Sachsen-Sachsen-Anhalt-Thüringen

Von Franziska Rattei, Nadine Lindner · 02.10.2013
Die drei Ost-Bundesländer zu "Mitteldeutschland" zusammenzulegen, das will Sachsen-Anhalts Ministerpräsident. Effizienter soll das sein und Kosten sparen. Neu ist diese Idee nicht, auch für einige Bundesländer im Nordwesten kommt sie immer mal wieder auf - und sie ist auch sehr umstritten.
Mitteldeutschland
Das Thema ist deutlich älter noch als die Bundesrepublik. Es geht um die Frage, ob weniger nicht mehr ist – in unserem Fall - weniger Bundesländer nicht effizienter und billiger sind als viele. Schon in der napoleonischen Zeit beklagte man die extreme Zersplitterung des alten Reichs und setzte auf Länderfusionen. Und im Prinzip setzte sich diese Debatte dann bis heute fort. Jüngstes Beispiel: die Diskussion, die Reiner Haseloff, Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, diesen Sommer anstieß. Er warb für ein Mitteldeutschland bestehend aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. "Sinnvoll" nannte er diese Verschmelzung. Aber sind Länderfusionen wirklich sinnvoll?

Von Nadine Lindner

Bernward Rothe und seine Mitstreiter stehen in Leipzig am Connewitzer Kreuz, ein belebter Umsteigepunkt, mehrere Straßenbahnlinien kreuzen sich hier. Es ist später Nachmittag, Feierabendverkehr.

Sie stehen hier, weil sie einen Traum, eine Vision haben. Auch wenn der Traum noch einen etwas sperrigen Namen trägt: Sachsen-Sachsen-Anhalt-Thüringen. Rothe und Mey wollen die drei Bundesländer zusammenlegen. Doch das ist ein weiter Weg, denn am Ende können laut Grundgesetz nur die Einwohner selbst in einem Volksentscheid darüber urteilen. Ein Weg, der sich trotz aller Mühen lohnt, findet Bernward Rothe, der für die SPD im Landtag von Magdeburg sitzt.
"Die drei Länder zusammen haben 8, 5 Millionen Einwohner. Das wäre von der Einwohnerzahl her eine Größe zwischen Niedersachsen und Baden-Württemberg. Und wenn man sich im Ländervergleich die Ausgaben anschaut für politische Führung und zentrale Verwaltung, dann ergibt sich daraus ein erheblicher Einspareffekt, nach meiner Prognose von mehr als 100 Euro pro Einwohner und Jahr."

Für ihn zählt vor allem das Argument der Effizienz. Wofür drei statistische Landesämter haben, wenn auch eines reicht? Wofür drei Landtage?.

Dass sie ausgerechnet in Leipzig auf Unterschriftenjagd gehen, ist kein Zufall. Denn die wirtschaftsstarke Messestadt gilt als heimliche Hauptstadt der Region. Die Leipziger im Feierabendverkehr am Connewitzer Kreuz lassen die Fusionspläne ziemlich kalt.

"Das finde ich absoluten Quatsch. Jedes einzelne Bundesland ist etwas individuelles. Das ist sinnlos."

Sachsen-Sachsen-Anhalt-Thüringen – diese drei Länder werden auch Mitteldeutschland genannt. Eine historische Bezeichnung, die bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges verwendet wurde. Das was nach dieser Begrifflichkeit Ostdeutschland ist liegt östlich der Oder-Neiße-Grenze. Doch Geschichts-Revanchismus will Bernward Rothe nicht betreiben

"Ostdeutschland liegt dort, wo heute Polen liegt. Und auch Polen bleiben soll."

Mitteldeutschland – eine besondere Konjunktur hat dieser Begriff in den 1920er Jahren erlebt. Damals hat schon der Leipziger Stadtrat Walther Leiske von einem Zusammenschluss geträumt, der Idee hat er 1928 ein ganzes Buch gewidmet.

Doch die gemeinsamen Wurzeln, auf die die Fusions-Befürworter neben den Kosteneinsparungen immer wieder hinweisen, gehen noch weiter zurück.

Der ehemalige TU Professor Professor Karl-Heinz Blaschke ist eigentlich schon längst in Rente, aber für ein Interview zu seinem Spezialgebiet ist er immer zu haben. In seinem Haus bei Dresden beugt sich der Historiker für sächsische Landesgeschichte, über eine selbst gestaltete Karte.

