Satire

Böse Abrechnung mit dem englischen Bildungssystem

Von Manuela Reichart · 07.07.2014
Evelyn Waugh hat schon 1928 die englische Gesellschaft bitterböse durch den Kakao gezogen. Sein Held Paul Pennyfeather scheitert in Oxford und dann auch an einer Privatschule in der Provinz. Die neue Übersetzung lässt die schnöseligen Schüler genauso auferstehen wie deren beschränkte Eltern.
Ein Klassiker neu übersetzt: eine höchst unterhaltsame und böse Satire auf die englische Gesellschaft. Der Besuch einer englischen Eliteuniversität wie Cambridge oder Oxford steigert nicht nur die Karrierechancen in Großbritannien - besagt eine neue Studie -, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, psychische Schäden fürs Leben davon zu tragen. Und das offenbar nicht nur, weil der Konkurrenzdruck dort so enorm ist.
Diese aktuelle Meldung passt zur gelungenen Neuübersetzung des ersten Romans von Evelyn Waugh aus dem Jahr 1928. Im Vorwort beschreibt der Autor (1961), warum der eine Verlag das Manuskript einst abgelehnt, der andere Änderungen verlangt hatte. Man war schockiert über diese Satire auf die Klassen-Gesellschaft, in der es auch um käuflichen Sex und Mädchenhandel, vor allem aber um die grundsätzliche Fragwürdigkeit des englischen Bildungssystems und das ererbte Vertrauen auf Adel und Geld geht.
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Ein braver Oxford-Student mit dem vielsagenden Namen Paul Pennyfeather wird relegiert, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Sturzbetrunkene Kommilitonen und ehemalige Absolventen des ehrenwerten Colleges erlauben sich einen Spaß auf seine Kosten. Er muss ohne Hose über den Hof laufen und ist danach fürs traditionsbewusste Institut nicht mehr tragbar. Ohne Abschluss, aber mit Oxford-Hintergrund bekommt er eine Stelle als Hilfslehrer in Wales - und gerät erst recht in den Irrsinn der privaten Schulbildung.
Evelyn Waugh, der selber sein Geschichtsstudium in Oxford abgebrochen und als Lehrer und Reporter gearbeitet hat, entwirft in dieser kompromisslosen Parodie britischer Gebräuche und Lebensformen ein Panoptikum der arrivierten englischen Gesellschaft und ihrer verzogenen Sprösslinge. Ein rasant erzählter Klassiker der englischen Literatur, in dem uns der Autor auch klar macht, dass sein passiver Held als tragende Figur einer Geschichte ziemlich ungeeignet ist, und in dem man viele unschlagbare Sätze findet: "Wenn jeder Zwanzigjährige begreifen würde, dass er sein halbes Leben über vierzig sein wird..."
Die Lehrer-Kollegen des Herrn Pfennigfeder sind jedenfalls durchweg gescheiterte Existenzen, die Schüler unerzogene dumme Schnösel, ihre Eltern beschränkte Adlige, und die Liebesaffäre mit einer schönen Dame der besten Gesellschaft, die den Helden fast reich und berühmt gemacht hätte, bringt ihn bedauerlicherweise nur hinter Gitter, aber "wer eine englische Privatschule besucht hat, wird sich im Gefängnis vergleichsweise wohl fühlen".
Am Ende dieser amüsanten Satire auf den Bildungsroman ist der Held wieder da, wo er angefangen hat: in Oxford. Er löscht das Licht und geht beruhigt zu Bett.

Evelyn Waugh: "Verfall und Untergang"
Aus dem Englischen von Andrea Ott
Diogenes Verlag, Zürich 2014
300 Seiten, 21,90 Euro