Salafistenprediger vor Gericht

Wer ist Sven Lau?

Der islamistische Prediger Sven Lau, auch Abu Adam genannt, spricht 2015 in Wuppertal vor seinen Anhängern.
Der islamistische Prediger Sven Lau, auch Abu Adam genannt, spricht 2015 in Wuppertal vor seinen Anhängern. © dpa/picture alliance/Marius Becker
Nina Käsehage im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 06.09.2016
Für ihre Dissertation hat die Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage 175 Salafisten aus ganz Europa interviewt, darunter auch Sven Lau. In unserem Gespräch schildert sie, wie sie den Salafistenprediger erlebt hat, der derzeit vor Gericht steht.
Vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht beginnt am Mittag der Prozess gegen den Salafistenprediger Sven Lau. Der 35-jährige Konvertit ist wegen Unterstützung einer islamistischen Terrorgruppe in Syrien angeklagt. Die Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage hat Lau 2011 persönlich kennengelernt. Für ihre Dissertation interviewte sie 175 Salafisten aus ganz Europa, darunter auch Lau.
"Herrn Lau habe ich während des Interviews im Sommer 2011 als freundlichen, hilfsbereiten und sehr reflektierten Menschen kennengelernt", sagt Käsehage.
"Ihm war das interreligiöse friedliche Miteinander sehr wichtig, und er war auch dabei behilflich, dass das religiöse Wissen aus seiner Sicht insbesondere für Konvertiten vereinfacht zugänglich gemacht werden sollte."
Auch habe er habe mehrfach darauf hingewiesen, wie überzeugt er von den deutschen Gesetzen, vor allem dem Grundgesetz, sei.

Radikalisierung im Ausland

Käsehage vermutet insofern, dass die Radikalisierung Laus im Ausland stattgefunden habe: In Rahmen seiner Auslandsreisen habe er auch bei verschiedenen Hilfsprojekten in Syrien und Irak die Gewalt gegenüber Frauen und Kinder persönlich miterlebt und sei aufgrund dessen "einen Schritt zu weit" gegangen.
Danach habe er sich zu einem politischen Prediger entwickelt, so die Religionswissenschaftlerin. Bei Veranstaltungen habe er sich "konstruktiv, friedlich" präsentiert:
"Er warnte in diesen Vorträgen vielfach auch vor Hass und Neid und Zwietracht unter den Gläubigen, und er versuchte, die sogenannte 'Fitna', die Spaltung der Muslime, aufzuhalten."
Irritiert zeigt sich Käsehage über die Zuschreibung "Hassprediger" in der deutschen Öffentlichkeit für Personen wie Sven Lau oder auch Pierre Vogel, "während dschihadistische Prediger, die es in Deutschland gibt, offenkundig nicht ins Zentrum medialer Aufmerksamkeit gerückt sind."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Er ist einer der bekanntesten radikalen Salafisten Deutschlands, Sven Lau. Bekannt wurde er als charismatischer Prediger und Initiator der selbsternannten Scharia-Polizei, die in nordrhein-westfälischen Städten für Aufsehen sorgte. Heute beginnt am Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozess gegen ihn, unter hohen Sicherheitsvorkehrungen.
((Bericht))
Am Telefon in Hannover ist jetzt die Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage, die für ihre Promotion, die demnächst erscheint, 175 Salafisten in ganz Europa interviewt hat. Darunter auch Sven Lau als einer von 105 Deutschen. Schönen guten Morgen!
Nina Käsehage: Guten Morgen!

"Freundlich, hilfsbereit und sehr reflektiert"