"Wenn man sich fragt, was die Einheit des mitteldeutschen Raums begründet, dann ist hier tatsächlich die Reformation zu nennen."

Politisch nicht wirklich gewollt
Identifikationsfiguren wie Luther seien wichtig für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen, findet Historiker Blaschke. Ähnlich prägend waren auch die Wettiner, ein Adelsgeschlecht, das seit dem Mittelalter von der Mark Meißen aus Gebiete in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen regierte. Als Kurfürstentum Sachsen bestand es bis ins 19. Jahrhundert hinein.

Luther und Wettiner als Symbolfiguren für eine mögliche Länderfusion: Die wird schon seit Jahren immer mal wieder diskutiert, aber politisch wohl nicht mit letzter Konsequenz gewollt. Im August hatte sich der Magdeburger Ministerpräsident Reiner Haseloff, CDU, in einem Interview mit der "WELT" positiv über mehr Zusammenarbeit mit seinen Nachbarländern geäußert. Prompt war er wieder mittendrin in der Fusionsdebatte. Heute, wenige Wochen später, blockt Haseloff ab, er sei falsch verstanden worden.

Dass der letzte Diskussionsanstoß aufgerechnet aus Sachsen-Anhalt kam, ist kein Zufall. Das Land hat leere Kassen. Und in der Fusionsdebatte geht es natürlich auch ums Geld. Das wichtige Datum ist das Jahr 2020, dann tritt die Schuldenbremse in Kraft, die den Ländern die Aufnahme von neuen Netto-Krediten verbietet. Bernward Rothe befürchtet:

"Die Schuldenbremse wird unseren Gestaltungsspielraum einschränken."

Über eine Teilentschuldung der Länder will Rothe den Nachbarn die Fusion schmackhaft machen. Die Braut, in diesem Fall Sachsen-Anhalt, soll sich noch aufhübschen.

Doch die Nachbarn zeigen dem Werben die kalte Schulter, die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, wie Haseloff auch Chefin einer großen Koalition, reagierte wenig begeistert. Kooperation ja, Fusion nein. Zu stark ist das Heimatgefühl ihrer Thüringer.

Und auch die umworbenen Sachsen winken müde ab. Die Braut aus Magdeburg ist zu unattraktiv, zu pleite. Holger Zastrow, der Fraktionsvorsitzende der FDP-Landtagsfraktion ist einer der schärfsten Kritiker einer möglichen Länderfusion, auch wegen des Geldes.

"Die Länder haben sich seit der Einheit unterschiedlich entwickelt. Wir sind politisch einen anderen Weg gegangen. Wir sind in Ostdeutschland, das Land, das sich am besten entwickelt hat. Das Land mit der niedrigsten Pro-Kopf-Verschuldung."

Kooperation statt Fusion
Die Früchte der Arbeit, der harten Sparpolitik möchte man schon bitte schön selber ernten, sagt der Sachse selbstbewusst.

Wenn schon keine Fusion, dann wenigstens Kooperation. Mit am besten ist das für die Wirtschaft am Flughafen Leipzig-Halle zu besichtigen. Heute trifft sich hier das Netzwerk Logistik Leipzig-Halle. Man freut sich über gute Zahlen, wachsende Bekanntheit.

Flughafen Geschäftsführer Dierk Näther: "Der Flughafen hört nicht am Zaun auf, sondern wir strahlen in die ganze Region hinein. Wir müssen mit den angrenzenden Territorien kooperieren."

Sachsen ist hier Hauptgesellschafter, dann folgt Sachsen-Anhalt. Thüringen könne vor allem über die gute Logistik-Anbindung und die Arbeitsplätze am Flughafen profitieren. Eine Länderfusion würde das Arbeiten zwar etwas vereinfachen, muss aber nicht sein, findet Näther.

Natürlich, über Mitteldeutschland zu sprechen geht natürlich nicht ohne den MDR. Mit seiner Namensgebung hat er nach der Einheit der Bezeichnung Mitteldeutschland wieder zu einer Renaissance verholfen. Die fünfgrößte ARD-Anstalt produziert etwa zehn Prozent des Fernseh-Programms für Das Erste.

