Salafisten in Deutschland

Trend zu mehr Gewaltbereitschaft

Vollverschleierte Frauen auf einer Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel in Offenbach.
Verschleierte Frauen auf einer Salafisten-Kundgebung in Offenbach im Juni 2014 © dpa / picture alliance / Boris Roessler
Moderation: Korbinian Frenzel · 11.12.2014
Was tun gegen die gewaltbereiten Salafisten in Deutschland? Darüber beraten die Innenminister von Bund und Ländern in Köln. Der Salafismus-Experte Ulrich Kraetzer warnt vor mehr Gewaltbereitschaft in der Szene.
Nach dem Eindruck des Salafismus-Experten Ulrich Kraetzer hat sich die Salafisten-Szene in Deutschland durch den Kampf der Terrormiliz "Islamischer Staat" in Syrien und dem Irak verändert. Der IS sei jetzt das beherrschende Thema, sagte er im Deutschlandradio Kultur – und es gebe offenbar sehr viele und wahrscheinlich auch eine wachsende Zahl von Salafisten, die das Vorgehen der Miliz gut fänden. Dem folge dann ein Trend zu mehr Gewaltbereitschaft. Kraetzer räumte allerdings zugleich ein, dass es nur wenige Informationen über die Salafisten-Szene in Deutschland gibt. Auch die Sicherheitsbehörden könnten sich nur einen ungefähren Überblick verschaffen. Es gebe keine größeren Studien über das Phänomen – "so dass man von fundierten Erkenntnissen nicht sprechen kann".