von Billerbeck: Sie haben Sven Lau vor fünf Jahren kennengelernt und interviewt. Wie haben Sie ihn erlebt?
Käsehage: Ja, Herrn Lau habe ich während des Interviews im Sommer 2011 als freundlichen, hilfsbereiten und sehr reflektierten Menschen kennengelernt. Ihm war das interreligiöse, friedliche Miteinander sehr wichtig und er war auch dabei behilflich, dass das religiöse Wissen aus seiner Sicht insbesondere für Konvertiten vereinfacht zugänglich gemacht werden sollte. Da er selber ein Konvertit zum Islam war, war es ihm eben wichtig, den anderen Konvertiten auf ihrem religiösen Weg behilflich zu sein, auch weil er selber nach seiner eigenen Konversion zunächst vier Jahre lang nach religiöser Orientierung oder, wie er sagte, Rechtleitung suchte und insofern den neuen Konvertiten dabei behilflich sein wollte, einen religiösen Weg zu beschreiten.
von Billerbeck: Nun muss sich aber nach diesem Interview, das Sie mit ihm geführt haben, etwas geändert haben, denn offenbar hat er sich danach immer deutlicher in Opposition zur pluralen und offenen Gesellschaft in Deutschland begeben. Habe Sie davon schon 2011 etwas gespürt, als Sie mit ihm gesprochen haben?
Käsehage: Im Jahr 2011, wie gesagt, im Sommer 2011 keineswegs. Er war meines Erachtens zum damaligen Zeitpunkt ein Verfechter der friedlichen und freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung. Er hat mehrfach darauf hingewiesen während unseres Interviews, dass er ein deutscher Muslim sei und sehr gerne in Deutschland leben würde, sehr gerne in seiner Region Mönchengladbach leben würde und auch sehr überzeugt von dem Gesetz und vor allen Dingen dem Grundgesetz sei.
Salafistenprediger Sven Lau wird am 15.12.2015 in Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen) nach seiner Festnahme zu einem Auto geführt.
Salafistenprediger Sven Lau bei seiner Festnahme in Mönchengladbach.© picture alliance / dpa / Rene Anhuth/ANC-News
Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass er im Zuge seiner mehrmaligen Auslandsaufenthalte, die also ab dem Sommer 2011 zu verzeichnen waren und in deren Rahmen er auch bei verschiedenen Hilfsprojekten beispielsweise in Syrien sowie dem Irak die Gewalt gegenüber Frauen und Kindern persönlich miterlebte, wie viele Augenzeugen im Übrigen auch konstatieren, aufgrund dessen einen Schritt zu weit ging.
Das heißt, er hat sich definitiv nach unserem Interview, bei dem er als sogenannter puristischer Prediger, wie ich ihn bezeichne, zu einem politischen Prediger im salafistischen Spektrum entwickelt. Und ob er ein Dschihadist geworden ist, also sprich, dadurch, dass er die Jamwa unterstützt haben soll, ist fraglich. Ich denke, das kann sicherlich in einem unabhängigen Rechtsverfahren mit der entsprechenden Beweiskraft dann auch nachgewiesen oder eben auch nicht nachgewiesen werden.

"Verwunderlich", dass ausgerechnet Vogel und Lau als Hassprediger bezeichnet werden

von Billerbeck: In den Medien wird er ja immer als Hassprediger bezeichnet. Passt diese Zuschreibung?
Käsehage: So wie ich ihn kennengelernt habe, nicht, nein. Auf allen Veranstaltungen, die ich von ihm besuchte – also, ich war bei sehr, sehr vielen, um nicht zu sagen: bei den meisten Veranstaltungen, bei denen Abu Adam, also Sven Lau gesprochen hat –, verhielt er sich tatsächlich konstruktiv, friedlich. Ich habe dort im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung über unser Interview hinaus alle seine Vorträge mitgezeichnet, aufgeschrieben. Er warnte in diesen Vorträgen vielfach auch vor Hass und Neid und Zwietracht unter den Gläubigen und er versuchte, die sogenannte Fitna, also sprich: die Spaltung der Muslime aufzuhalten. Des Weiteren fordert er auch seine Mitgläubigen auf, zusammenzustehen und sich disziplinierter zu verhalten.
Und das Konstrukt des sogenannten Hasspredigers, das Sie da ansprechen, wird erstaunlicherweise auf Prediger wie Vogel oder Lau angewendet, die diesen definitiv nicht säen, während dschihadistische Prediger, die es in Deutschland gibt, mit denen ich auch viele Interviews führen durfte, offenkundig nicht ins Zentrum medialer Aufmerksamkeit gerückt sind. Und das finde ich schon relativ verwunderlich.

