Sanfte Gesten

Von Thomas Migge · 09.03.2013
Kurz nach dem Rücktritt des Papstes raunten italienische Zeitungen von einem Netzwerk Homosexueller im Vatikan, über das Benedikt XVI. in einem internen Bericht zum Vatileaks-Skandal gelesen habe. Gibt es solche Seilschaften wirklich?
Ein junger katholischer Geistlicher schreit ein Kruzifix an. Verzweifelt fordert er Jesus dazu auf, irgendetwas zu tun, ihm irgendwie zu helfen, ihm zur Seite zu stehen, damit er mit seiner Homosexualität leben kann. Antonia Birds Film "The priest" von 1994 behandelt das Thema Priestertum und Homosexualität auf eine feinfühlige Art. Das Leiden des jungen Geistlichen ist das Thema des ergreifenden Films.

Doch es gibt auch eine Vielzahl von Geistlichen, die ihre schwule Sexualität ausleben, ohne große Probleme damit zu haben. Auch in Rom und anscheinend auch im Vatikan. Immer wieder strahlen italienische Fernsehsendungen Interviews mit homosexuellen Geistlichen aus dem Kirchenstaat aus, wie hier im privaten Kanal La 7, die für großes Aufsehen sorgen: Die Stimme des Geistlichen ist verstellt, sein Gesicht ist nicht zu erkennen, sein Name wird nicht genannt.

Brisant wird in Italien eine solche Berichterstattung immer dann, wenn sie auf den Vatikan zu sprechen kommt. Don Franco Barbero kennt sich mit dieser Realität aus. Wegen seiner auch in Sachen Homosexualität nicht doktrinären Ansichten wurde er von seiner Kirche exkommuniziert. Seit Jahren setzt er sich für schwule katholische Geistliche ein:

"Im Vatikan gibt es viele Homosexuelle. Das sind fast alles Menschen, die ihre Sexualität unterdrücken. Diese Realität wird zwar totgeschwiegen, ist im Vatikan aber jedem bekannt."

Don Barbero wundert sich deshalb nicht, wenn in Bezug auf den Vatileaks-Bericht, den der zurückgetretene Benedikt XVI. in seinem privaten Safe untergebracht hat und erst seinem Nachfolger überreichen will, auch von einer, so die in Vatikanangelegenheiten gut informierte "la Repubblica", "schwulen Seilschaft innerhalb des Kirchenstaates" die Rede zu sein scheint. Eine Seilschaft, so die Zeitung, die innerhalb der Kurie und den Dikasterien, den vatikanischen Ministerien, Einfluss genieße.

"Es wird akzeptiert, solange es heimlich ist"
Verschiedene italienische Vatikanexperten wollen erfahren haben, dass Benedikt XVI. besonders von den Seiten des Vatileaks-Berichts, die auf Homosexuelle innerhalb des Vatikans zu sprechen kommen, entsetzt gewesen sein soll.

Auch der deutsche Theologe David Berger, vor seinem Aufsehen erregenden Outing Vertreter einer besonders erzkonservativen katholischen Kirche, scheint sich beim Thema Homosexualität im Vatikan auszukennen, wie er in der Talkshow SWR Nachtcafè verriet:

"Es wird akzeptiert, solange es heimlich ist. Es ist bekannt, dass sogar ein Vertreter der sixtinischen Kapelle jahrelang einen Stricherring im Vatikan hatte, der den Monsignori dort Prostituierte besorgt hat."

Starker Tobak, der, solange keine genauen Namen und Umstände genannt werden, oftmals dazu benutzt wird, die Kirche im allgemeinen und den Vatikan im besonderen in Misskredit zu bringen. Sex und Kirche: das verkauft sich immer gut.

Gerade in Italien gibt es zum Thema Homosexualität im Vatikan eine Vielzahl von Büchern und Artikeln. 2011 zum Beispiel erschien das Buch "Sex and the Vatican" des Journalisten Carmelo Abbate, der bereits mit seiner Reportage zu den, so der Titel, "tollen Nächten der Vatikanpriester" im Wochenmagazin "Panorama" für scharfe Kritik seitens der Kirche sorgte.

