Sachsen

Zwischen Mitgefühl und Fremdenhass

Pegida-Protest und Gegendemo in Dresden
Anhänger von Pegida (rechts im Hintergrund) und Gegner (im Vordergrund) demonstrieren am 26.10.2015 durch eine Absperrung der Polizei voneinander getrennt unweit des Theaterplatzes. © picture alliance/dpa/Foto: Arno Burgi
Von Bastian Brandau · 07.12.2016
Gewalt gegen Ausländer, Proteste und Pöbeleien gegenüber Politikern. Sachsen ist auch 2016 das Bundesland mit der höchsten Zahl an fremdenfeindlichen Übergriffen. Auf der anderen Seite engagieren sich viele für ein friedliches Miteinander. Sachsen - ein gespaltenes Land.
Freital, Juni 2015. Tagelang belagern in der Stadt bei Dresden Rechtsextreme eine Asylunterkunft, unterstützt auch von zahlreichen Anwohnern. Immer wieder kommt es zu Gewalt und Übergriffen. Gegen Flüchtlinge, aber auch gegen die Menschen, die sich solidarisch mit den Geflüchteten zeigen. Sie sind in diesen Tagen meist deutlich in der Minderheit. Einer von ihnen war Michal Tomaszewski, Klarinettist in der Dresdner Banda Comunale. Einer Band aus der alternativ-progressiven Dresdner Neustadt, die Blasmusik macht. Und das auch auf der Straße, auf Demonstrationen gegen rechts. In seiner Küche erinnert Tomaszewski sich an die aufgewühlte Stimmung in Freital im Sommer 2015.
"Ich bin da einfach hingefahren abends und konnte es nicht fassen – Abend für Abend. Wie man so sein kann. Und dann haben wir einfach an einem Donnerstag unsere Probe dorthin verlegt. Da war eine Polizeikette, die Zufahrt war abgesperrt durch Polizeifahrzeuge, auf der anderen Seite waren einfach diese Leute, die geschrien haben: ´wir wollen euch hängen sehen`."
Die Dresdner Musiker kommen ins Gespräch mit den Neuankömmlingen aus den Krisenregionen der Welt. Schnell entsteht die Idee, gemeinsam Musik zu machen. Die Banda Comunale sucht nach Mitstreitern, nach geflüchteten Musikern. Per Aushang in den Asyleinrichtungen oder übers Internet. Musiker aus Syrien sind dabei, aus dem Iran und dem Irak. Musik bringt Menschen zusammen, Musik als Mittel der Integration, eine ebenso einfache wie effektive Art, sich kennen zu lernen. Aus der Banda Comunale wird die Banda Internationale:
Eine Dresdner Stiftung unterstützt die Banda von Beginn an, ebenso Privatpersonen. Instrumente werden beschafft, den Proberaum stellt eine Hochschule. Schnell tritt die Band auch auf, spielt Konzerte in Flüchtlingsunterkünften, gerade in der sächsischen Provinz. Die Musiker treten aber auch in immer mehr Konzertsälen auf, auch im Ausland, wo Banda Internationale auf Einladung der Sächsischen Staatskanzlei in Breslau spielt. Auch zahlreiche Preise gibt es für die Banda Internationale. Irgendwie hat sich alles verändert – oder auch gar nichts, sagt Tomaszewski. Geprobt wird weiter jeden Donnerstag
"Ich meine, mit 20 Leuten proben ist schon richtig anstrengend. Und wenn einer da ist, der gern Metal spielt und gern laut ist, und der andere eigentlich ein ganz fragiles Instrument hat, dann wird es schwierig. Und dann nach eineinhalb Jahren, glaube ich trotzdem, dass jeder gemerkt hat: ich respektiere seine Vorliebe – nicht alle – aber die meisten, ich schätze sein Instrument. Wenn ich denn überhaupt nicht kann, dann schaffe ich es trotzdem, ihn respektvoll zu begegnen."