Zu den Publikums-Magneten gehören die Regional-Magazine Sachsen-Spiegel, Sachsen-Anhalt Heute und Thüringen-Journal, die jeden Tag um 19 Uhr aus den drei Landesfunkhäusern in den Hauptstädten kommen.

Für Jens-Ole Schröder, Juristischer Direktor beim MDR, ist die Vielfalt eine Bereicherung: "Sie bekommen eine Geschichte aus mehreren Blickwinkeln. Sie haben unterschiedliche politische Konstellationen zum Teil in den Bundesländern. So bekommen sie mehr Perspektiven in die Arbeit eines Senders hinein."

Eine Länderfusion ist auch hier – kein Thema. Zu gering sei das Interesse, zu groß das regionale Selbstbewusstsein.

Noch einmal zurück zu Mitteldeutschland-Fan Bernward Rothe am Connewitzer Kreuz in Leipzig. Er und sein Mitstreiter Roland Mey haben nach drei Stunden gerade mal 30 Stimmen zusammen. Etwa 7.000 brauchen sie. Am Tag der Deutschen Einheit wollen sie wieder sammeln.

Nordstaat
Nicht ganz so aktiv wirbt man hingegen derzeit für einen so genannten Nordstaat, obwohl auch der immer wieder im Gespräch ist, weswegen Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen das Thema auch "Loch Ness" nennt. Es "taucht einmal im Jahr auf und hinterlässt keine weiteren Spuren". Dabei gibt es für seine Region richtig viele Fusionsvarianten: Da wäre zum Beispiel der Nordstaat aus Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Oder als kleinere Variante - Niedersachsen und Bremen zusammenzufassen. Bietet sich an oder? - Bremen und Bremerhaven liegen ja wie zwei kleine Inseln in Niedersachsen.

Von Franziska Rattei

Große Pause an der Gesamtschule Ost, der GSO, in Bremen-Tenever; einem Viertel, ganz am Rande der Stadt. Etwa einen Kilometer entfernt liegt die Bremisch-niedersächsische Landesgrenze. An der GSO gibt es niedersächsische Schüler, die einen kürzeren Schulweg als ihre Bremer Klassenkameraden haben. Aber als Niedersachse eine Bremer Schule zu besuchen ist mit einigem Verwaltungsaufwand verbunden, sagt Franz Jentschke, Direktor der GSO.

"Nun ist seit einiger Zeit es so, dass diese Kinder einen Freistellungsantrag mitbringen müssen. Das heißt: Niedersachsen muss erklären: Wir sind damit einverstanden, dass das Kind in Bremen zur Schule geht. Und dann sind auch Ausgleichszahlungen zu leisten von Niedersachsen. Und da die eigene Schulen haben, machen die das nicht so gern und halten ihre Schüler dann eher fest."

Er kann beide Länder verstehen, sagt Jentschke. Schließlich berappt Niedersachsen pro Jahr fast vier Millionen Euro für die zweitausend Schüler, die Bremer Unterricht besuchen. Aber manchmal kann eine niedersächsische Schule eben nicht genau das bieten, was die GSO vorhalten kann; Abitur nach 13 Jahren und Kooperationen mit der Deutschen Kammerphilharmonie und Werder Bremen zum Beispiel.

Daran wollen eben nicht nur Bremer, sondern auch Niedersachsen teilhaben, sagt Jentschke. Allerdings, meint er: eine Fusion der beiden Bundesländer würde auch nichts daran ändern, dass er viele Bewerber ablehnen muss. Die Schüler aus der umliegenden Kommune hätten noch immer Vorrang.

André Heinemann, Leiter der Forschungsstelle Finanzpolitik an der Uni Bremen und Mitglied bei Bündnis 90/die Grünen, hält den jetzigen Weg des Schüleraustauschs für eine gute Lösung. Daran lasse sich erkennen, dass die Überwindung von Grenzen funktioniere, sagt er. Warum also zwei Bundesländer mit unterschiedlichem kulturellen und politischem Hintergrund
verbinden, fragt der Wirtschaftswissenschaftler. Er meint:

"Länderfusionen sind möglicherweise so etwas wie eine politische weiße Salbe, mit der man dann versucht, kurzfristig etwas Linderung sich zu verschaffen, aber am Ende dann feststellt, dass die Symptome noch da sind. Und das ist auch kein Wunder, weil die Ursachen noch da sind."