Misstrauen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft

von Billerbeck: Ich habe es anfangs gesagt, Sie haben sehr viele, 175 Salafisten europaweit interviewt. Sie werden von denen als vertrauenswürdig eingeschätzt. Wie wird man das, dass Salafisten sagen, mit dir spreche ich oder mit dir spreche ich nicht?
Käsehage: Ja, so, das ist im Grunde genommen, vermutlich ist das zum einen eine Glückssache, zum anderen ist das aber auch abhängig davon, wie man den Menschen begegnet. Mein Credo ist immer, dass man den Menschen so offen und ehrlich begegnet, wie man selber auch gerne behandelt werden möchte. Und wenn ich ein Mitglied einer … ja, sagen wir mal, einer neueren religiösen Bewegung bin, was für mich die salafistische Szene ist, dann habe ich möglicherweise mit der sogenannten Außenwelt, der Mehrheitsgesellschaft relativ viele Vorverurteilungen, Stereotypisierungen oder Ähnliches erlebt und werde dadurch immer misstrauischer. Das heißt, das geht ganz …
In erster Linie ist es ganz, ganz wichtig, Authentizität zu vermitteln und auch eine Transparenz des Handelns. Das heißt, jeder, der mit mir gesprochen hat, hatte und hat jederzeit die Möglichkeit, seine Interviewtranskription einzusehen und zu schauen, ob ich etwas falsch verstanden habe. Ich vermittle eindeutig, dass ich nicht die Da‘wa – also die Einladung zum Islam oder die Mission – vorantreiben werde, sondern dass ich fair das, was man mir gesagt hat, und die jeweilige Position aus der Innenperspektive auch außenperspektivisch beleuchtet darstelle. Und das …
Ein Mann blickt auf einen Computer-Bildschirm, auf dem selbsternannte "Scharia-Polizisten" zu sehen sind.
Die selbsternannte "Scharia-Polizei" in Wuppertal sorgte für Aufregung.© picture alliance / dpa / Oliver Berg
von Billerbeck: Trotzdem geht es doch bei vielen aus der salafistischen Szene um Radikalisierung. Was kann man denn unternehmen, um da etwas dagegenzusetzen und junge Männer, die es ja meistens sind, vielleicht an einen Punkt zu bringen, dass sie sich wieder zurückbewegen aus dieser radikalisierten Gedankenwelt?
Käsehage: Ja, also, der Begriff Radikalisierung ist ein schillernder Begriff, da könnten wir sicherlich jetzt Stunden über die Definition sprechen.
von Billerbeck: Ja, irgendeinen Begriff muss man finden, der natürlich meist etwas zugespitzt ist.
Käsehage: Ja, ja, da haben Sie recht, aber ich möchte das nur vorabschieben, wenn ich darf.

Erst muss man die Motive Laus verstehen

von Billerbeck: Ja, ja, ist schon klar.
Käsehage: Also, die Szene selber habe ich jetzt aufgeteilt in Puristen, Politische und Dschihadisten nach Quintan Wiktorowiczs Modell. Da ist es so, dass die Puristen selbstverständlich auch ein restriktiveres religiöses Verständnis haben als möglicherweise ein sogenannter moderater Muslim, wenn man den Begriff benutzen darf, aber sie sind nicht verfassungsfern. Im Gegenteil, sie halten sich an alle Verordnungen und sind sogar apolitisch. Die politischen hingegen …
von Billerbeck: Aber eine Scharia-Polizei, die durch Ruhrgebietsstädte patroulliert, ist doch nicht apolitisch?
Käsehage: Da haben Sie recht, aber da ist er auch kein puristischer Prediger mehr gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Herr Lau schon, wie ich das vorhin ansprach, zu einem politischen Prediger transformiert. Das heißt, ab dem Moment, ab dem – und das kann sehr schnell gehen, da haben Sie recht, innerhalb dieser Szene –, ab dem Moment, ab dem sich ein Akteur politisch beteiligt, ist er sicherlich kein Purist mehr, das kann man so durchaus sagen. Das heißt, er hat den Schritt gemacht, hat sich weiterentwickelt und möchte politisch agitieren. Er möchte etwas verändern, er möchte eine Gesellschaftsveränderung hervorrufen.
Und da sollten wir uns die Frage stellen: Warum ist das der Fall? Und wenn wir verstehen, warum die Prediger oder in dem Fall Herr Lau das möchte, dann können wir das dekonstruieren. Aber das Wichtige ist erst einmal, dass wir versuchen, es möglichst objektiv oder in meinem Fall wissenschaftlich zu verstehen, warum jemand in dieser Weise agiert. Und dann kann man wie gesagt versuchen, dagegen Gegenargumente heranzubringen. Die fallen nicht immer auf fruchtbaren Boden, aber es ist durchaus möglich.
von Billerbeck: Die Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage war das, sie hat 175 Salafisten europaweit für ihre Promotion interviewt. Wir sprachen mit ihr vor dem heute in Düsseldorf beginnenden Prozess gegen einen von ihnen, gegen Sven Lau. Frau Käsehage, herzlichen Dank!
Käsehage: Ich danke Ihnen, schönen Tag noch!
von Billerbeck: Den wünsche ich Ihnen auch!
Käsehage: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.