Aus Fremden wurden Freunde

Respektvoller Umgang miteinander, der längst zu Freundschaft geworden sei, sagt Qutaiba Abu Rashed, der in der Band an den Trommeln sitzt. Abu Rashed. ist aus Damaskus geflohen, kam im Sommer 2015 mit seinem Bruder nach Deutschland. Nach sechs Jahren im Bürgerkrieg und auf der Flucht sieht er sein Leben in Deutschland als große Chance.
"Ich habe über die Band viele Menschen kennen gelernt. Für mich bedeutet Integration, in der Situation, in der ich mich befinde, klug umzugehen. Sich davon nicht runterziehen zu lassen. Sich nicht nur einzuschließen und im Internet zu verfolgen, was in Syrien passiert. In dieser schlimmen Zeit ist es wichtig, etwas aktiv zu machen: Gedichte zu schreiben, zu malen oder eben Musik zu machen."
Qutaiba Abu Rashed erzählt, wie er in der Anfangszeit kein Geld für die Bahn hatte und 90 Minuten durch Dresden lief, um zur Probe zu kommen. Später, als er nach Reichenbach im Vogtland kam, war er mehr als zwei Stunden mit dem Zug unterwegs – pro Fahrt. Nach der Anerkennung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zog er nach Dresden zurück – um hier zu bleiben. Die Banda Internationale hat für ihn dazu geführt, dass er trotz Verwandtschaft in Süd- und Westdeutschland unbedingt in der Stadt bleiben will, der Stadt und der Region, die weithin als Chiffre für Fremdenhass und Rassismus stehen. Die seit knapp zwei Jahren in Deutschland viele vor allem mit den Islamhassern von Pegida in Verbindung bringen.
"Ich bin wirklich traurig, wenn jemand schlecht über Dresden redet, sagt es sei komplett Scheiße. Denn so ist es nicht. Ich kenne so viele andere Menschen hier. Wir kennen sie und wissen, dass es sie gibt. Es gibt tolle Menschen hier in Dresden, die etwas erreichen können, wenn jemand die Initiative zeigt."
Doch auch Abu Rashed begegnet Rassismus und Hass. Er versuche, dem mit einem Lächeln zu begegnen, sagt der 22-Jährige. Er wolle sich nicht runterziehen lassen, weder von der dramatischen Situation in seiner Heimat, noch von Fremdenhass in Dresden.
"Ich laufe dann nicht weg, wenn mich jemand beschimpft. Ich schäme mich nicht, ein Flüchtling zu sein. Wenn er mich beschimpft, sagt ´Fuck you Ausländer`, werde ich stolz drauf sein. Weil ich weiß, ich, der Flüchtling, werde es in einigen Jahren zu etwas gebracht haben. Und er wird weiter nur rumbrüllen. Ich werde jemand sein."

Im nächsten Sommer will Qutaiba Abu Rashed studieren, weiter in seinem Fach Informationstechnologie. Wenn das nicht geht, eben etwas anderes. Ein Vorbild für seinen Bruder sein. Ein Kumpel für seine Bandkollegen, der abends in der Küche von Michal Tomaszewski mit einem Bier anstößt.
Anti-Nazi-Demo in Dresden 
Protest am 17.06.2015 in Dresden gegen eine angekündigte Neonazi-Demo.© picture alliance/dpa/Foto: Oliver Killig
"Die Forderung ist ja nach Integration. Wir haben quasi dafür Geld bekommen, Fördergelder, dass wir Leute integrieren. Wir haben einen tollen Preis dafür bekommen, dass wir integrative Arbeit mit Geflüchteten leisten. Ist ja gut und schön. Aber – what the fuck ist Integration? Wer definiert das? Wir wollen das ganz gern auf unsere Art und Weise definieren und die ist leider nicht unbedingt Konsens in unserer Stadt."

