Salzburger Festspiele

Schuld, Scham, Tod

Die beiden Schauspieler in einer Wohnungskulisse
Die Schauspieler Ruth Marie Kröger als "Clara Haber" und Felix Römer als "Fritz Haber" in einer Probe für "The Forbidden Zone" © dpa / picture alliance / Barbara Gindl
Von Michael Laages · 30.07.2014
Bei der Inszenierung der englischen Regisseurin Katie Mitchell "Forbidden Zone" geht es um die tragischen Verstrickungen dreier Frauen in die Geschichte des großen Völkerschlachtens im 20. Jahrhundert. Katie Mitchell erzählt die Geschichten als einen Film im Theater - und liefert damit das erste echte Schauspiel-Ereignis der Festspiele.
Neulich war die Geschichte von Clara Immerwahr ja auch im Fernsehen zu verfolgen. Die junge Wissenschaftlerin - eine der ersten im deutschen Kaiserreich vor 100 Jahren - nahm sich das Leben, als sie die Forschungen ihres Ehemanns Fritz Haber nicht verhindern konnte, der den Giftgas-Einsatz im Ersten Weltkrieg ermöglichen half und auch über Zyklon B forschte, das Gas, das später in den Konzentrationslagern der Nazis zur massenhaften Vernichtung eingesetzt wurde. Clara Immerwahr steht mit im Mittelpunkt von "Forbidden Zone", der zweiten Schauspielpremiere bei den Salzburger Festspielen auf der Perner-Insel. Die englische Regisseurin Katie Mitchell erkundet in diesem Stück die Rolle der Frauen im Krieg.
Militär und Politik sind ihnen verschlossen, selbst wählen dürfen die Frauen erst nach Ende des Welten-brands. Und nicht nur weil der Einfluss der Frauen in Staat und Gesellschaft noch gegen Null tendiert in jener Zeit, bleibt ihnen nichts als der private, fa-miliäre Kampf: Krieg und Schlacht gehören den Männern allein. Mit Zitaten von Virginia Woolf, Simone de Beauvoir und Hannah Arendt ergänzt der englische Dramatiker Duncan Macmillan die Fabel tragischer Verstrickungen dreier Frauen in die Geschichte des ersten großen Völkerschlachtens im vorigen Jahrhundert.
Von Mary Borden, einer Amerikanerin, die als Pflegerin von Kriegsopfern in Europa Zeugin des elenden Sterbens wurde (und deren Erinnerungen auch schon in Luk Percevals eindrucksvoller Weltkrieg-I-Beschwörung "Front!" am Hamburger Thalia Theater vorkamen), hat Macmillan nun den Titel "Forbidden Zone" genauso ent-lehnt wie eine der zentralen Personen; eben jene Clara Immerwahr, verheiratet mit dem führenden preußisch-deutschen Giftgas-Forscher Haber, die im privaten Kampf gegen das mörderisch-wissenschaftliche Handwerk des Gatten nicht mehr weiter leben wollte.
Sie ruft alle Götter an, um das Morden zu beenden
Parallel zu diesem Scheitern montiert Macmillan die Geschichte von Claras Enkelin – die heißt wieder Claire und arbeitet als naturalisierte Amerikanerin in einem New Yorker Labor. Dort wird gerade die Forschung an Chlor- und anderen Giftgasen eingestellt; wieder ist nämlich Krieg, und in den USA beginnt die Arbeit an der Atombombe. Zugleich entdeckt Claire, was der eigene Opa angerichtet hat, dessen Eisernes Kreuz sie bislang (neben dem Foto von Oma Clara) stets stolz in der Handtasche trug – aus Verzweiflung über diese unvergängliche Schuld nimmt auch sie sich das Leben: Schuld, Scham, Tod.
Die dritte tragische Frau in dieser kompliziert verschachtelten Fabel ist Claires Chefin – sie liebte einst einen jungen französischen Soldaten; und pflegte Pierre dann zu Tode, nach einem Gas-Angriff. Sie entdeckt die tote Claire, und sie ruft alle Götter und die Geister der Toten an, um das Morden zu beenden. Jagt ihn da oben in seinem Himmel, diesen gottlosen Gott, und schickt ihn herunter, damit er sieht, wie seine Welt zuschanden geht ... mit diesen letzten Verzweiflungen endet ein starkes Stück Erinnerungs- und Antikriegstheater.
Viel Publikum ist dieser Erkundung einer "verbotenen Zone" zu wünschen
Katie Mitchell versetzt die vertrackt ineinander übergehenden Geschichten in der ihr eigenen Meisterschaft in einen Strom der Bilder – und erzählt eigentlich wieder einen Film im Theater. Auf fünf kleine, extrem detailreich ausgestattete Mini-Bühnen verteilt sie die einzelnen Episoden. Und davor rauscht quer zur Bühne ein historischer New Yorker U-Bahn-Wagen hin und her. In ihm begegnet die ehemals deutsche Claire einem amerikanischen Army-Offizier. Die Begegnung ist voller Hass, des Eisernen Kreuzes wegen, das aus der Tasche fällt; fast kommt es zur Vergewaltigung. Wieder ist da die Gewalt des Mannes – und hilflos begibt sich die junge Claire sehenden Auges hinein ins eigene tödliche Schicksal.
Kameras folgen ihr (wie allen anderen) überall hin, der Film jedoch, den die Kameras liefern, ist immerzu und überall live. Schon öfter hat die englische Regisseurin auf diese Weise die Methoden von Film und Theater vermischt – aber kaum je zuvor wirkte die darin entwickelte stilistische Meisterschaft derart zwingend wie in diesem Fall. Gerade weil das Theater beim Blick auf den Krieg über sich hinaus wachsen muss – viel Publikum ist dieser Entdeckung und Erkundung einer "verbotenen Zone" zu wünschen, wenn die Aufführung am Beginn der Saison auf den Spielplan der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz gelangen wird. Die Salzburger Premiere war unübersehbar nicht ausverkauft – wer fehlte, hat viel verpasst: das erste echte Schauspiel-Ereignis der Festspiele.
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