Sänger Nicholas Müller

"Ich reiß die Mauern aus"

Sänger und Gitarrist Nicholas Müller
Sänger und Gitarrist Nicholas Müller © picture alliance / dpa / Friso Gentsch
Von Mathias Mauersberger · 02.11.2015
Mit seiner Band Jupiter Jones landete Sänger Nicholas Müller 2011 einen Nummer-Eins-Hit. Doch genießen konnte er den Erfolg von "Still" nicht: Er wurde regelmäßig von Panikattacken heimgesucht. Heute redet er offen über seine Krankheit und versucht mit seinem Projekt "Von Brücken" den Neuanfang.
"Also, ich erinnere mich daran, dass ich als Jungspund mal mit 140 vor 'ne Leitplanke gekracht bin. Das war ein ganz kurzer Moment nur. Wenn man diesen kurzen Moment auf 'ne halbe, dreiviertel Stunde ausdehnt, dann hat man ungefähr eine Ahnung davon, wie eine Panikattacke sich anfühlt."
Nicholas Müller wirkt auf den ersten Blick alles andere als ängstlich: Ein stämmiger Typ Mitte 30, tätowierte Oberarme, freundliches Gesicht. Im Jahr 2011 wurde der Sänger deutschlandweit bekannt: "Still", so hieß der Song, der seine Band Jupiter Jones auf Platz 1 der Charts katapultierte. Aber hinter den Kulissen brodelte es: Nicholas Müller kämpfte mit einer "Panik-Störung", die ihn dazu zwang, seine Karriere im vergangenen Jahr vorerst zu beenden.
"Es war ja nicht so, dass ich von jetzt auf gleich Panikattacken hatte. Das ist eine Sache, die mich seit zehn Jahren begleitet. Der Tag, an dem ich gesagt habe 'Es geht nicht mehr weiter', war der Tag, an dem meine Therapeutin gesagt hat: 'Herr Müller, ich kann das therapeutisch nicht mehr verantworten. Entweder Sie machen jetzt ne Pause oder Sie hören ganz auf und werden gesund, oder ich werde Sie nicht mehr weiter therapieren'."
Reizarme Umgebung, reizende Menschen
Nach einer längeren Auszeit und erfolgreichen Therapie begann Nicholas Müller langsam wieder, zu komponieren und Texte zu schreiben. Mit seinem langjährigen Freund Tobias Schmitz, einem studierten Pianisten, entstanden erste neue Songs – die Band "Von Brücken" war geboren.
"Von Brücken hat dann den letzten Schubs in Richtung Gesundung – und so pathetisch es klingen mag – in Richtung Glück gegeben. Auch wenn es ganz wichtig war, mit dem neuen Projekt zu warten, bis ein Zeitpunkt erreicht war, an dem ich sagen konnte: Okay, ich bin bereit dafür."
Für die Aufnahmen zu ihrem Debüt-Album reisten Von Brücken in die Eifel – hier sind Nicholas Müller und Tobias Schmitz aufgewachsen, hier fanden sie die nötige Ruhe, um ihre musikalische Vision umzusetzen. Sieben Wochen lang verschanzten sich die beiden in einem Künstlerdorf, in dem auch der Stuttgarter Rapper Thomas D mit seiner Familie wohnt.
"Das ist ein Ort, den kannst du dir vorstellen… Der liegt ziemlich am Rand der Welt, gefühlt. Es liegt echt mitten in der Eifel. Es ist ungefähr 'ne halbe Stunde bis zum nächsten Supermarkt. Und dementsprechend ist der relativ reizarm. Auf der anderen Seite gibt's aber diese tollen Menschen da, die halt unheimlich reizend sind. Die halt wirklich einen unheimlichen Input geben. Und es ist auch ein sehr, sehr schöner Ort. Toll angelegt, das Studio ist fantastisch. Aber in erster Linie gibt's da echt so Menschen, die da Schwingungen reinbringen, die da einfach so 'ne Heimeligkeit reinbringen, die einen unheimlich kreativ werden lassen."
Euphorie des Neuanfangs
Poetische Texte, hymnische Refrains: Von Brücken knüpfen da an, wo Jupiter Jones aufhörten, bei deutschsprachiger Rockmusik mit Mut zum Gefühl. Die 14 Songs des Debüt-Albums sind aufwändig arrangiert, mit Streichern, Klavier, Harmonium. Im Mittelpunkt stehen aber immer noch die Texte: Das Eröffnungsstück "Das Türen Paradoxon" erzählt einfühlsam von den Auf und Abs in Nicholas Müllers Leben:
"Die Refrain-Zeile ist halt: 'Schließ eine Tür vor mir, ich reiß die Mauern aus. Bringe sie hinter mich und stelle sie wieder auf'. Das ist sehr sinnbildlich für mein Leben. Und daher halt dieses Bild von 'ner Tür und der Mauer: Statt einfach mal an der Tür zu ruckeln und zu gucken, ob sie vielleicht gar nicht abgeschlossen ist, bau ich halt erstmal die Mauern ab. Dann kommt aber, als Auflösung quasi, das was ich gelernt hab: Ich stell sie dann halt auch wieder auf. Das ist mir unheimlich wichtig."
"Weit weg von fertig" - so heißt Von Brückens Debüt-Album. Und dieser Titel ist durchaus wörtlich zu nehmen. Die Songs versprühen die Euphorie des Neuanfangs und wirken gleichzeitig angenehm roh und ungeschliffen. Anfang nächsten Jahres geht es auf große Deutschland-Tour. Und auch wenn Nicholas Müller seine Ängste nicht endgültig besiegt hat, so geht es ihm heute doch wieder richtig gut.
"Ich werde wahrscheinlich damit leben müssen, dass das vielleicht nochmal passieren kann. Aber das ist halt völlig in Ordnung. Wichtig ist, dass ich gelernt habe, damit umzugehen. Und vor allem habe ich gelernt, dass, sollte nochmal eine Panikattacke kommen, dass ich dann wieder einen Warnschuss habe, der mir sagt: Jetzt kümmere dich mal besser um dich selbst. Und danach wird’s wieder gut."
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