Rechte Tendenzen in Sachsen

Denn einen Konsens, wie Integration gehen soll, gibt es nicht in Dresden und auch nicht in Sachsen. Wahrscheinlich gibt es ihn nirgendwo in Deutschland. So weit wie in Sachsen scheinen die Meinungen aber in keiner anderen Region auseinanderzugehen. Der kürzlich erstmals veröffentliche Sachsen-Monitor zeigt die tiefe Spaltung in dieser Frage. 58 Prozent sehen Deutschland in einem gefährlichen Maße "überfremdet". 19 Prozent nennen als größtes Problem in Sachsen: Asylpolitik/Überfremdung. Und elf Prozent nennen dagegen hier die Sorge vor steigendem Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Michal Tomaszewski und die Banda Internationale verkörpern die eine Seite.
Die Seite derer, die aktiv bei der Integration der neuen Sachsen helfen. Auf der anderen Seite rechte Gruppierungen wie Pegida, rechtsextreme Strukturen und Netzwerke. Die AfD, die seit zwei Jahren im sächsischen Landtag sitzt, bringt diese Ideen mit ins Parlament. Das rassistische Gesicht Sachsens, gegen das die anderen Parteien und die Zivilgesellschaft bisher vergeblich ankämpfen. Die sächsische CDU gilt im bundesweiten Vergleicht als sehr weit rechts. Ministerpräsident Stanislaw Tillich verkündete einst, der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Es gibt in der CDU nach wie vor eine Tendenz zur Verharmlosung rechter Tendenzen. Waren auf einer Anti-Pegida-Demonstration Minister vor Ort, dann fast immer die des kleineren Koalitionspartners SPD.

Integration steckt in den Kinderschuhen

Seit 2014 ist die Sozialdemokratin Petra Köpping die erste sächsische Integrationsministerin. Integration in Sachsen stecke noch in den Kinderschuhen, das wird Köpping nicht müde zu erklären. An diesem Mittag besucht sie eine Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge in einem Ortsteil von Brandis, in der Nähe von Leipzig.
"Was war das hier früher?"
"Das war ein Hotel."
"Ah, ein Hotel."
"Ja, und stand über eineinhalb Jahre leer."
Die DRK-Ortsvorsitzende, der Heimleiter und der Bürgermeister von Brandis besichtigen mit der Ministerin die Fortschritte, die gemacht wurden, in dem ehemaligen Hotel zwischen Autobahn und Waldrand. Das Deutsche Rote Kreuz hat knapp eine Million Euro investiert, um hier dauerhaft eine Einrichtung der Jugendhilfe zu schaffen.
"Hier sieht man die Zimmer, die Möbel baut ein Unternehmen aus der Region."
Helle, freundliche Flure, neue Wohn-und Aufenthaltsräume, ein oder zwei-Zimmer-Betten für die 32 Minderjährigen, die hier leben. Vor einem Jahr waren es in einem ersten Provisorium teilweise über 50. Das DRK plant langfristig: Sollten weniger Flüchtlinge kommen, wird das ehemalige Waldhotel zu einer regulären Jugendhilfe-Einrichtung des Ortsvereins. Köpping registriert das zufrieden, gemischte Einrichtungen mit Deutschen und Geflüchteten – auch das gibt es in Sachsen – seien ihr die liebsten.
"Wie gehen Sie denn um mit dem Problem, ich frag das einfach mal, wir hatten ja in Bautzen auch eine UMA-Einrichtung, wo Jugendliche eben sehr viel Alkohol zu sich genommen haben. Wie gehen Sie mit so einer Thematik um?"
"Das ist bei uns nicht so das Problem, es gibt eine Hausordnung. Alkoholmissbrauch ist nicht erlaubt. Und das kann auch dazu führen, dass wenn es wirklich übertrieben wird von den Jugendlichen, dass es ein Hausverbot gibt."
Keine Probleme mit Alkohol. Höchstens mal ein Jugendlicher, der nicht aus dem Bett komme oder die Schule schwänze. Köpping hakt bei ihrem Besuch nach. Und vernimmt zufrieden, dass es kaum noch Probleme mit der Nachbarschaft gebe. Höchstens, wenn die Beleuchtung der neu eingebauten Feuerleiter zu hell in die Nachbarfenster strahle. Auf dem Sommerfest sei man sich näher gekommen. Integration in Sachsen – hier in Brandis scheint die Rechnung der Ministerin aufzugehen
Köpping hofft, dass die als Reaktion auf die große Zahl von Flüchtlingen getroffenen Maßnahmen von Bund, Land und Kommunen dazu beitragen. Das Integrationspaket der Bundesregierung. Die Maßnahmen, die Sachsen nach den fremdenfeindlichen Vorfällen in Bautzen und Clausnitz im Frühjahr beschlossen hatte, wie etwa weitergehende Sprachkurse. Die neuen Strukturen, die in den Verwaltungen vor Ort entstehen, wo sich etwa sogenannte Integrationskoordinatoren darum kümmern, dass alle Fäden in einer Hand verlaufen.
"Also wir machen durchaus Dinge, die uns wesentlich besser darstellen, als wir manchmal das ein oder andere Mal über Sachsen hinaus dargestellt werden. Und besonders bemerkenswert finde ich nach wie vor die Bereitschaft der Menschen, sowohl im Ehrenamt als auch hauptamtlich, sich wahnsinnig zu engagieren."

