Sachsen-Anhalt

Flüchtlinge, kommt nach Hettstedt!

Blick auf den Marktplatz von Hettstedt (Sachsen-Anhalt), aufgenommen am 20.1.2008
Hettstedt will den Bevölkerungsschwund durch Flüchtlinge ausgleichen © picture alliance / dpa / Peter Förster
Von Christoph Richter · 31.12.2015
Sachsen-Anhalt laufen die Flüchtlinge weg. Die Kleinstadt Hettstedt versucht sie zu halten, mit Ausflügen, Heimatkunde- und Geschichtsunterricht. Der Bürgermeister der Stadt sieht sich als Sachsen-Anhalts Asterix, der gewitzt und pfiffig die Stadt mit syrischen und afghanischen Flüchtlingen zu neuer Blüte führen will.
(Asterix auf sächsisch): "...im Jahre 50 vor unserer Zeitrechnung wurden die Gallier nach längeren handgreiflichen Streitigkeiten von den Römern bezwungen...."
Hettstedt ist auch ein gallisches Dorf, doch es ist anders als andere Kommunen, weil es um Flüchtlinge und Zuwanderer buhlt. Am Liebsten würde Bürgermeister Danny Kavalier jeden einzelnen Flüchtling mit einem Handschlag und einer fetten Umarmung begrüßen. Nur, die Flüchtlinge wollen nicht, sie wollen so schnell wie möglich wieder weg.
Spätestens nach der Anerkennung sind sie weg
CDU-Kommunalpolitiker Danny Kavalier ist verzweifelt:
"Wir kommen ja von nahezu Null. Wir hatten Anfang des Jahres neun Flüchtlinge, haben in der Spitze mal 340 gehabt. Was mich aber mit Sorge umtreibt ist der Fakt, wenn die Flüchtlinge ihren Status der Anerkennung bekommen, also eine Duldung und Aufenthaltserlaubnis, dann gehen sie aus Hettstedt weg. Das sehen wir mit Sorge."
Verkehrte Welt. Während CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff von Obergrenzen palavert, dass man lediglich 12.000 Menschen in Sachsen-Anhalt integrieren könne, bietet ihm der junge Parteikollege Kavalier – lila Hemd, Jeans, Wolljackett – die Stirn:
"Was nützen uns tatsächlich diese Obergrenzen, die Frage muss man in dem Fall stellen. Und ich denke ganz einfach, wir müssen das Thema jetzt endlich anders anfangen zu denken. Es geht längst nicht mehr nur um Unterkünfte, um humanitäre Hilfe, sondern auch um eine Weiterentwicklung in Integration. Wir müssen die Chance erkennen und nicht Abwehrschlachten führen."
Jeder dritte Flüchtling hat Sachsen-Anhalt bereits wieder verlassen
Basta. Der Appell von Bürgermeister Kavalier ist klar und deutlich: Flüchtlinge, kommt nach Hettstedt. Ist aber gar nicht so einfach, denn bereits ein Drittel der etwa 40.000 Asylbewerber, die dieses Jahr nach Sachsen-Anhalt gekommen sind, haben laut Innenministerium das Land bereits wieder verlassen. Zwischen Arendsee und Zeitz ist eben nicht viel zu holen. Lebten in der Bergbau-Region um Hettstedt mal 20.000 Menschen, sind es jetzt nur noch 15.000, bald gerade einmal 10.000.
Dennoch – Bürgermeister Kavalier träumt schon mal: Mit Flüchtlingen den Bevölkerungsschwund ausgleichen, die Stadt zur neuen Blüte bringen.
"All das muss allen bewusst sein. Mit 20, 30 Flüchtlingskindern kommen wir an einer Kita-Schließung vorbei. Auch das muss allen bewusst sein. Die Kita kann im Wohngebiet bleiben, man muss nicht die weiten Wege haben. Auch heiß diskutiert, das Thema Schulschließung. Natürlich sind auch mit Flüchtlingskindern entsprechende Zahlen zu halten, dass man Schulen vielleicht nicht schließen muss.
