Salzburger Festspiele

Immerfrische Begierde

Sven-Eric Bechtolf
Sven-Eric Bechtolf © dpa / picture alliance / Barbara Gindl
Von Frieder Reininghaus · 28.07.2015
In Salzburg triumphiert dumpfer Provinzialismus, meint unser Kritiker Frieder Reininghaus. Ein künstlerisches Armutszeugnis sei "Le nozze di Figaro" in der Regie von Sven-Eric Bechtolf mit bewährten Gags des Boulevard-Theaters von vorgestern.
Die Salzburger Sommer-Festspiele gaben im letzten Jahr Anlass zu mancherlei Besorgnis – nicht zuletzt wegen der Mängel beim Versorgen des Kern-Geschäftsfeldes: Das ist und bleibt die Verwertung des musikalischen Ortsheiligen Mozart. Alexander Pereira ließ Sven-Eric Bechtolf den 2013 begonnenen neuen Da Ponte/Mozart-Zyklus fortsetzen – trotz dessen desaströsem Auftakt mit "Così fan tutte". Auch der "Don Giovanni" mit Christoph Eschenbach ging 2014, wie der Kritiker Peter Hagmann (Neue Züricher Zeitung) befand, gründlich daneben: "Die Inszenierung des Salzburger Schauspielchefs Bechtolf bediente ungefähr alle Klischees, die hier bedient werden können".
Inzwischen ist der beratungsresistente Schauspieler und Regisseur Bechtolf durch den vorzeitigen Abgang von Pereira nach Mailand interimistischer Künstlerischer Leiter des Festivals. Und wie selbstverständlich setzte er "seinen" Mozart-Zyklus fort – mit "Le nozze di Figaro". Allerdings mit dem deutlich jüngeren und dynamischeren Dirigenten Dan Ettinger. Bechtolf verwies im Zuge seines Interview-Trommelfeuers darauf, dass ihn die Debatte um die (vor-)revolutionären Fermente des "Figaro" erreicht hat, er sich aber entschieden gegen die "reflexhafte" Bezugnahme auf die französischen Ereignisse nach 1789 positioniere.
Die Behauptung allerdings, "Figaro" sei "auf Versöhnung aus", verrät freilich neuerlich mangelnde Sorgfalt bei der Lektüre von Textbuch und Partitur. Bechtolf rühmt die "Natürlichkeit" dieser Opera buffa von 1786, wiewohl gerade die im 18. Jahrhundert für andere Bühnenwerke so bedeutsame Natur in der (geschlossenen) Versuchsanordnung des Schlosses Almaviva nicht vorkommt (außer in Gestalt der Pinien des nächtlichen Parks, die heuer in Salzburg aber gefällt waren). Weit über "natürliches" Triebleben hinaus geht es beim "Figaro" ganz überwiegend um "Gesellschaftliches". Bei diesem bedingt heiteren Drama handelt es sich um eines jener vielen Werke des Musiktheaters, in denen alle nach Liebe gieren (und dies meint in diesem Fall durchaus zuallererst die körperliche).
Adorno, hilf!
Alle wollen "das Eine" – nur eben mehr oder weniger und in verschiedenen Verkehrsformen. Mit der Liebe in den Bahnen der festgefahrenen Lebenspartnerschaften freilich hapert es – bei Dr. Bartolo und der ihm wenigstens schon drei Jahrzehnte verbundenen Marcellina ebenso wie beim Grafen Almaviva und der von diesem einst aus Bartolos Obhut entführten reichen, nun aber nicht mehr taufrischen Rosina. Beide Paare leben aneinander vorbei, mutmaßlich in einer Phase des "Sex-out" (wie dies derzeit bei Mode-Autoren genannt wird), und schnoppern herum, ob, wo und wie neue Lustbefriedigung zu bewerkstelligen wäre.
Beim Bewerben seiner neuen Mozart-Inszenierung bemühte Bechtolf auch Theodor W. Adorno – ein Bonmot, mit dem dieser einen sich intelligent wähnender Hohlkopf zurechtwies: "Dann erzählen Sie 'mal das Finale 2. Akt Figaro nach". Bechtolfs Inszenierung versuchte dann allerdings in keiner Weise, den Höhepunkt der Verwirrung von Herzens- und Familieninteressen bei diesem turbulenten Septett zu "erzählen". Er ließ die schick angezogenen Almavivas und ihr Personal Richtung Rampe singen und Sekt trinken (prosit!). Sie tun dies in einem schmucken Herrenhaus aus der Biedermeierzeit, von dem man zunächst Parterre und Treppenhaus, dann die Küche im Souterrain und den Weinkeller, schließlich die Orangerie mit Gewächshäusern sieht.
Intrigieren und telefonieren
Meist geht es lebhaft zu und wird mit bewährten Gags des Boulevard-Theaters von vorgestern antichambriert, intrigiert, telefoniert und illusioniert. Als hätte die unter Ettingers Leitung so leichtweg, mit Brio und Innigkeit durchmessene Musik nicht Bemühung auf der Höhe der Zeit verdient – zumal bei den Salzburger Kassa-Preisen. An den Wiener Philharmonikern und am Sänger-Team, in dem Luca Pisaroni und Anett Fritsch die prominentesten Namen sind, lag es nicht, dass nun auch die dritte Salzburger Mozart-Neuproduktion ein künstlerisches Armutszeugnis ablegte.
In besseren Salzburger Zeiten wurde Christoph Marthalers fulminante "Figaro"-Inszenierung aufs Schild gehoben oder Claus Guths Bemühung um die von Sex-out-Problemen heimgesuchten bzw. irgendwie immerfrischen Begierden getriebenen Paare sinnfällig im zugigen Stiegenhaus pointiert. Jetzt triumphiert dumpfer Provinzialismus und zeigt der Kunst eine lange Nase.
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