Viele kennen den Islam nur aus dem Fernsehen

Was aber ist mit denen, die skeptisch, oder gar ablehnend den Neuankömmlingen gegenüber stehen? Laut dem Sachsen-Monitor sagen 39 Prozent der Menschen hier, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. Wie will die Ministerin solche Menschen zu einem friedlichen Miteinander bewegen?
"Naja, auch wieder durch Begegnung. Das hört man ja gar nicht so selten, dass Leute, die die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ablehnen, durchaus sagen: Aber ja, neben mir wohnt der und der aus dem Land, das kann ein arabisches Land sein oder ein afrikanisches oder auch ein europäisches. Und der wird immer ausdrücklich ausgenommen von dem, was man sagt. Und das zeigt einfach, wenn ich die Menschen kennen gelernt habe, dann sehe ich die Menschen anders, als wenn ich über etwas Unbekanntes, etwas Fremdes spreche. Und deswegen gehört für mich dazu, dass wir eben auch Kulturvermittlung machen müssen: Was ist der Islam tatsächlich, was verstehe ich denn dahinter? Was ist eine Scharia? Das ist ein richtiger Begriff, wo es den Leuten kalt den Rücken runterläuft, wenn sie jetzt nur die Erfahrung nehmen, die sie jetzt gesammelt haben."
Köpping führt wie viele sächsische Politiker an, dass die Menschen in Sachsen den Islam nur aus dem Fernsehen kennen würden. Und dort sei eben meist von der Verbindung zu Gewalt und Terrorismus die Rede. Den Umfragen und regelmäßig wiederkehrenden fremdenfeindlichen Übergriffen zufolge scheint die Bereitschaft zum Kontakt allerdings bei vielen nicht so besonders ausgeprägt zu sein. Die Forderung nach Integration setze aber beide Seiten voraus, sagt Ministerin Köpping:
"Dass derjenige, der zu uns kommt, erstmal die schwierigere Integration vor sich hat, allein schon, weil er die Sprache lernen muss, und da bin ich immer wieder erstaunt, wie viele Menschen in sehr kurzer Zeit die Sprache lernen. Das ist natürlich die schwierigere Rolle. Aber es muss natürlich auf beiden Seiten eine Bereitschaft da sein. Wenn ich natürlich denjenigen, der zu uns kommt, kategorisch ablehne, hat er auch keine Chance, sich zu integrieren. Weil das eine ist, was wir machen können als Staat ist Kurse anbieten, Sprache beibringen, die entsprechenden Formalien ausfüllen, notfalls auch eine Wohnung zur Verfügung stellen. Aber das was zwischen den Menschen passiert, das ist der Alltag und den können wir nicht beeinflussen, zu mindestens nicht mit Geld."
Doch wie sieht er aus, der Alltag der Geflüchteten? Die in einem Alter ihr Land und ihre Familie verlassen haben, in dem die größte Sorge westlicher Teenager häufig ein neues Smartphone ist? Nach der Schule trudeln sie ein im Essenssaal des ehemaligen Hotels, junge Männer und Frauen, schmieden Pläne für den Nachmittag. Deutsch lernen, schwimmen, Fußball spielen oder mit Nachbarn Gesellschaftsspiele.
"Ja, das Hotel gefällt mir, ist alles gut hier. Alle Betreuer sind sehr gut, alle die hier arbeiten sind nett. Alles ist gut hier."
Die meisten von ihnen besuchen Sprachkurse, die an einem Berufsschulzentrum in Wurzen angeboten werden, einer Kleinstadt mit weniger als 20.000 Einwohnern.
"Wir fahren nach Wurzen, aber wir sehen zu viele Finger jeden Tag. Aber wir können nichts machen. Weil wir sind Ausländer. Deutsche sagen: ´Scheiß Ausländer`, was können wir machen? Wir müssen nur stark sein und sagen: ´Okay, kein Problem`."
Beleidigungen, Angriffe auch mit Pfefferspray, viele hier können auch solche Geschichten erzählen. Die eben noch so fröhlichen Mienen verfinstern sich bei diesem Thema:
"Die Leute reden schlecht und sagen: ´Ausländer raus`, aber wir machen nichts, wir kommen nur nach Deutschland, weil wir möchten leben hier, genauso wie die jungen Deutschen. Wir sind nicht nach Deutschland gekommen, um Deutschland kaputt zu machen oder um Scheiße –Tschuldigung- zu bauen. Wir möchten nur normal leben."
Normal leben, in Ruhe nach den Strapazen der Flucht und den Sorgen im Heimatland, die jeder hier mit sich trägt. Jetzt wollen sie ihr Leben neu beginnen, die Schule zu Ende machen. Einen Beruf finden, vielleicht eine Familie gründen. Manche hier haben einen Ausbildungsplatz, werden Koch oder Automechaniker, Altenpfleger. Normalität nach der Flucht aus der Heimat, doch da ist die Sorge, dass die in Sachsen verbreiteten Ressentiments gegen Flüchtlinge wieder zum Ausbruch kommen könnte.