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Salafismus, wir alle kennen das Stichwort, wir alle haben ein Bild, ein bärtiges, ein irgendwie vormodernes von diesem Phänomen des Islam, ein Bild, das den meisten Angst macht. Zu Recht? Was wir schon immer über den Salafismus wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten, das wagen wir jetzt mit Ulrich Kraetzer. Er ist Journalist und Autor des Buches "Salafisten", einen schönen guten Morgen!
Ulrich Kraetzer: Guten Morgen!
Frenzel: Ich fange mal mit den Angstbildern, mit den Stereotypen an: Sind alle Salafisten Terroristen oder zumindest zur Gewalt bereit?
Kraetzer: Nein, das ist nicht so. Also, es gibt auch in den Sicherheitsbehörden diesen Spruch, und der stimmt auch: Nicht alle Salafisten sind Terroristen, aber alle islamistischen Terroristen sind Salafisten, oder zumindest fast alle islamistischen Terroristen. Das heißt, das droht immer so ein bisschen aus dem Blick zu geraten, dass der Salafismus per se erst mal nicht gewaltbereit ist oder eben nicht unbedingt gewaltbereit ist.
Es gibt durchaus Salafisten, für die steht dieses Thema Dschihad eigentlich gar nicht auf der Tagesordnung, die beschäftigen sich kaum damit, und es gibt tatsächlich auch relativ viele Salafisten, die Gewalt, so wie sie sich im Augenblick beispielsweise in Syrien oder im Irak abspielt, ganz explizit ablehnen.
Frenzel: Wie sieht denn das in Deutschland aus, welche Strömungen haben wir denn da, welche Stärken haben die denn, die Friedlichen, die Friedfertigen und die Gewaltbereiten?
Experten unterscheiden drei Strömungen im Salafismus
Kraetzer: Ja, also, es wird immer so unterschieden zwischen drei Strömungen. Wobei man zunächst mal wissen muss, diese Strömungen, das sind Bezeichnungen, die Leute von außen den Salafisten geben. Ein Salafist selbst würde nie sagen, ich gehöre zu dieser Strömung oder zu jener Strömung.
Aber grob unterscheidet man zwischen sogenannten puristischen Salafisten, das sind Salafisten, die leben ihren Glauben mehr oder weniger sozusagen im stillen Kämmerlein aus, haben also keinen großen Missionierungsdrang und für die ist auch der Dschihad kein beherrschendes Thema.
Dann gibt es die sogenannten politischen Salafisten, da denkt man dann an Leute wie Pierre Vogel, die also nicht selbst in den Dschihad ziehen und auch nicht direkt zum Dschihad aufrufen, sich aber sehr wohl auf Marktplätze stellen, um eben zu dem salafistischen Islam aufzurufen. Und dann gibt es die sogenannten dschihadistischen Salafisten, das sind Salafisten, die Gewalt im Namen der Religion befürworten oder sogar dazu aufrufen oder sogar selbst kämpfen.
Frenzel: Wir haben ja nun beinahe täglich Berichterstattung über die Grausamkeiten durch den Islamischen Staat, durch die Terrormiliz. Hat das die Szene in Deutschland verändert, unseren Blick auch auf sie, aber auch die Szene selbst?
Der Kampf des IS im Irak hat die salafistische Szene in Deutschland verändert
Kraetzer: Also, mein Eindruck ist, dass es die Szene sehr stark verändert hat. Mein Eindruck, muss ich dazu sagen, weil man natürlich gar nicht so wahnsinnig viel über die salafistische Szene weiß. Man weiß, was die Sicherheitsbehörden dann und wann kundtun, die können sich aber auch nur einen ungefähren Überblick verschaffen, und ansonsten gibt es da keine groß angelegten Studien, sodass man von ganz, ganz fundierten Erkenntnissen nicht sprechen kann.
Aber mein Eindruck ist, ja, die Szene hat sich dadurch verändert, das ist das beherrschende Thema in der Szene. Da gibt es dann eben die Salafisten, die sagen, das ist ganz furchtbar, was dort passiert, wir lehnen das ab. Es gibt aber offensichtlich auch sehr, sehr viele und wahrscheinlich sogar eine wachsende Zahl von Salafisten, die das gut finden, die sich diesem Erfolg – denn aus Sicht des IS, des Islamischen Staates ist es ja ein Erfolg, was die betreiben – die sich also diesem Erfolg irgendwie anschließen wollen. Und deswegen habe ich den Eindruck, dass da schon ein Trend hin zu mehr Gewaltbereitschaft im Augenblick in der Szene zu erleben ist.
Frenzel: Sie sagen, es gibt da nicht unbedingt ein fundiertes Bild über den Stand des Salafismus in Deutschland. Wenn heute die Innenminister zusammenkommen, haben Sie denn den Eindruck, die haben ein fundiertes Bild?
Kraetzer: Nein, ein wirklich fundiertes Bild haben die, glaube ich, nicht. Ich meine, es wird ja kaum diskutiert beispielsweise über die Frage, was ist denn eigentlich ein Salafist.
Salafisten bezeichnen sich in der Regel selbst nicht als Salafisten
Da gibt es, da kann es eigentlich auch gar keine ganz strenge Definition geben, ist das jetzt jemand, der sich vielleicht drei-, viermal eine Predigt von Pierre Vogel angeschaut hat und den ganz gut findet, oder ist das jemand, der regelmäßig zu Treffen von Salafisten geht und möglicherweise sogar noch mit dem Gedanken an den Dschihad liebäugelt? Das ist gar nicht so leicht zu sagen und man muss auch immer im Hinterkopf haben: Die Leute, die wir als Salafisten bezeichnen, haben zwar tatsächlich so etwas wie eine gemeinsame Ideologie, sie selbst würden sich aber in aller Regel nicht als Salafist bezeichnen.
Also, die Schwierigkeit fängt schon bei der Definition an und im Grunde auch bei der Abgrenzung. Denn natürlich ist Salafismus etwas anderes als der Islam, wie die allermeisten Muslime ihn in Deutschland verstehen. Aber es ist ja auch nicht etwas völlig Unterschiedliches, die Wurzeln sind natürlich schon die gleichen, sodass die Abgrenzung einfach schwierig ist. Da fängt es eben schon an.
Frenzel: Haben Sie denn den Eindruck – wir haben ja gerade starke Töne gehört auch in dem Beitrag vorweg, was die Politik alles tun will, wie sie das Problem angehen möchte – dass da Aktionismus eine Rolle spielt?
Kraetzer: Ja, die Gefahr besteht natürlich immer. Auf der anderen Seite denke ich, dass es gut ist, dass jetzt überhaupt mal seit ein, zwei Jahren etwas passiert. Man hätte da eigentlich schon viel früher anfangen müssen, über Prävention nachzudenken ...
Frenzel: Ja, ich wollte gerade fragen: Was muss denn passieren aus Ihrer Sicht?
Kraetzer: Ja, ich meine, im Beitrag wurde das alles genannt, ich habe den Eindruck, dass das jetzt schon den richtigen Weg geht, in die richtige Richtung geht. Man muss natürlich einerseits auf Repression setzen, man muss die Leute, die wirklich gefährlich sind, durch die Sicherheitsbehörden im Auge behalten ...
Frenzel: Zum Beispiel auch den Personalausweis einbehalten, den Reisepass?
Staatliche Repression wird in der Szene als Rekrutierungsmittel benutzt
Kraetzer: Ja, Sie hören, ich bin da gespalten. Ich denke, einerseits ist das schon richtig, wir können nicht einfach mit angucken, wie Leute in den Heiligen Krieg ziehen, in diesen sogenannten Heiligen Krieg ziehen und dort teilweise Menschen umbringen, das geht nicht, das kann sich ein Staat wie Deutschland, ein wohl organisierter Staat einfach nicht erlauben, da muss er Gegenmaßnahmen ergreifen. Und deswegen glaube ich, dass es auch richtig ist, auch mit repressiven Maßnahmen Ausreisen zu verhindern.
Die Gefahr ist immer, dass solche Maßnahmen in der Szene natürlich wahrgenommen werden und natürlich instrumentalisiert werden. Das heißt, es wird dann umgedeutet – das ist natürlich eine Fehlinterpretation, aber das wird bewusst umgedeutet – als ein angeblicher Kampf gegen den Islam. Den es natürlich nicht gibt, das muss man dazu sagen, aber so wird es gedeutet. Und das wird dann wiederum als quasi Rekrutierungsmittel benutzt.
Denn diese Legende des angeblichen Kampfes gegen den Islam, die verfängt bei Jugendlichen, gerade bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die als Muslime geboren worden sind, doch recht stark. Und das ist dann immer die Gefahr. Deswegen muss man bei Aktionismus tatsächlich vorsichtig sein. Aber ja, wir brauchen Repression, wir brauchen aber vor allem endlich jetzt auch mal präventive Maßnahmen und Maßnahmen der De-Radikalisierung.
Frenzel: Sagt der Autor und Kenner der Salafistenszene in Deutschland Ulrich Kraetzer. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Kraetzer: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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