San Francisco ist anders

11.04.2008
In San Francisco kann man den ganzen Tag im Pyjama verbringen und "geht immer noch als elegant durch" - Milena Moser schreibt über die Stadt, in der sie acht Jahre gelebt hat. Mit Witz und Spott macht sie Lust, selbst einmal nach "Frisco" zu fahren.
Milena Mosers Literatur ist meistens Gift - für Genre-Fetischisten. Das gilt natürlich auch für "Flowers in your hair". Das Buch ist alles Mögliche nicht: kein Stadtführer durch die legendäre Hippie-Hochburg, kein Ratgeber für Auswanderer und keine Anleitung zum Glücklichwerden, weder Roman noch Autobiographie.

Es ist alles zusammen und viel mehr als die bloße Summe aus allem. Nebenbei ist es das 13. Buch der Schweizer Schriftstellerin, das das Licht des Marktes erblicken darf, und wieder ein Glücksfall. (Was das Beängstigungspotenzial dieser Zahl ein für allemal relativieren dürfte.) Denn wieder erzählt es so leichtfüßig und lebensklug vom oft so bedauerlich bananenfüßigen Leben, wie es nur Milena Moser kann.

"If you're going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair!" hatte Scott McKenzie 1967 das Klima im "Summer of love" besungen. Milena Moser stellt 1998 - nach einem Kurztrip, bei dem sie ihrem ironischen Selbstporträt als Katastrophen-Jule wieder mal ein paar Pinselstriche hinzugefügt hatte - fest, dass sie nach San Francisco gehört. Unbedingt. Wenigstens testweise. So für ein Jahr. Genau so wie seinerzeit diese Mary-Ann Singleton aus Cleveland, Ohio, und vor allem aus Armistead Maupins "Tales of the city" von 1976 ff.

Also fährt sie hin, allein, und hat vier Tage Zeit, um die banalen Dinge des Alltags zu organisieren - einen Aufenthaltsstatus für sich und ihren Mann, Plätze in den landesüblichen Bildungsanstalten für die drei- und zehnjährigen Söhne, eine Wohnung. Letztere ist zu der Zeit im Prinzip nicht zu finden, da Silicon Valley boomt und die Immobilienpreise verdirbt. Aber unerklärliche Unbedingtheiten haben ihre eigenen Prinzipien: Im Haus eines ähnlich schrägen Paars mit zwei Söhnen ist eine Art Baustelle frei. Mit Garten. Sie kriegt den Zuschlag - dank Maupin. Mehr wird nicht verraten.

Was folgt, sind insgesamt acht Jahre, die man getrost als friedlichen "clash of civilizations" bezeichnen darf. Alltag in einer Gesellschaft, die ständig auf Diät ist und Essen und Trinken für Suchtkrankheiten hält, die die zweithöchsten Lebenshaltungskosten der USA, aber Infrastruktur und Sozialnetz auf Drittweltstandard hat, die Fernsehen religiös betreibt, Schweizer mit Schweden verwechselt und irgendwie unromantisch, unerotisch, ja humorlos ist, aber gleichzeitig die quirligste Schwulenszene der Welt hatte und jedem und jeder die Freiheit lässt, "den ganzen Tag im Pyjama zu bestreiten. Und immer noch als äußerst elegant durchzugehen."

Eine Stadt voller Literatur und Film und Musik, voller irrwitziger, auch trauriger Geschichten und voller unglaublicher Leute von A wie anarchoid bis Y wie Yoga. Beobachtet, bestaunt, bespöttelt von einer ebenso gebildeten wie mit allen Trivia-Wassern gewaschenen Hausfrau-Mutter-Schriftstellerin (die Reihenfolge ist rein alphabetisch) mit mitteleuropäischem Migrationshintergrund. Und am Ende jedes Kapitels als kleine Infopakete mit Tipps und Adressen weitergegeben an jeden, der immer noch oder immer schon mal oder jetzt erst recht nach "Frisco" will.

Milena Mosers Spott trifft selbstverständlich alle - sich selbst, die (insbesondere Schweizer) Mit-Europäer und die Amerikaner. Auch diese Reihen- ist keine Rangfolge.

Milena Moser: "In acht Jahren hat sich jedes Vorurteil, das ich von Amerika hatte, bestätigt. Und gleichzeitig widerlegt. Wenn ich ein Fazit ziehen müsste, wäre es das: Amerika ist alles und das Gegenteil von allem. Amerika ist anders."

Das anscheinend triviale Fazit ist fröhliche Dialektik. In Wahrheit testet sie nämlich auch, was herauskommt, wenn man "Amerika" durch "Europa" ersetzt. Und wir, lesend, mit ihr. Beglückt, auch außerhalb von San Francisco. Denn Milena Mosers Spott ist herz- und geisterfrischend, weil er nie die reale Bitternis des Lebens verleugnet. Er kann sehr giftig sein, aber er kommt nie aus Hochmut. In seinen besten Passagen funkelt er einfach, als hätten Mascha Kaléko und Kurt Tucholsky eine "amour fou".

Rezensiert von Pieke Biermann

Milena Moser: Flowers in your hair - Wie man in San Francisco glücklich wird
Karl Blessing Verlag, München 2008
S. 288, 17,95 Euro