Fremdenfeindlichkeit in Bautzen

So wie unter anderem in Bautzen. Am Abend des 14. September jagten rund 80 Menschen 20 Flüchtlinge durch die Innenstadt. Die Polizei brauchte einige Zeit, um die Situation unter Kontrolle zu bringen und die Flüchtlinge schließlich sicher in ihre Unterkunft zu bringen. Der Bautzener Polizeipräsident Uwe Kilz stellte am Tag drauf in einer Pressekonferenz am Nachmittag die Situation so dar:
"…dass aus einer Gruppe von 15 bis 20 UMAs, also unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auf eine Gruppe von ca. 80 Personen, die im Wesentlichen, ja, äh deutscher Herkunft waren, sich zusammensetzten aus jüngeren Jahrgängen, Frauen als auch Männern, teilweise auch Personen, die relativ eventbetont in der Stadt waren, die schon dieses und jenes Maß Bier getrunken haben, sozusagen eine Auseinandersetzung geführt haben."
Es gab viel Kritik am Vorgehen der Polizei und an den Äußerungen ihres Chefs. Die "eventbetonten" Personen unter Alkoholeinfluss waren durch einschlägige Kleidungen und Tätowierungen dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Bautzen ist seit langem eine Hochburg der Rechtsextremen, die sich offenbar an jenem Abend verabredet hatten, um gezielt zu provozieren. Denn die Situation auf dem Kornmarkt hatte sich über Wochen aufgeschaukelt, zwischen Rechten und jungen Asylbewerbern, Alkohol war im Spiel. Alles nichts Ungewöhnliches im Sommer in einer Kleinstadt, sagt der parteilose Oberbürgermeister Alexander Ahrens einige Wochen später in seinem Büro. Niederschwellig seien die Vergehen gewesen, die die Polizei dort festgestellt hatte.