Mit den Symptomen mein Heinemann zum Beispiel die Bremer Schulden, die derzeit bei mehr als dreißigtausend Euro pro Kopf liegen – bundesweit der höchste Wert überhaupt. Durch eine Länderfusion würden sich diese Altschulden nicht in Luft auflösen. Und auch sonst bliebe die Realität im Prinzip dieselbe, sagt er.

"Wir sprechen hier eigentlich von einem Fall, wo wir eine Landesgrenze ausradieren. Die Bürger würden weiter so leben wie bisher, die Unternehmen würden weiter beschäftigt sein wie bisher. Dass es eine ökonomische Dynamik, eine Wachstumsdynamik auslösen würde – dazu gibt es keine Hinweise. Also das sehen wir nicht. Und insofern müsste man sich eigentlich erstmal mit der jetzt gegenwärtigen Realität auch in Zukunft abfinden."

Das Rathaus in Bremen
Ob eine Fusion dem schuldengeplagten Bremen helfen würde, ist umstritten.© picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Projekte über die Ländergrenzen hinweg gibt es schon heute
Die gegenwärtige Situation von Bremen und Umgebung nutzen und das Beste daraus machen – über Ländergrenzen hinweg. So in etwa lässt sich beschreiben, wofür die "Metropolregion Bremen-Oldenburg im Nordwesten" steht. Anna Meincke ist die Geschäftsführerin dieses Vereins und bringt mit ihren Kollegen verschiedene Interessensgruppen aus Bremen und Niedersachsen an einen Tisch, Landes- und Kommunalpolitiker, Vertreter der Verwaltung, der Wirtschaft und Wissenschaft.

"Es geht vor allen Dingen darum - wie es bei vielen dieser Vereine geht – um eine bestimmte Standortpolitik: Firmen anzusiedeln. Und es geht dann auch darum, den Akteuren zu erklären, dass es vielleicht auch manchmal für den Standort Bremen positiv ist, wenn beispielsweise sich im Ammerland oder im Landkreis Osnabrück oder im Landkreis Verden sich ein großes Unternehmen ansiedelt, weil dann eben auch viele Teile der Bevölkerung dort in dem Landkreis Arbeit bekommen oder es Zulieferer-Firmen gibt, usw. Also: gemeinsam etwas für die Region nach außen bringen."

In den vergangenen sechs Jahren hat der Verein der "Frischköpfe", wie er sich auch nennt, 100 Projekte über Ländergrenzen hinweg organisiert. "Angeschoben", sagt Anna Meincke, mit einer Summe von bis zu einer Million Euro. Bremen und Niedersachsen stellen jeweils die Hälfte der Fördergelder zur Verfügung, und der Vorstand der Metropolregion entscheidet dann, wie sie eingesetzt werden. Ein Beispiel: der ZVBN, der Zweckverband Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen.

"Das ermöglicht den Menschen, an einen Ticketschalter zu gehen, ein Ticket zu kaufen, und mit diesem Ticket entweder nach Bremerhaven zu fahren, aber genauso nach Diepholz. Und es gibt einfach einen gemeinsamen Tarif. Dort wird, glaub ich, regionale Kooperation über Grenzen hinweg jeden Tag gelebt, und es fällt den Menschen gar nicht auf. Ihnen ist es aber wichtig, dass es so was gibt, weil es sonst unglaublich kompliziert wäre, wenn ich aus einem Landkreis in den nächsten komme und mir jedes Mal ein neues Ticket kaufen müsste."

Brücken schlagen ist Anna Meinckes Geschäft. Und weil beide Bundesländer etwas von den Projekten haben, funktioniert die Zusammenarbeit im Regelfall gut, sagt sie. Bei einigen Details allerdings müsse man aufpassen, die unterschiedlichen Vorgaben der Länder zu wahren. Beispiel gesetzlicher Mindestlohn. Stellt Bremen Fördergelder bereit, die am Ende zum Beispiel ein Parkwächter empfängt, muss er den gesetzlichen Mindestlohn bekommen. Wird er mit niedersächsischen Fördergeldern bezahlt, gilt diese Vorgabe nicht.

