Sachsen-Anhalt

Das Theaterwunder von Zielitz

Blick am 27.11.2015 in das neue Theater in Zielitz (Sachsen-Anhalt). In den Neubau mit einer maximalen Zuschauerkapazität von 98 Zuschauern wurden rund zwei Millionen Euro investiert.
Das neue Theater in Zielitz hat rund zwei Millionen Euro gekostet. © picture alliance / ZB / Jens Wolf
Von Christoph Richter · 16.02.2016
Entleerte Provinzen überleben nicht ohne Kultur. Die Bewohner eines Ortes in Sachsen-Anhalt glauben fest daran. Dort gab es im vergangenen Jahr bundesweit den einzigen Theaterneubau. Im Harz gibt es ähnliche Pläne - aber kaum Geld.
"Tatsache Egon, der sieht aus wie ich. Das dumme Schwein, schau mal Egon. Der kaut genauso auf dem Stummel rum wie du....Niemals, das ist ein lausiger Amateur....ich bin ein Amateur?"
Ein Ausschnitt aus der Komödie "Die Olsenbande sucht Berni sein Zimmer", gespielt von Laien und Amateuren. Sie bereitet den Besuchern des Zielitzer Theaters großen Spaß. Die Olsenbande – das ist eine dänische Fernseh-Serie der 1970er und 1980er Jahre, die in der DDR Kult war. Es geht um drei komödiantische Klein-Kriminelle, auf der Suche nach dem großen Coup. Bis heute ist deren Beliebtheit in den Neuen Ländern so gut wie ungebrochen. Weshalb es auch viele Theater-Adaptionen gibt, wie hier am Theater Zielitz.
"Los jetzt. Mir nach..."
Zielitz, das ist eine etwa 1.900 Einwohner große Gemeinde mit dem Bergmanns-Abzeichen im Wappen. Ein Teil der Verbandsgemeinde Heide-Elbe, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Kalibergbau geprägt ist. Ein Ort der nun bundesweit für Furore sorgt. Denn nicht in Zürich, Barcelona oder Berlin, sondern im kleinen Zielitz in Sachen-Anhalt, 25 Kilometer nördlich von Magdeburg hat man letztes Jahr für stolze 2,6 Millionen Euro ein Theater in den Ort gestellt. Ein Theater-Neubau in Zeiten klammer Kassen – in manchen Ohren klingt das unglaublich und nach einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht.
"Ja, die Gemeinde denkt sehr zukunftsweisend. Und uns ist es wichtig, dass die Menschen die hier leben, sehr wohlfühlen. Und dazu gehört Kultur. Und dazu gehört ein Theater."

Mit dem Theater gegen den demografischen Wandel

Der 52-jährige Christdemokrat Dyrk Ruffer ist Bau-Ingenieur, Vater zweier Kinder und Bürgermeister von Zielitz. Seit 1994 leitet er die Geschicke der Bergarbeitergemeinde Zielitz, eine der wohlhabendsten Kommunen Sachsen-Anhalts.
"Wir sind reich an Lebensqualität, heute ein ganzes Stück mehr durch dieses neue Theater."
Eine sehr salomonische Antwort von Bürgermeister Ruffer auf die Frage, ob man im Landesdurchschnitt nicht unverschämt reich sei. Doch über den Wohlstand seiner Gemeinde möchte Ruffer am Rande der Eröffnung des Theaters nicht so gerne reden.
"Es ist richtig, uns geht es besser als anderen Gemeinden, aber deshalb setzen wir Zeichen für die Region..."
...und stellen ein Theater-Neubau neben die Schule und die Bibliothek. Gegenüber ist der Sportplatz, der aus welchen Gründen auch immer, selbst nachts hell erleuchtet ist.
Wer von Berlin kommend auf der A 2 nach Hannover fährt und die Elbbrücken quert, sieht rechterhand weiße Berge. Salz-Abraumhalden. Sie thronen unmittelbar vor Zielitz. Mit einer Höhe von 180 Metern sollen sie die größten Erhebungen bis zur Ostsee sein, heißt es. Den größten Berg nennt man Kalimandscharo. Unter Tage - 1000 Meter tief - graben sich bis zu 50 Kilometer weit, armdicke Bohrer durch den Untergrund. Um das Kali-Salz zutage zu fördern.
Kali ist heute einer der begehrtesten Rohstoffe der Welt, unentbehrlich für die Düngerproduktion, weil auf immer weniger Flächen, immer mehr Nahrungsmittel produziert werden müssen. Weshalb der Preis lange stetig stieg. Allein in Zielitz werden jedes Jahr rund zwei Millionen Tonnen Kali abgebaut, damit ist es eines der größten Kaliwerke. Weltweit.
"Ja, ganz im Ernst, es ist schon ein Traum. Und fragt sich manchmal, ist das alles so wahr."
Denn in Zielitz ist niemand arbeitslos erzählt Bürgermeister Ruffer. Die wirtschaftliche Situation sei ähnlich wie in Starnberg in Oberbayern oder im Taunus bei Frankfurt. 1.800 Jobs gibt es direkt im Werk in Zielitz. Einer Studie des Weltkonzern K&S zufolge, der in Zielitz das Salz abbaut, sollen zwischen 2008 und 2013, etwa 60 Millionen Euro Löhne und Gehälter gezahlt worden sein. Die Gewerbesteuerzahlungen haben sich in diesem Zeitraum auf rund 68 Millionen Euro summiert. Damit hat Zielitz den fünftgrößten Gewerbesteuer-Anteil im Land. Superlative. Zur Erinnerung: Zielitz hat gerademal 1.900 Einwohner.
"Ich kann nur sagen, der Ort hat Mut. Ich freu mich als Landkreis darüber, dass trotz dieses Demografie-Wandels den wir haben, hier an Nachhaltigkeit, an künftige Generationen gedacht wird."
Hans Walker, CDU. Er ist der Landrat des Landkreises Börde, sowas wie die Kornkammer Sachsen-Anhalts.
Nach Ansicht von Soziologen und Regionalexperten sind Theater nicht nur Kultureinrichtungen, sondern auch Orte, die dem demografischen Wandel entgegenwirken. Sie seien identitätsstiftend. Für die Attraktivität von Regionen immens wichtig. Demografen sprechen an dieser Stelle auch gern davon, dass man entleerte Provinzen nur attraktiv gestalten müsse, dann würden die Menschen schon von selbst kommen.

