischen Wohlklangs, des Kulinarischen und Breitenwirksamen. "Das war die Art von Musik, die Els schrieb: mehr Personen auf der Bühne als im Publikum."
Nuancierte Musikbeschreibungen
Es ist zugleich eine – zeitgeschichtlich unterfütterte – Reise zu den vier wichtigsten Menschen seines Lebens: seiner Ex-Frau, seiner Tochter - einer Informatikerin -, seiner Jugendliebe und seinem wichtigsten künstlerischen Verbündeten, dem exzentrischen Skandal-Regisseur Richard Bonner. Die Erzählung dieser intensiven, von Leidenschaft, Streit und Versöhnung geprägten Beziehungen geben dem Roman die menschliche Substanz, die sich in Powers literarischen Ideen-Laboratorien sonst manchmal im Abstrakten zu verlieren drohte.
Wer ein Interesse für "neue Musik" und moderne Klassik seit Mahler mitbringt, wird die nuancierten Musikbeschreibungen von "Orfeo" genießen – Powers ist da auf der Höhe von Thomas Manns "Doktor Faustus". Zehn inspirierte Seiten über Messiaens "Quartett für das Ende der Zeit" gehören zu den Höhepunkten. Dieser – von Manfred Allíe glänzend übersetzte – Roman liest sich wie ein Soundtrack. Ein intellektuelles Vergnügen.

Richard Powers: Orfeo. Roman.
Aus dem Englischen von Manfred Allíe.
S. Fischer Verlage, Frankfurt am Main 2014
492 Seiten, 22,99 Euro

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