Satire & Missverständnis

Reizvolle Doppelbödigkeit

Der Karikaturist Heiko Sakurai
Der Karikaturist Heiko Sakurai © picture-alliance / dpa / Alina Novopashina
Heiko Sakurai im Gespräch mit Katrin Heise · 27.02.2014
Die Karikatur spiele auch mit Vorurteilen, sagt Heiko Sakurai. Er könne allerdings verstehen, warum der aktuelle Fall mit der Facebook-Krake in der "SZ" zu Antisemitismus-Vorwürfen geführt habe, so der Zeichner.
Katrin Heise: Prägnant und sofort erkennbar – die Pointe muss sitzen. Zeichnen, aber ohne Überzeichnen. Spielen mit dem Klischee, aber kein Vorurteil bedienen – oder vielleicht doch, vielleicht gerade? Die Herausforderung des Karikaturisten ist das. Wenn es gut geht, wird spontan gelacht, wenn's schief geht, muss sich der Zeichner oder die Zeitung entschuldigen wie im aktuellen Fall mit der Facebook-Mark-Zuckerberg-Krake. Heiko Sakurai ist 35 und sucht diese Herausforderung. Er ist Karikaturist. Er zeichnete für die "Financial Times Deutschland", man sieht seine Karikaturen in der "Welt" oder in der "Welt am Sonntag", in der "Berliner Zeitung" auch immer wieder, und er wurde schon mehrmals mit dem Deutschen Preis für politische Fotografie und Karikatur, der "Rückblende", ausgezeichnet, in diesem Jahr auch mit dem ersten Preis. Ich grüße Sie, Herr Sakurai!
Heiko Sakurai: Hallo! Ich bin zwar leider ein paar Jahre älter inzwischen. Aber –
Heise: Oh!
Sakurai: – ich freue mich trotzdem!
Heise: Über das Alter breiten wir den Mantel des Schweigens. Sie klingen aber immer noch jung! Wir nehmen die beschriebene Karikatur jetzt mal zum Anlass, wollen aber nicht über den Antisemitismusvorwurf reden, nicht darüber, was darf eine Karikatur. Ich möchte vielmehr erfahren, wie arbeiten Sie als Zeichner, also, wie erarbeiten Sie sich eine politische Satire in nur einem Bild. Wollen Sie, Herr Sakurai, mit jeder Karikatur ein politisches Statement abgeben, Position beziehen?
Sakurai: Ich denke, das ist der Idealfall und der Anspruch einer Karikatur, dass sie wie ein politischer Kommentar, wie ein Leitartikel tatsächlich nicht nur einen Sachverhalt abbildet, sondern auch Position bezieht. Ich kann nicht behaupten oder reklamieren, dass es immer so funktioniert, aber das ist der Idealfall jedenfalls.
Heise: Also kein Für und Wider ist dann eigentlich möglich, das ist ein Punkt, Gegner quasi inbegriffen?
Sakurai: Ja, genau. Und ich denke auch, es geht bei einer Karikatur auch nicht darum, dass man unbedingt die Zustimmung des Lesers oder Betrachters immer bekommt. Es geht einfach darum, dass man seine eigene Meinung abbildet und dass man dann beim Betrachter einen Denkprozess in Gang setzt. Und wenn der Betrachter sich dann über dieses Problem, über diese politische Nachricht seine eigene Meinung bildet und dann zu dem Ergebnis kommt, was der Zeichner da gezeichnet hat, das ist Quatsch und Mist und der Zeichner ist ein Idiot, müsste der Zeichner, müsste ich damit leben, aber hätte auf jeden Fall erreicht, dass der Leser selber drüber nachdenkt, und das ist die Hauptsache.
Heise: Aber – also Kritik ja oder Missfallen ja, aber Protest?
Sakurai: Ja, natürlich auch Protest. Wenn es politische Missstände gibt, zum Beispiel.
Heise: Nein, ich meine Proteste der Leser. Nicht von Ihrer Seite aus, na klar. Aber jetzt gegen die Karikatur. Lauter Protest, wie jetzt geäußert.
Sakurai: Ja – eine Karikatur und ein Karikaturist sind immer in der Gefahr, missverstanden zu werden, weil eben die Karikatur auch doppelbödig sein sollte und mit Andeutungen und Doppelbödigkeiten spielt. Wenn man natürlich das Pech hat, dass man in einem sehr brisanten Feld missverstanden wird, dann gibt es halt auch Proteste.
Heise: Na gut, das Feld hätte man in dem Fall ja vielleicht nicht ganz so brisant machen müssen. Die Position, die man darstellt, muss sich natürlich sofort erschließen, sofort erkennbar sein. Also greift man aber durchaus auf Stereotype zurück. Ich sag jetzt mal, der Kapitalist hat fast immer eine Zigarre im Mund, der Bettler immer eine abgerissene Hose an, der Großkonzern – wie sieht der Kapitalismus insgesamt so aus bei Ihnen?