Mir ist die Diskussion zu einseitig, dass wir immer nur die Risiken sehen, immer in das Jammern verfallen. Da mag die Bundeskanzlerin vollkommen recht haben, mit dem Wir schaffen das. Wir schaffen das aber nur, wenn wir offen sind im Geist und im Blick nach vorn."
200 Migranten pro Jahr halten die Wasserpreise stabil
Hettstedt braucht etwa 200 Migranten im Jahr, sonst werden die Wasserpreise beispielsweise künftig um 30 Prozent steigen, weil alles mal für viel mehr Einwohner berechnet und gebaut wurde. Kein verfrühter Aprilscherz. Ausgerechnet hat das der in Berlin und Cambridge studierte Sozialwissenschaftler und Demografie-Experte Andreas Siegert:
"Hettstedt hat einige strukturbedingte Betriebe, die bereits jetzt an einem eklatanten Mangel an Fachkräften leiden. Keine einzelne Maßnahme wird mehr ausreichen, die Folgen des demografischen Wandels zu beheben. Sie können nur lindern. Und diese Linderung muss aus einer Vielfalt von Maßnahmen bestehen. Dazu ist die Anwerbung und Integration von Flüchtlingen eine Maßnahme. Dann kann sie auch dazu beitragen, das Leben dort lebenswerter zu machen. Indem Ärzte sich dort niederlassen – unter den Flüchtlingen beispielsweise. Indem wir dafür sorgen, dass die Kaufkraft gestärkt wird. Wertschöpfung stattfinden kann."
Ausflüge für Flüchtlinge
Der Bürgermeister grübelt, wie das klappen kann. Wie sich die Flüchtlinge in Hettstedt endlich so wohlfühlen, damit sie auch bleiben.
"Wir unternehmen Ausflüge in die Region. Um die Region bekannt zu machen, um zu zeigen, wo lebt man, wo ist man eingeordnet. Wir machen auch so eine Art Heimatkunde- und Geschichtsunterricht. Was war hier, was ist hier. Dass man letzten Endes nicht in der Gemeinschaftsunterkunft lebt, den Bescheid bekommt und sagt: Weg. Sondern wir wollen die Zeit bis zur Anerkennung ganz intensiv nutzen."
Der dynamische Pragmatiker Danny Kavalier hat die Stichworte Wegzug, Überalterung, Ärztemangel, Pflegenotstand im Kopf. Nun sollen es ausgerechnet die Flüchtlinge richten, die sich Kavalier sehnsüchtig nach Hettstedt wünscht...
"Ich denke, wir sollten zwingend anfangen umzudenken. Ich werde nicht zu denen gehören – das sage ich ganz deutlich – die sich vielleicht im nächsten Jahr darüber freuen und sagen: Gott sei Dank die Karawane ist weitergezogen. Wenn wir diese Chance nicht ergreifen, dann sehe ich auch schwarz für die weitere Entwicklung unserer Region."
Nicht jeder in der Region findet den Ansatz richtig
Weshalb Danny Kavalier die Flüchtlinge mit offenen Armen empfängt. So mancher der Region hat damit zwar ein Problem. Noch, sagt der Bürgermeister.
Wenn man später aber Danny Kavalier den Asterix Sachsen-Anhalts nennt, weil er gewitzt und pfiffig zusammen mit syrischen und afghanischen Flüchtlingen aus Hettstedt eine pulsierende Kleinstadt gemacht hat - dann habe er auch nichts dagegen, sagt der zweifache Vater zweier kleiner Töchter. Und lacht.
"Ja...(lacht)...wir wollen noch intensiver in die Gespräche kommen."
(Filmausschnitt Asterix:) "...tja das war sie die Geschichte von Asterix und wie sie alle heißen. Also dann, bis zum nächsten Mal, bei Asterix und seinen Freunden."
Mehr zum Thema