"Das Hauptproblem war, dass dieses Verhalten irgendwann als Aufhänger genommen wurde von Herrschaften von Rechtsaußen, dass sozusagen als Provokationspunkt zu erkennen. Und der schlimmste Exzess war dann, dass die sich Mitte September verabredet hatten, und dann abends 80 Mann auf der Platte standen, von denen schätzungsweise die Hälfte aus Bautzen kam, die andere Hälfte aus der näheren und ferneren Umgebung, um dann da sozusagen so eine Bürgerwehrstimmung auszuleben."
Die Behörden reagierten anschließend mit erhöhter Polizeipräsenz in der Kleinstadt. Hätte man die Entwicklung kommen sehen können? Ja, sagt Claus Gruhl, der für die Grünen im Bautzener Stadtrat sitzt. Noch am Tag vor der Hetzjagd habe es eine Veranstaltung des Bündnisses "Bautzen bleibt Bunt" gegeben, einem Zusammenschluss der Bautzener Initiativen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Daran habe auch die Polizei, und auch Polizeipräsident Uwe Kilz teilgenommen:
Bewaffnete Polizeibeamte stehen in Bautzen (Sachsen) auf dem Kornmarkt etwa 350 Versammlungsteilnehmern aus dem politisch rechten Spektrum gegenüber. Es ist dunkel.
Polizeieinsatz in Bautzen: Am Abend des 15. September stehen Polizisten Versammlungsteilnehmern aus dem politisch rechten Spektrum © picture alliance / dpa / Xcitepress
"Wir haben sie in dieser Veranstaltung deutlich auf die Probleme, die es in Bautzen gibt, mit den Banden, mit den rechtsradikalen Banden, angesprochen. Die wussten von nichts. Nach ihrer Aussage wussten sie von nichts. Denen war der Name Stream BZ unbekannt, und alles, was damit zusammenhängt? Wir haben sie darauf hingewiesen, das können sie doch alles im Internet nachlesen auf den einschlägigen Facebook-Seiten. ´Das machen wir nicht, also auf Facebook kann ja viel stehen.` Einen Tag später hat das hier geknallt!"
Die rechtsextremen Gruppen wie Stream BZ benutzen Wehrmachts-Ästhetik in ihren Facebook, rufen dazu auf, einen sogenannten "Nazi-Kiez" in Bautzen zu verteidigen. Facebook hat den Auftritt von Stream BZ mehrfach gesperrt. Woraufhin die Gruppe sich unter leicht verändertem Namen wieder gründete. Ihre Anführer waren dabei, als Oberbürgermeister Alexander Ahrens sich Anfang November mit mehreren rechten Gruppierungen zum Gespräch traf.
"Mitgenommen habe ich definitiv, dass gerade die Vertreter von Stream BZ, die ja im Internet sehr aktiv sind, das sind definitiv keine Idioten. Sie mögen politische Ansichten haben, die zum Teil, äh, atemberaubend sind, wenn ich es mal so formulieren darf. Aber es sind durchaus Menschen, die durchaus zu einem kultivierten Dialog fähig sind."
Ein Dialog, den Ahrens fortsetzen möchte. Und ein Dialog, den in Bautzen viele kritisieren. Grünen Stadtrat Claus Gruhl, fühlt sich im Nachhinein bestätigt: Ein Podium habe der Oberbürgermeister den Rechten gegeben, ihre Positionen salonfähig gemacht, sagt Gruhl. Oberbürgermeister Ahrens weist diese Kritik zurück. Er sieht keine Alternative zu Gesprächen:
"Ich weiß, dass das in gewisser Hinsicht ein Tabubruch ist, überhaupt mit rechts zu reden. Aber die letzten Jahrzehnte haben ja auch gezeigt, dass wir kein Erfolgsmodell haben, diese Thematik in den Griff zu kriegen."