"Auf Stereotypen oder auf Klischees angewiesen"
Sakurai: Ja, also da bin ich auch nicht so originell. Der Großkapitalist oder der Großunternehmer, den zeichne ich auch immer noch im Anzug und mit Zigarre. Ich glaube auch, dass es tatsächlich so ist, dass eine Karikatur bis zu einem bestimmten Grad auf Stereotypen oder auf Klischees angewiesen ist. Allerdings, man muss natürlich aufpassen, welche Klischees man benutzt, und man sollte auch aus qualitativen Gründen es nicht dabei bewenden lassen, sondern man sollte auch probieren, zum Beispiel den Pleitegeier oder das Haushaltsloch, wenn man es denn wieder bemüht oder wenn man ihn dann wieder bemüht, vielleicht in einen neuen Zusammenhang stellen, irgendeinen neuen Dreh finden, weil sonst eine Zeichnung einfach auch nicht sehr originell ist.
Heise: Sie arbeiten mit Klischees, mit Vorurteilen?
Sakurai: Vorurteile, das ist ein – klar, man arbeitet in gewisser Weise als Zeichner auch mit Vorurteilen. Allerdings, eine Karikatur ist ja doch auch ein Medium, das aufklären soll. Das ist, würde ich sagen, der Anspruch einer Karikatur.
Heise: Aber dazu muss man erst mal das Vorurteil wieder reproduzieren, sozusagen.
Sakurai: Na ja, aber man sollte ihm dann zumindest kritisch begegnen und versuchen, es zu demaskieren, wie auch immer. Man sollte zumindest bei negativen Vorurteilen dann nicht natürlich hinten mit aufspringen.
Heise: Wie gehen Sie mit Äußerlichkeiten um, also dick, dünn, hässlich, schön?
Sakurai: Ich denke, wenn ein Politiker dick ist, hat man auch das Recht, ihn dick zu zeichnen. Man sollte dann halt nur sozusagen bei allen Personen die gleiche Waffe anwenden. Man sollte sich nicht bei bestimmten Politikern zurückhalten, weil sie einem vielleicht genehmer sind, und bei anderen Politikern dann, weiß ich nicht, die Ohren noch riesiger zeichnen, auch wenn er gar keine großen Ohren hat. Also – Obama hat große Ohren, also darf man ihn auch mit großen Ohren zeichnen, denke ich, ohne dass dann gesagt wird, man ist Rassist.
Heise: Altmaier und Gabriel sind beide ziemlich dick.
Sakurai: Ja, die sind beide ziemlich dick, kokettieren ja auch teilweise mit ihrem Gewicht, also denke ich, dass sie es auch verschmerzen können, ohne zum Therapeuten gehen zu müssen, wenn sie in einer Karikatur dann als dick gezeichnet werden.
Heise: Die Arbeit eines Karikaturisten, die beschreibt hier im Radiofeuilleton der Karikaturist Heiko Sakurai. Herr Sakurai, Sie haben gerade Obama erwähnt. Bei Körpermerkmalen wird es ja durchaus auch schnell rassistisch.
Sakurai: Ja. Das ist natürlich eine Gefahr. Ich bin selber halb asiatisch, mein Vater ist Japaner. Und Asiaten haben natürlich schmalere Augen. Und als kleiner Junge habe ich auch hin und wieder, nicht häufig, aber habe ich auch hin und wieder das Schimpfwort "Schlitzauge" gehört, also kenne ich so ein bisschen das Gefühl.
Heise: Zeichnen Sie Asiaten trotzdem so?
Sakurai: Ja! Ich zeichne sie so, weil sie zum großen Teil so aussehen. Und weil ich auch nicht schlimm finde, dass sie so aussehen. Also bin ich bei Asiaten relativ – da fühle ich mich relativ sicher. Ich weiß aber auch, wenn ich Afrikaner zum Beispiel zeichne, dass die natürlich ausgeprägte Lippen haben, und das mache ich auch, aber ich überzeichne es nicht total extrem, weil ich da natürlich auch Angst habe, an bestimmte rassistische Grenzen zu stoßen.
Heise: An rassistische Grenzen zu stoßen oder eben auch an bereits bekannte Bilder aus früheren Zeiten zu erinnern. Also diese Krake ist ja auch deswegen so aufgestoßen, weil sie an Nazi-Hetzbilder erinnerte.
Sakurai: Ja. Wobei man …
Heise: Und bei Schwarzen mit den wulstigen Lippen ist es das Gleiche.
"Es ist nachvollziehbar, dass es zu solchen Vorwürfen kommt"
Sakurai: Klar. Bei Schwarzen mit den wulstigen Lippen ist es das Gleiche. Das Schlimme ist, dass leider auch die Karikaturen zum Besten wie zum Schlechtesten verwandt wurde. Das ist so. Deswegen muss man da aufpassen, bestimmt. Aber bei der Krake zum Beispiel – ich habe auch schon eine Menge Kraken gezeichnet, um auszudrücken, da ist ein – ja, ich habe es mal mit Google gemacht. Da ist ein Konzern, der wirklich alles umklammert.