Die Frischköpfe bereiteten keine niedersächsisch-bremische Wirtschaftsfusion vor. Aber einige ihrer Netzwerke gehen doch in eine verwandte Richtung. Zum Beispiel arbeiten die Verwaltungen von mehr als 60 Kommunen im Nordwesten in einer sogenannten "virtuellen Region" zusammen. Das Ergebnis: Verwaltungsangelegenheiten werden vereinheitlicht. Wer von Vechta nach Bremen umzieht, kann die Formalitäten schon alle bequem am alten Wohnort erledigen.

Freilich: hier geht es um Kommunal-Verwaltungen in den beiden Bundesländern. Das Argument für eine Fusion von Bremen und Niedersachsen ist immer wieder: Einsparungen bei der Verwaltung auf Landesebene. Jährlich könnte man damit 60 bis 80 Millionen Euro einsparen, rechnen Experten wie der Wirtschaftswissenschaftler André Heinemann vor. Und doch sind andere Argumente stärker, sagt Caroline Linnert, Bremens grüne Finanzsenatorin.

"Dann eben verliert der arme Norden 400 Millionen Euro, die wir jetzt - wegen der Eigenständigkeit Bremens - in eine Region transferiert bekommen, die den Strukturwandel noch nicht völlig geschafft hat. Für uns ist das also, allein vom Saldo her, nicht positiv. Es war eine Verfassung, die nach dem Krieg hier gemacht wurde, die unterschiedlich große und unterschiedlich leistungsfähige Bundesländer wollte. Dafür gibt’s auch den Finanzausgleich, um die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen auszugleichen. Das Solidarprinzip ist konstitutiv in Deutschland. Das gilt für das Verhalten von Reichen gegenüber Armen, und das gilt auch für das Verhalten unter Bundesländern."

Bremens Schulden bleiben - ob mit oder ohne Fusion
Das Thema Länderfusion hat einen Bart, meint die Finanzsenatorin. Dass es spätestens dann wieder diskutiert wird, wenn der Länderfinanzausgleich 2019 endet, weiß Linnert aber auch. Bremen muss sparen, was es auch schon seit Jahren unter dem Protest der Beamten und der übrigen Bürger tut.

Aber selbst wenn das Bundesland 2020 die Vorgaben der Schuldenbremse einhält und keine neuen Schulden aufnimmt – die alten Schulden wird Bremen aus eigener Kraft nicht zurückzahlen können. Dass Deutschlands kleinstes Bundesland Hilfe braucht, steht also außer Frage – ob mit einem neuen Finanzausgleichssystem, einer Umwidmung des Solidaritätszuschlags oder einer umfassenden Steuerreform – all das wäre möglich, sagt Caroline Linnert. Aber eines schließt sie kategorisch aus:

"Die Fusion selber löst gar nichts. Das ist so wie Klein-Fritzchen sich Politik vorstellt. Aber eine Lösung ist es nicht. Deutschland hat keinen Vorteil davon."

Den Finanzausgleich entlasten und die Demokratie stärken
Eine Meinung, die längst nicht alle Experten teilen. Da ist zum Beispiel Arthur Benz, Professor für Politikwissenschaften an der TU Darmstadt und an Leiter einer Arbeitsgruppe zum Thema "Neugliederung des Bundesgebiets." Seiner Meinung nach macht es zumindest für einige Gebiete durchaus Sinn, zu fusionieren.

Arthur Benz, Politikwissenschaftler an der TU Darmstadt, im Gespräch mit Katja Bigalke

Arthur Benz: Richtig ist, dass die Stadtstaaten in Flächenländer eingegliedert werden sollen. Jedenfalls wird das schon lange diskutiert. Das macht meines Erachtens auch durchaus Sinn, weil die Stadtstaaten sehr stark mit ihrem Umland verflochten sind. Und außerdem gibt es da ein spezielles Problem im Finanzausgleich durch die besondere Gewichtung der Einwohner bei der Berechnung der Finanzbedarfe, in Mitteldeutschland selbstverständlich durch die Problematik, die nach der deutschen Einheit entstanden ist, und die sehr ungleichen Wirtschaftsstrukturen dieser Länder. Ein dritter Fall wäre natürlich das Saarland, ein Land, was nicht nur sehr klein ist, sondern auch in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit relativ begrenzt ist.

Katja Bigalke: Welche Argumente sind denn für Sie die stärksten, um für eine Neugliederung der Bundesländer zu werben?