Fakt ist, dass es bis auf Hinweise und Indizien keine präzisen Informationen und Namen zu einer so genannten schwulen Seilschaft innerhalb des Vatikans gibt. Bekannt wurde hingegen, dass Benedikt XVI. zu Beginn seines Pontifikats verschiedene hohe Geistliche in vatikaninternen Führungspositionen, denen man ein, so die Zeitung "Corriere della sera", "nicht gerade kirchenkonformes Privatleben" nachsagte, versetzt hat. Aber damit hatte es sich auch schon.

Kein Wunder, meint Ilaria Donatio, Journalistin und Autorin des Buches "Opus Gay":

"Oft hört man sagen: Ratzinger und sein Privatsekretär: Wer weiß, in welchen Beziehungen die beiden zueinander stehen? Das ist alles Gerede. Es gibt keinerlei Hinweise, die solche Gerüchte untermauern. In der geschlossenen männlichen Gesellschaft des Vatikans existieren sicherlich homosexuelle Beziehungen, aber das heißt noch lange nicht, dass diese Beziehungen gelebt werden wie in der übrigen Gesellschaft."

Kommt das Thema jetzt auf den Tisch?
Damit meint die Journalistin Donatio jene ganz besonderen Beziehungen, die es in der modernen Gesellschaft wahrscheinlich nur noch innerhalb der katholischen Kirche gibt. Es handelt sich um ein Verhalten, das man mit "sanfte Gesten" umschreiben kann: Ein älterer Würdenträger ernennt einen jüngeren Geistlichen zu seinem "pupillo", seinem Augapfel. Er nimmt ihn unter seine Fittiche: überträgt ihm ein Amt, einen Verantwortungsbereich oder macht ihn zu seinem privaten Sekretär.

Dabei komme es sicherlich zu körperlichen Kontakten. Ilaria Donatio spricht in diesem Zusammenhang von "sanften Gesten":

"In dieser geschlossenen Gesellschaft macht man jemanden, den man mag, zu seinem Protegé, zu seinem Schützling. Man denkt immer sofort an einen physischen Kontakt, aber hier handelt es sich oftmals nur um sublimierte Gefühle, die typisch sind für eine rein männliche Gesellschaft, in der das Geschlechtliche unterdrückt wird."

1999 erschien im Mailänder Verlag Kaos-Edizioni das Buch, zu deutsch: "Vom Winde verweht im Vatikan". Die Autoren nannten sich "I millenari". Hinter dem Pseudonym verbarg sich eine Gruppe pensionierter Geistlicher, die in mittleren Führungspositionen im Kirchenstaat gearbeitet hatten. Das Buch reiht Begebenheiten aus dem Vatikan auf, aus seinem Innenleben, in denen von Korruption und anderen nicht kirchenkonformen Begebenheiten die Rede ist. Auch von homosexuellen Seilschaften. Das Enthüllungsbuch, das Namen, Daten und Orte nennt, sorgte für großes Aufsehen – wurde von der Kirche aber nicht kommentiert. Den anonymen Autoren ging es darum, mit ihrem Buch Probleme anzusprechen, die ihrer Meinung bekämpft werden müssen.

Ähnliche Forderungen stellen in diesen Tagen auch einige der zum Konklave angereisten Kardinäle, vor allem aus den USA. Sie sprechen sich offen dafür aus, dass ihre wahlberechtigten Kollegen sich für einen Papstnachfolger entscheiden, der mit der, wie es heißt, "großen Unordnung im Kirchenstaat", aufräumen soll.

Ob sich die drei Kardinäle, die den Vatileaks-Bericht erstellt haben - Julian Herranz, Jozef Tomko und Salvatore De Giorgi – dazu entscheiden werden, den Inhalt des geheimen Berichts den wahlberechtigen Kardinälen offenzulegen – allerdings ohne die darin enthaltenen Namen zu nennen, ist noch unklar. Damit würde, zum ersten Mal überhaupt, innerhalb des Kardinalkollegiums das Thema homosexueller Seilschaften im Vatikan auf den Tisch kommen.
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