Sachsens rechtsextremes Problem

Rechtsextreme Strukturen sind in Sachsen ein Problem. Eines, dass die seit 1990 regierende CDU stets klein geredet hat. Legendär sind die Worte des ersten sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus. Und so ist offenbar eine Generation herangewachsen, die rechtes Gedankengut für normal hält. Laut Sachsen-Monitor ist fast ein Drittel der 18-29-Jährigen der Meinung, die Verbrechen des Nationalsozialismus würden in der Geschichtsschreibung übertrieben. Und gut ein Viertel dieser jungen Sachsen sagt, die Juden hätten etwas eigenartiges und passten nicht zu uns. Folgen auch des eklatanten Mangels an politischer Bildung in Sachsen, den auch die Staatsregierung inzwischen eingesteht und beheben will. Doch das braucht Zeit. In Bautzen lasse sich aber auch gut nachvollziehen, was passiert, wenn die öffentliche Hand sich aus der Prävention zurückziehe, sagt Torsten Wiegel. Er leitet das Steinhaus, eine soziokulturelles Einrichtung in Bautzen, die auch Jugendsozialarbeit anbietet. Mobile Sozialarbeit auf dem Kornmarkt habe es nicht gegeben.
"Ich sage an der Stelle immer, wir können beweisen, was Prävention, wenn sie nicht stattfindet, bringt – und dafür ist Bautzen gerade ein deutliches Beispiel. Das heißt also der Rückzug der öffentlichen Hand aus dem öffentlichen Raum führt oftmals eben dazu, dass der dann auch anders besetzt wird. Genau das hat hier stattgefunden."
Mehr mobile Jugendarbeit soll es in Bautzen bald geben, das hat der zuständige Landkreis beschlossen. Erstmal aber bleibt die Situation angespannt. Anfang November wurden Flüchtlinge erneut bedroht, dieses Mal war auch eine Schreckschusswaffe im Spiel. Viele Geflüchtete trauen sich abends nicht mehr in die Innenstadt. Das gilt auch für manche von denen, die sich gegen rechts einsetzen. Der Grünen-Politiker Claus Gruhl lehnt einen Dialog mit Rechtsextremen ab. Sorgen macht ihm aber auch eine breite Masse, die sich seiner Meinung nach zu wenig engagagiere.
"Man hat das Gefühl, man dringt nicht zu den anderen durch. Wie lange das noch dauern wird, weiß ich nicht. Ob es uns jemals gelingen wird? Aber ich sehe eben immer hauptsächlich die selben 500 Leute, auf die man sozusagen zählen kann. 500 Leute in einer Stadt von 40.000 Einwohnern? Sie können sich selbst ausrechnen, da kann man nicht gerade von einer Mehrheit sprechen. Aber das ist die Realität."