"Wir werden keine Kanaldeckel vergolden"

Goldene Laternen oder geheizte Straßen finde man hier deswegen aber nicht, ergänzt augenzwinkernd der aus dem sächsischen Grimma stammende Bürgermeister Dyrk Ruffer.
"Wenn Sie schon durch den Ort gefahren sind, werden Sie merken, dass wir das genau nicht tun. Also wir werden keine Kanaldeckel vergolden, sondern wir werden das tun, was die Menschen hier brauchen und was sie auch nutzen können. Ne Bibliothek, einen sehr neuen Sportplatz, dann die Schule. Ist auch neu gebaut worden, sehr schön angelegt. Man kann sich nicht mehr vorstellen, für so ein Dorf."
Schwärmt Bernd Vorpahl, einer der Bewohner von Zielitz.
"Dann darf man nicht vergessen, wir haben im Grunde alles. Wir haben Physiotherapie im Dorf, wir haben Zahnärzte im Dorf. Wir haben ein Ärztehaus im Dorf mit zwei Allgemein-Ärzten."
Und man dürfe das Schwimmbad und das beheizte Freibad nicht vergessen, ergänzt der frühere Magdeburger Schauspieler Bernd Vorpahl noch. Während der 67jährige Vorpahl die Liste aufzählt, hat man den Eindruck, als könne er selber nicht glauben, was es in dem kleinen Dorf Zielitz alles so gibt, während andernorts die Dörfer verwaisen. Alles vom Feinsten sagt er. Aber das Theater, das man im Dezember eröffnet hat, das wäre ja nun der absolute Hammer. Besucher reiben sich verwundert die Augen....
"Darf ich vorstellen, unser Theater."
"Ja Mensch, man staunt in Zielitz."
Bauzeit: Zwei Jahre. 2,6 Millionen Euro hat der Bau insgesamt gekostet. Geld, das zum größten Teil aus dem Gemeinde-Säckel kommt. Wenn man das durch die Einwohnerzahl rechnet, kommt man auf etwa 1370 Euro, die jeder Bewohner in Zielitz für das Theater gezahlt hat. Wenn man das auf Berlin umrechnet, wäre das ungefähr so, als würde man in der Hauptstadt für – Achtung - 4,8 Milliarden Euro ein Theater gebaut haben.
"Ich glaube die Elb-Philharmonie in Hamburg, die geht in die Milliarden. Die kost soviel Geld, dass man sich das gar nicht mehr vorstellen mag. Natürlich sind die Kosten gestiegen. Also insofern – im Verhältnis – haben wir für unser Dorf..."
...doch ganz gut gewirtschaftet. Bernd Vorpahl lacht. Er sieht ein bisschen wie Gerard Depardieu in jungen Jahren aus. Theaterdirektorin ist seine Frau Sigrid Vorpahl. Wenn man sich mit ihr im Theater Zielitz trifft, ist immer etwas zu organisieren. Die studierte Theaterwissenschaftlerin kommt kaum zur Ruhe.
"Wir haben 1996 in unserem Garten angefangen Theater zu spielen. Eigentlich aus der Not geboren. Das Geld reichte nicht nach dem Hausbau, Urlaub sollte trotzdem nicht ausfallen, also irgendeine Beschäftigung für unsere Tochter. Und da haben wir im Sommer 1996 mit ihr und ihrer Freundin, eine Szene aus Goethes Urfaust einstudiert, die Schüler-Szene nämlich. Und die dann zur Einschulung eines Nachbarkindes, vor unserer Terasse, vor dem Holzhaus aufgeführt."
...im Laufe der Zeit wurde daraus ein Theaterprojekt, das ständig wuchs. Mit inzwischen 80 Darstellern – Jugendliche, wie Erwachsene. Zudem gibt es eine eigene Schauspielschule, mit Fecht-Unterricht, Improvisationsarbeit, Bewegungs- und Szenenstudium. Vor allem die Kinder sind begeistert.