Heise: Da hätten sie aber wahrscheinlich oder haben Sie eben keine Hakennase dran gemalt, das ist ja der Punkt. Der Antisemitismus-Vorwurf speist sich ja daraus.
Sakurai: Genau, speist sich aus dem Porträt, klar. Und in gewisser Weise ist es auch nachvollziehbar, dass es zu solchen Vorwürfen kommt. Ich weiß andererseits, auf der anderen Seite auch ganz genau, weil ich den Kollegen gut kenne, dass es niemals seine Absicht war. Und ich weiß auch, wie man tatsächlich in solche Situationen gerät. Wenn man nämlich wirklich mit keinem Gedanken an eine solche Verwicklung denkt. Das hört sich jetzt naiv an, aber ich bin selber schon in Situationen gekommen, wo ich etwas gezeichnet habe, was von den Leuten vollkommen anders aufgefasst wurde. Ich hatte bisher das Glück, dass es nicht in diesem speziell brisanten Feld passiert ist. Und da bin ich auch sehr vorsichtig. Aber es kann jedem Zeichner passieren. Und das macht auch den Reiz der Karikatur aus, dass eben diese Doppelbödigkeit immer da ist. Deswegen würde ich da wirklich gerne eine Lanze für den Kollegen brechen, in dem Wissen auch, weil ich mit ihm lange Jahre befreundet bin, dass er ganz fern davon steht.
Heise: Sie haben gesagt, dass Sie das manchmal, dass man das ja selber dann oft, weil es einem so weit weg liegt, überhaupt nicht auf den Gedanken kommt, jemand anders könnte das so sehen. Zeigen Sie Ihre Zeichnungen eigentlich, bevor Sie sie veröffentlichen? Wie arbeiten Sie überhaupt? Nur nach Auftrag?
Sakurai: Na ja, ich arbeite schon nach Auftrag, aber ich habe große Freiheiten. Das heißt, dass ich meine Skizzen selber anbiete, also, dass ich die Themen selber suche und das dann anbiete, und dass dann in der Regel etwas davon genommen wird. Das Arbeiten eines Karikaturisten ist ja im stillen Kämmerlein normalerweise, und wenn, dann kann ich meine Skizzen meiner Frau zeigen und dann auch sehen, wie sie darauf reagiert. Und teilweise, bei bestimmten schwierigen Sachen zeige ich sie und sage, wie würdest du das verstehen. Aber es hängt so viel davon ab, wie eine Zeichnung verstanden wird. Es hängt davon ab, wie der Betrachter dem Zeichner gegenüber eingestellt ist. Meine Frau weiß, was für ein Typ ich bin, und die würde mir bestimmte Sachen auch nicht unterstellen. Aber ein Fremder kennt mich ja gar nicht. Und ich habe bei solchen Diskussionen leider auch gemerkt, also wenn ich das Gefühl hatte, ich wurde missverstanden, dass Erklärungen dann auch schwierig sind, weil die andere Seite natürlich dann auch darauf beharrt, ach ja, jetzt ist das der geordnete Rückzug, und jetzt ist er zu feige, das zuzugeben und so weiter – es ist schwierig.
Heise: Eine Karikatur kann und will ja auch gar nicht PC sein, aber man muss die Grenze zum Hohn oder eben zum Rassismus, zu solchen Dingen, wirklich einhalten. Wie?
Sakurai: Die Grenze zum Rassismus in jedem Fall, die Grenze zum Hohn – na ja, gut, ich meine, Hohn und Spott, das liegt eng beieinander. Ich glaube, dass jeder Zeichner seine ethischen Grenzen hat, die er selber definiert. Für mich ist ein wichtiger Grundsatz, dass man in keinem Fall Opfer verhöhnen darf oder Opfer verspotten darf. Also eine Karikatur ist immer ein Mittel gegenüber des Schwachen gegenüber dem Mächtigen, nie andersherum. Man tritt immer nach oben, man tritt nie nach unten. Ich glaube, das ist – das ist für mich zumindest eine wichtige Leitlinie, an die ich mich zu halten versuche. Aber generell muss wirklich jeder sehen, wie hart er schlägt, wie weit er Richtung Zynismus geht. Das macht aber andererseits auch den Reiz einer Karikatur aus. Wie Sie gerade schon sagten, immer nur PC-Sachen – da hätten wir alle keine Probleme, aber lustig wäre es auch nicht.
Heise: Ein Werkstattgespräch mit dem Karikaturisten Heiko Sakurai war das. Ich danke Ihnen ganz herzlich, Herr Sakurai!
Sakurai: Frau Heise, ich danke Ihnen! Tschüss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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