Islam-Debatte in Dresden

Von Bautzen in die Hauptstadt, nach Dresden. Eingeladen hat die Junge Union Sachsen und Niederschlesien, zu einer sogenannten Perspektivwerkstatt. Diskutiert wird im Fishbowl–Format, jeder kann an den Tisch in der Mitte des Saals kommen und mitreden. Dolmetscher übertragen die Diskussion ins Arabische. Thema: Passt der Islam zu Deutschland? Schon die Frage ist ein Indiz dafür, dass in der sächsischen CDU vielleicht die Dinge anders gesehen werden als anderswo. Denn, und das sehen auch alle Diskutanten, den einen Islam gibt es natürlich nicht. Mitdiskutiert hat auch der sächsische Ausländerbeauftragte, Geert Mackenroth, Landtagsabgeordneter der CDU und ehemaliger Justizminister Sachsens. Mackenroth sagt, man müsse die Ängste der Menschen vor dem Islam ernst nehmen. Dabei setzt die CDU Sachsen auf Leitkultur.
"Und dann auch das, was wir kulturelle Integration nennen. Also den Menschen die zu uns kommen, darstellen, was unsere Grundwerte sind, die sich auf Menschenrechte, Grundgesetz und unsere gesetzlichen Regelungen stützen, aber noch mehr darüber hinaus sind."
Etwa vier Millionen Menschen leben in Sachsen. 14.000 Geflüchtete sind 2016 einschließlich November 2016 hierher gekommen. In ein Bundesland, in dem 18 Prozent der Menschen laut dem Sachsen-Monitor sagen, dass Deutsche den anderen Völkern von Natur aus überlegen seien. 62 Prozent wollen eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft verkörpert. Wie will der Ausländerbeauftragte diese Menschen von den Grundzügen unseres demokratischen Systems überzeugen und sie wieder in unsere Gesellschaft integrieren?
"Man muss ihnen zunächst mal klar machen, wie gut es ihnen und uns eigentlich in diesem demokratischen System geht. Und wenn wir ihnen dann die Alternativen zeigen, die hatten wir ja schon mal. Keine Reisefreiheit, keine Meinungsfreiheit, einen Polizeistaat, der seinesgleichen sucht. Wenn wir das nochmal wieder verdeutlichen. Und wenn wir auch verdeutlichen, dass wir seit 60 Jahren Frieden haben, weil wir eine solche Politik gemacht haben. Dann müsste vielleicht auch einer, der nicht ganz so schnell im Kopfe ist, dass es dazu tatsächlich kaum andere Möglichkeiten gibt."
In einer im November veröffentlichten Umfrage verlor die CDU, in Sachsen lange Jahre alleinregierend, erneut an Zustimmung. Fünf Prozent im Vergleich zur Landtagswahl vor zwei Jahren, als sie knapp 40 Prozent der Stimmen holte. Die AfD wurde in dieser Umfrage mit 25 Prozent Zustimmung zweitstärkste Partei. Sie macht sich Hoffnungen, bei den Bundestagswahlen im Sommer einige Direktmandate zu erobern.

Muslime in Sachsen

Montag für Montag sind bei Pegida 2000 bis 3000 Menschen auf der Straße. In der vergangenen Woche ging die Polizei gegen ein rechtes Neonazi-Netzwerk vor und verhaftete sechs Mitglieder. Voraussichtlich im Januar soll der Prozess gegen die mutmaßlichen Terroristen aus Freital beginnen. Uns Journalisten erreichen regelmäßig Polizei-Meldungen über rassistische Übergriffe. Alltag in Sachsen, wo der Islam eigentlich auch schon längst angekommen ist.
"Die Runde geht immer so: Woher kommst du? Und ich sage aus Dresden. Dann wird gefragt: ´Na wo bist Du denn geboren?` Und dann sage ich: ´In Karl-Marx-Stadt.` Und meistens ist es dann so, dass die Leute lachen und dann mitkriegen, dass die Frage irgendwie komisch ist."
Auch Khaldun Al Saadi hat an diesem Abend mitdiskutiert über den Islam in Sachsen. Al Saadi hat in Leipzig Politikwissenschaften und Arabistik studiert.
"Ich kann nur aus meiner ostdeutschen Perspektive sprechen. Und ich glaube, dass Ostdeutschland sehr lange davon geprägt war zu glauben, dass ein Land eine Gemeinschaft braucht, und sie braucht einen Feind. Und die Gemeinschaft, die muss homogen sein, und der Feind, der ist der andere. Nur ist es eben so, dass auch eine Gemeinschaft in sich heterogen ist und damit häufig eher eine Gesellschaft ist mit unterschiedlichen Gemeinschaften und auch mit den sogenannten Fremden hat man viel gemein."
Es gehe, sagt Al Saadi, doch auch in Sachsen letztendlich einfach darum, zu begreifen, dass wir Menschen alle unterschiedlich seien.
"Und wir sind – auch wenn wir die gleiche Hautfarbe haben – unterschiedlich. Am Ende des Tages gibt es nicht nur muslimfeindliche Einstellungen in Sachsen, es gibt auch homophobe Einstellungen, antisemitische Einstellungen in signifikantem Maße. Muslime haben einfach gerade nur Hochkonjunktur. Und da müssen wir schauen, dass wir überprüfen, was für ein Menschenbild haben wir generell, wenn wir nicht in der Lage sind, mit der eigenen Heterogenität in der Gesellschaft umgehen zu können."
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