Arthur Benz: Die stärksten Argumente sind sicher, dass man den Finanzausgleich entlasten kann, dass man etwa das problematische Element der besonderen Begünstigung der Stadtstaaten beseitigen kann. Und natürlich kann man durch größere Länder in Zukunft mehr Aufgaben dezentralisieren und damit den Föderalismus stärken. Man könnte vermutlich dann auch eher darüber nachdenken, etwa Steuerrechte, ein Zuschlagsrecht auf die Einkommenssteuer auf die Länder zu übertragen. Das heißt, die Länder und damit Demokratie in den Ländern zu stärken.

Katja Bigalke: Sie haben jetzt als wichtigstes Argument durchaus die Finanzen genannt. In beiden Beiträgen wird von der Gegenseite ganz klar durchgerechnet und behauptet, die finanziellen Einsparungen durch die Einsparungen auf der Verwaltungsebene würden nicht so wahnsinnig viel bringen und zu einem Schuldenabbau käme es natürlich auf gar keinen Fall, auch nicht durch eine Fusion, weswegen das eigentlich eine Milchmädchenrechnung sei.

Arthur Benz: An dem Argument ist insofern etwas Richtiges, als die Schuldenproblematik in der Tat eine Neugliederung verhindern könnte. Denn wir müssen ja bedenken, dass nach dem jetzigen Grundgesetz die Bevölkerung in den betroffenen Landesteilen zustimmen muss. Und die Länder, über die man nachdenkt, die Stadtstaaten mit ihrem Umland und etwa auch die mitteldeutschen Länder, insbesondere aber auch Saarland und Rheinland-Pfalz, das sind Länder mit sehr unterschiedlichen Schuldenständen – pro Kopf gerechnet. Und die Bevölkerung wird natürlich vor allem diese Problematik diskutieren. Das heißt, die Menschen, die befürchten müssen, dass sie Altlasten von einem anderen Land übernehmen müssen, werden möglicherweise nicht dazu bereit sein.

Katja Bigalke: Auf der anderen Seite ist zum Beispiel auch gerade so einem Stadtstaat wie Bremen offensichtlich das Argument der regionalen Identität ganz wichtig und die Angst, an Macht zu verlieren.

Arthur Benz: Die Angst, an Macht zu verlieren, ist sicher berechtigt. Denn Bremen würde natürlich seine Stimme im Bundesrat verlieren. Das Argument der Identität halte ich für überzeichnet. Ich glaube, es geht eher um Interessen. Das, was im Grundgesetz noch als landsmannschaftliche Verbundenheit bezeichnet wird, ist eigentlich etwas, was sich mehr in Teilregionen widerspiegelt und eigentlich für die politischen Prozesse und für die Organisation von Staatlichkeit heutzutage vor allem auf der Länderebene eine deutlich geringere Rolle spielt, als wenn wir in der Geschichte zurückdenken.

Katja Bigalke: Ein wichtiges Datum, was den Druck auf die Länder sicherlich erhöhen wird, ist das Jahr 2019, wenn der Solidarpakt II ausläuft und damit der Länderfinanzausgleich wieder neu verhandelt werden muss. Ist das ein wirkungsmächtiges Druckmittel? Glauben Sie, dass damit dann Bewegung in die Debatte kommt?

Arthur Benz: Es wird sicher Bewegung in die Debatte kommen. Ob es ein Druckmittel ist, da bin ich mir nicht sicher. Ich würde jedenfalls den Politikern empfehlen, den Zusammenhang zwischen Finanzausgleich und der territorialen Struktur der Bundesrepublik ins Auge zu fassen und nicht von vornherein das Thema Neugliederung als etwas nicht Realisierbares betrachten.
Man kann ja auch über den Finanzausgleich in einer längerfristigen Perspektive diskutieren und überlegen, ob man nicht sozusagen in einer längerfristigen Politik schrittweise über geeignete Länderkooperationen irgendwann zu einer Länderneugliederung kommt. Ich glaube, der Fehler ist ohnehin, dass man einfach meint, eine Neugliederung könnte man mehr oder weniger in kurzer Zeit verwirklichen. Das muss ein Projekt sein über einen längeren Horizont.

Katja Bigalke: Herr Benz, vielen, vielen Dank für das Gespräch.

Arthur Benz: Vielen Dank.

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Euromünzen liegen auf den Schalen einer Waage
Durch Fusionen würde der Länderfinanzausgleich einfacher, meint Benz.© picture alliance / dpa / Armin Weigel