Safranski: Früheres Bekenntnis Grass' hätte der Öffentlichkeit geholfen

Moderation: Birgit Kolkmann · 15.08.2006
Der Philosoph Rüdiger Safranski hat in der Diskussion um die Bekenntnisse Günter Grass' zu seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS betont, man müsse unterscheiden zwischen seinem Werk und seiner Rolle als politischer Propagandist und Moralist. Als Moralist habe Grass oft "holzschnittartige Positionen" vertreten.
Kolkmann: Ein bisschen spät kommt das. So reagiert der Schriftsteller Walter Kempowski auf Günter Grass´ Enthüllung seiner SS-Mitgliedschaft zu Kriegsende, aber auch für Grass gelte, wer selbst ohne Sünde sei, der werfe den ersten Stein. Sehr kontrovers sind die Reaktionen auf Grass´ Vergangenheit bei der Waffen-SS. Als 17-Jähriger erst in den letzten Kriegsmonaten eingezogen, war er das typische Kanonenfutter, das sich die Nazis bei der Jugend holten. Grass hat überlebt und sein Geheimnis jetzt publik gemacht. Im September erscheint sein Erinnerungsbuch "Beim Häuten der Zwiebel" und nicht wenige seiner Kritiker meinen, dass sein Geständnis eine wohl kalkulierte Werbeaktion sein soll. Andere fordern die Rückgabe des Nobelpreises. In Danzig wird der Stadtrat über die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde beraten. Und wir sind jetzt verbunden mit dem Philosophen Rüdiger Safranski. Einen schönen guten Morgen!

Safranski: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Safranski, eine moralische Diskussion ist im Gange und für harsche moralische Urteile ist ja auch Grass selbst Spezialist. Trifft ihn die Kritik Ihrer Meinung nach zu Recht?

Safranski: Also ich würde unterscheiden zwischen seinem Werk und seiner Rolle als politischer Propagandist und politischer Moralist. Was das Letztere betrifft, die Rolle des politischen Propagandisten und Moralisten, da finde ich treffen die Vorwürfe. Er ist als Moralist oft mit sehr holzschnittartigen Positionen in der Öffentlichkeit und hat also oft gerade ein Gespür für diese moralischen Grauzonen, aus denen das Leben besteht vermissen lassen. Im Werk ist die ganze Kompliziertheit, gerade auch in Dingen der Moral, ist dargestellt. Deswegen ist sein Werk eigentlich sehr viel klüger, als er in seinen politischen Einlassungen ist. Es wäre ja doch sehr wichtig gewesen und sehr hilfreich gewesen, wenn Günter Grass, gerade am Beispiel seines eigenen Lebens, dargestellt hätte, auch in der politischen Öffentlichkeit, wie kompliziert die Verstricktheit für einen jungen Menschen in den letzten Kriegsmonaten gewesen ist, wo man also weiß, dass auch Leute ohne Willen und Wollen in die SS eingezogen worden sind. Also das ist wirklich ein ganzer Abgrund an Kompliziertheit und gerade von seiner Position aus hätte er da doch einiges deutlicher machen können.

Kolkmann: Genau darum gehe es ja in seinem neuen Buch sagt Günter Grass. Der Schriftsteller Robert Menasse ist ihm beigesprungen und hat gesagt, er gehe ja jetzt offensiv damit um, er beharre ja nicht altersstarrsinnig auf der Richtigkeit seines damaligen Tuns. Muss man ihm insofern Respekt zollen?

Safranski: Also an einem Punkt muss man ihm wirklich Respekt zollen: Er weiß schon, was er riskiert, indem er das jetzt alles erzählt. Er riskiert, dass in einer etwas kurzatmigen Öffentlichkeit erstmal sein Ruf ruiniert wird. Das war ihm schon klar, also von dieser These, dass das ein kommerzielles Kalkül ist, da muss man schon so einem Empfinden sehr fern stehen, wie es Günter Grass hat, dem es ja auch um die Ehre geht und nicht nur um den wirtschaftlichen Erfolg, den braucht er ja gar nicht mehr. Also dass er jetzt deutlichere Worte findet für diese Zeit, für dieses letzte Jahr 1945, da würde ich ihm schon meinen Respekt aussprechen.

Kolkmann: Hätte er den Nobelpreis nicht bekommen, wenn das vorher bekannt gewesen wäre?

Safranski: Ja, das kann durchaus sein, weil natürlich der politische Moralismus im Nobelkomitee ja eben auch sehr, sehr groß ist, und da ist man nicht darauf geeicht, solche Kompliziertheiten mit ins Spiel zu bringen. Man muss deswegen natürlich auch sagen: Warum hat er so lange gewartet? Warum hat er das getan? Natürlich ist da auch eine Selbstinszenierung im Spiel, sich in der Öffentlichkeit eben in einer sehr reinen Rolle darzustellen und diesen Makel erst einmal nicht an sich heranzulassen, aber man muss sagen, er hat die ganze Zeit gewusst und gespürt, es ist ein Makel und jetzt hielt er es offenbar nicht mehr aus. Es ist im Übrigen für mich auch sehr lehrreich, man merkt dann doch wieder, dass es einen Mechanismus gibt, dem sich offenbar Grass auch nicht hat entziehen können. Es ist nämlich, wenn man selber Gewissensbisse hat, dann kommt man um diese Gewissensbisse am besten herum, indem man anderen Leuten sehr stark ins Gewissen redet. Also anderen Leuten ein Gewissen zu machen, ist immer noch eine gute Methode, mit dem eigenen Gewissensbiss fertig zu werden.

Kolkmann: Er meinte also wahrscheinlich mit seiner Kritik durchaus auch ein Stück sich selbst. Wir kommen hier schon weit in psychologische Fragegestellungen hinein, nicht nur philosophische. Ich möchte jetzt einfach noch mal die Frage stellen, die viele jetzt stellen: Sollte er den Nobelpreis zurückgeben?

Safranski: Nein. Nein, das finde ich nicht, weil dieser Nobelpreis ist zum Ersten ein Preis auch für das literarische Werk. Und er ist ein ganz großer Autor. Und ich habe auch schon gesagt, dass er in moralischer Hinsicht in seinem Werk viel genauer und viel klüger ist, als in seinen politischen, sonstigen Einlassungen und es wäre ganz schlimm, wenn der Nobelpreis in Zukunft nur für die politisch sauberen Einlassungen in der Öffentlichkeit gegeben werden. Nein, es ist für das Werk und deswegen hat er ihn auch verdient.

Kolkmann: Vielen Dank, Rüdiger Safranski zur Diskussion um die SS-Mitgliedschaft von Günter Grass.
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