Aus der Schauspielschule Zielitz bis nach Hollywood

Durch die Schauspielerei will man den Kindern etwas mitgeben, wovon sie das ganze Leben profitieren: Nämlich Selbstbewusstsein.
"Die trauen sich was, was sich ihre Eltern manchmal nicht trauen, nämlich auf der Bühne mit dem Publikum zu reden. Das finde ich sehr wichtig, das ist unser Haupt-Anliegen."
Eines der Kinder aus der Schauspielschule Zielitz hat es gar bis Hollywood geschafft. So spielte Philipp Wiegratz an der Seite von Johnny Depp in dem Streifen Charlie und die Schokoladenfabrik des US – Starregisseurs Tim Burton.
Die aufgeführten Stücke – eher heiter volkstümliche Stoffe, wie Märchen, Komödien oder Revuen – werden von der Theaterdirektorin Sigrid Vorpahl arrangiert bzw. selbst geschrieben.
Der Spielort war bislang eine sogenannte – etwas schrabbelige - Raumerweiterungshalle. Ein Unikum aus DDR-Zeiten, die man wie eine Ziehharmonika mit Traktoren auseinanderziehen konnte. Damals eine Annahmestelle, in der alte Flaschen, Gläser, sowie Altpapier gesammelt wurden. Später hat man in mühseliger ehrenamtlicher Kleinarbeit ein Theater daraus gemacht. Doch irgendwann reichte der Platz nicht mehr, weshalb Siegrid Vorpahl beim Bürgermeister zaghaft anfragte, nach einem kleinen Erweiterungsbau.
"Der Bürgermeister kam, sah sich das an und sagte, na das ist doch Quatsch. 'Da bauen wir doch was richtiges.' Naja, ich habe das zur Kenntnis genommen, ich wusste jetzt nicht so genau, was er meint, "mit was richtiges". Jedenfalls habe ich mir nicht träumen lassen, dass ich hier eines Tages, in so einem Theater sitzen würde."
Irgendwie guckt die 60-jährige Sigrid Vorpahl immer noch leicht ungläubig. So als wäre der Theater-Neubau für sie eine Fata Morgana.
Entstanden ist in Zielitz letztlich ein kubischer preisverdächtiger Theater-Bau, die Idee eines Magdeburger Architekturbüros. Kein überrepräsentatives Gebäude, stattdessen erinnert es ein bisschen an eine reduzierte Version des Barcelona-Pavillons von Mies van der Rohe. Ein lichter Flachbau, ohne Säulen. Der Grundriss schreibt den Räumen – außer dem Theatersaal – keine eindeutige Nutzung vor, so dass beispielsweise das Foyer auch für andere Veranstaltungen genutzt werden kann. Die ausgewählten Wandfarben von mattblau bis hellgrün, geben dem Besucher sofort eine positive Grund-Stimmung mit. Theater-Willkommens-Kultur. Der Saal hat 96 Plätze, sechs ansteigende Reihen, die Bühne ist sieben mal fünf Meter groß...
"... ah unsere Image-Broschüre. Und hier sind eine Menge Flyer..."

Das Projekt ist umstritten

Das Theater Zielitz ist aber nicht irgendein Theater, sondern es ist auch eines der seltenen Schwarzlichttheater Deutschlands. Das heißt es gibt Schwarzlicht-Lampen die ausschließlich weiße oder neon-farbene Kleidungsstücke zum Leuchten bringen. Schwarze Farben hingegen werden "geschluckt", weshalb schwarz gekleidete Spieler unsichtbar bleiben. Für pantomimisches Theater geradezu ideal, doch dass ist dann für Zielitz vielleicht eine Nummer zu groß. Sigrid Vorpahl schweigt höflich. Denn einen ausgebildeten Techniker, der das Licht- wie das Ton-Pult beherrscht, den gibt es nicht, das hat man bei der Kostenkalkulation beim Theaterbau anscheinend nicht mit gerechnet. Ebenso unklar ist auch, welche Betriebs-Kosten auf die Gemeinde zukommen, der Eigentümer des Theaters.
"Ich finde es schön, wenn eine Gemeinde die über etwas mehr Mittel verfügt, diese auch sinnvoll einsetzt. