Samar Yazbek

"Ich habe gegen meine Familie revoltiert"

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Samar Yazbek dokumentiert in ihrem Buch "Schrei nach Freiheit" die Geschehnisse des vergangenen Jahres seit Ausbruch der Revolte in Syrien. © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Von Martina Sabra · 17.09.2014
Die Journalistin Samar Yazbek nahm an der Revolution gegen das Regime al-Assads in Syrien teil. Seit drei Jahren lebt sie nun in Paris. Von dort kämpft sie weiter für Demokratie und Freiheit in Syrien.
Paris - das ist auch für Samar Yazbek die schönste Stadt der Welt. Doch obwohl sie nun schon bald drei Jahre an der Seine lebt, hat die syrische Journalistin und Romanautorin bislang kaum Zeit gefunden, wirklich anzukommen. Samar Yazbek kämpft von ihrem Pariser Exil aus für Demokratie und Freiheit in Syrien. Telefon und Skype sind ihre wichtigsten Verbindungen zur Außenwelt. Ende 2011 hatte sie aus Damaskus nach Europa fliehen müssen, nachdem sie in einem aufsehenerregenden Revolutionstagebuch die extreme Gewalt des Assad-Regimes angeprangert hatte.
"Es wurden gezielt Gerüchte über mich gestreut. Man hat versucht, meinen guten Ruf zu beschädigen und meine Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Man wollte mich einschüchtern, wohl in der Annahme, dass ich als Frau besonders große Angst haben würde."
Dinge, die sie nicht für möglich gehalten hätte
Doch Samar Yazbek ließ sich nicht einschüchtern. Im Frühjahr 2012 erschien ihr Reportageband über die syrische Revolution in mehreren Sprachen - unter dem Titel "Der Schrei nach Freiheit" auch auf Deutsch. Bis Ende 2013 reiste Samar Yazbek von ihrem Exil in Paris aus mehrmals heimlich nach Nordsyrien, wo das Regime zu dieser Zeit keine Kontrolle mehr hatte. Sie sah dort Dinge, die sie vorher nicht für möglich gehalten hätte.
"Ich habe mit eigenen Augen vor Ort gesehen, wie die moderaten Kräfte ohne Waffen dastanden, während die religiösen Extremisten massiv mit Geld, Lebensmitteln und Waffen versorgt wurden. Ich habe auch mit eigenen Augen gesehen, wie religiöse Extremisten über die türkische Grenze nach Syrien hineingelassen wurden. Alle waren Ausländer. Ich ging über die Grenze und sie standen neben mir."
Samar Yazbek ist alleinerziehende Mutter einer Tochter, eine energische, gleichwohl ruhig und besonnen wirkende Frau. Geboren wurde sie 1970 in Dschabla, einer kleinen Stadt an der syrischen Küste, wo hauptsächlich Alawiten lebten - jene Minderheit von damals etwa zwölf Prozent, zu der auch der Assad-Clan gehört, der Syrien seit über vier Jahrzehnten beherrscht.
In Geschlechterfragen gaben die Alawiten sich zumindest nach außen fortschrittlicher als andere Syrer. Doch durch die Gesetze und die gesellschaftlichen Normen seien alle Frauen in Syrien unterdrückt gewesen, sagt Samar Yazbek. Sie wollte das nicht akzeptieren.
"Ich habe meine Familie verlassen, als ich 17 war. Das heißt, ich habe gegen meine Familie revoltiert. Das war sehr schwierig."
Wenig später heiratete Samar Yazbek ohne die Zustimmung ihrer Familie, ließ sich aber schon bald wieder scheiden, ohne zur Familie zurückzukehren - noch ein Tabubruch. Samar Yazbek studierte arabische Literatur und sie begann, sich für Frauenrechte zu engagieren. Als im Jahr 2000 Baschar Al Assad an die Macht kam, hoffte sie auf Reformen. Doch die fortschrittlichen Diskurse des Regimes erwiesen sich als Rhetorik.
"Dieser Säkularismus unter Assad, den gab es doch in Wirklichkeit gar nicht. Die frauenfeindlichen Gesetze wollten wir ändern, aber Baschar hat es verhindert, um einflussreiche religiöse Männer auf seiner Seite zu haben."
Kurzgeschichten und Romane
Als Fernsehreporterin begegnete Samar Yazbek immer wieder Menschen, die durch die sogenannte wirtschaftliche Öffnungspolitik des Assad-Regimes verarmt waren. Was sie hörte und sah, setzte sie nicht nur in Fernsehfilme um, sondern auch in Kurzgeschichten und Romane. 2009, noch vor dem Beginn der syrischen Revolution veröffentlichte Samar Yazbek ihren ersten Roman, der jetzt unter dem Titel "Die Fremde im Spiegel" auch auf Deutsch erschienen ist. Die Geschichte ist brisant: Eine minderjährige Hausangestellte aus ärmlichen Verhältnissen wird von ihrer Arbeitgeberin in jeder Hinsicht ausgebeutet - auch sexuell.
"Für mich steht nicht die lesbische Beziehung im Vordergrund. Der Stoff dieses Romans ist das Leben der Unterschicht, die in den vergangenen Jahren enorm gewachsen ist und die von den Reichen ausgebeutet wurde. Und es geht um den Rechtsstaat, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Abwesenheit rechtsstaatlicher Strukturen, unter Assad hat den religiösen Extremismus und die Frauenunterdrückung begünstigt und sie hat dazu geführt, dass die Mittelklasse zerrieben wurde."
Romanautorin oder Journalistin? Samar Yazbek ist beides zugleich, und sie fühlt sich gut in der Doppelrolle. Bis Ende des Jahres will sie ihr nächstes Buch fertighaben, dieses Mal wieder ein Reportageband, über ihre Reisen nach Nordsyrien und über den dramatischen Verlauf der syrischen Revolution.
Lesung von Samar Yazbek in Berlin: 17.9.2014, 19:30 Uhr
Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne
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