Sammelband "Pathenheimer: Filmfotografin"

Tiefe Einblicke in untergegangene DEFA-Welt

Cover - Dieter Chill, Anna Luise Kiss (Hg.): "Pathenheimer: Filmfotografin"
Bilder der DEFA-Fotografin Waltraut Pathenheimer © Ch. Links Verlag
Von Heike Tauch · 21.01.2017
Waltraut Pathenheimer war die erste Filmfotografin der DEFA – und die wichtigste: Ihre Bilder, genutzt als Werbeplakate, sind kleine Kunstwerke. Ein Sammelband mit Arbeiten aus 36 Jahren ermöglicht tiefe Einblicke in eine untergegangene Welt.
Wer sich nicht mit DEFA-Geschichte auskennt, dem ist der Name Waltraut Pathenheimer wahrscheinlich weniger geläufig. Doch das ändert sich, sobald man anfängt, ihren Spuren zu folgen. Denn plötzlich wird klar, wie viele Fotos und Filmplakate, mit denen man vielleicht groß geworden ist oder die heute für DEFA-Filme im Fernsehen oder in Programmkinos werben, von dieser Fotografin stammen. Waltraut Pathenheimer war mit der DEFA verwachsen.
Mit erst 22 Jahren, 1954, unterschrieb sie als sogenannte Standfotografin im "DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg" ihren ersten Arbeitsvertrag. Monatsgehalt: 450 Deutsche Mark der DDR. Sie blieb 36 Jahre – bis zum Zusammenbruch der DDR.

Bilder voller Ironie

Die Herausgeber Chill und Kiss haben für ihren Band ausschließlich schwarz-weiß Fotografien ausgewählt und diese nicht chronologisch, sondern nach Kapiteln geordnet – darunter: "Musik", "Krieg", "Arbeit", "Paare" "Klassenfeindschaft und kalter Krieg", "Küsse". Die dort versammelten Bilder zeigen den besonderen Blick und die Meisterschaft der Fotografin. Etwa das Foto zum Film "52 Wochen sind ein Jahr" von 1955.
Auf den ersten Blick typischer sozialistischer Realismus: ein Arbeiterarm, stark, ausgestreckt, vor weitem Horizont. Erst auf den zweiten Blick fällt die Schnauze eines Pferdes ins Auge, die von rechts oben in das Foto hineinragt. Durch die Korrespondenz der Pferdeschnauze mit dem Arm ausstreckenden und die Lippen aufeinander pressenden Protagonisten von links entsteht eine eigenartig ironische Bedeutung. Mit einem Mal wirkt die heroische Geste nicht mehr ganz so selbstgewiss.
Ihre Absicht könne sie nur verwirklichen, sagte Pathenheimer 1964 in einem Interview, wenn sie die Fotos selbständig arrangiere und inszeniere. Durch Umstellen der Schauspieler, durch die Wahl eines anderen Kamerastandpunktes, als ihn die Filmkamera hatte, durch Lichtveränderungen erreiche sie ihr gewolltes und überlegtes Foto.

Eigenwillige Bildsprache, die bis heute Bestand hat

Und genau diese Herangehensweise respektierten Regisseure wie Herrmann Zschoche, mit dem Pathenheimer gut zusammenarbeitete. Sie gaben der Fotografin den Freiraum, den sie brauchte, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen, verließen beispielsweise zusammen mit dem Team den Drehort, damit "Frau Pathenheimer", wie sie von vielen Kollegen bis zum Schluss genannt wurde, ungestört und eben zu ihren Bedingungen arbeiten konnte. Denn sie wussten: Das beste Foto entsteht genau dann.
Pathenheimers Bilder sind nicht nur gute Werbeplakate, sondern kleine Kunstwerke - die zu ihrer Zeit auf Filmfestivals ausgezeichnet wurden und deren eigenwillige Bildsprache bis heute Bestand hat. Denn nichts von ihrer Bildästhetik erinnert an billigen sozialistischen Agitprop, vielmehr erzählen ihre Fotografien Zeitgeschichte.
Es drängen sich Fragen auf: Was unterscheidet die DDR-Film-Ästhetik von der der Bundesrepublik? Welche Sehnsüchte werden auf den Fotos thematisiert? Welche Auswirkungen auf Pathenheimers Arbeit hatte ein kulturpolitischer Tsunami wie das 11. Plenum 1965 des ZK der SED, das sogenannte Kahlschlag-Plenum, als zahlreiche Filme, Bücher und Kunstwerke verboten wurden?
So scheint es – gerade bei manchen Fotos aus den späten 60ern – als sei Pathenheimer gewissermaßen "unter dem Radar" geflogen, da sie ja nicht Kunst, sondern Werbung machte. Denn im Grunde arbeitete sie für den Progress-Filmverleih, dem einzigen kommerziellen Filmverleih der DDR. Sie schoss ihre Aufnahmen am Set, traf eine Vorauswahl – pro Film um die 200 Fotos – und lieferte sie bei Progress ab. Dort wurde die endgültige Wahl getroffen.

DDR-Winnetou Gojko Mitic darf nicht fehlen

In einem Fotoband wie diesem darf natürlich Gojko Mitic nicht fehlen, damals der DDR-Film-Häuptling schlechthin, gewissermaßen der Winnetou des Ostens. Wir sehen ihn im Kapitel "Märchenwelten" aber auch in einer eher ungewohnten Rolle: Mit Stirnband, Bart und Pistole am Gürtel zeigt ihn die Fotografin als Seeräuber an der Reling eines Mehrmasters. Das Foto gehört zum Film "Das Herz der Piraten" von 1987. Wie so viele von Pathenheimers Arbeiten braucht auch diese den Vergleich mit westlichen Genrefilmen nicht zu scheuen. Breitbeinig und wild steht Gojko Mitic da. Den Blick in die Ferne gerichtet, nimmt er Captain Jack Sparrow vorweg – zu einer Zeit als Johnny Depp noch in der "Jump Street" herumhüpfte.
"Pathenheimer: Filmfotografin. DEFA Movie Stills" lädt ein zu einer kulturgeschichtlichen Meditation, nicht nur über ein Kapitel ostdeutscher Filmgeschichte, sondern über eine ganze Epoche mit ihren Sehnsüchten wie Verwerfungen. Wenn man an die Wirkmacht von Bildern glaubt, findet man in diesem eindrucksvollen Band vielleicht Hinweise darauf, was Ost und West bis heute verbindet, wie trennt.

Dieter Chill, Anna Luise Kiss (Hg.): Pathenheimer: Filmfotografin. DEFA Movie Stills
Ch. Links Verlag, Berlin 2016
200 Seiten, 20 Euro

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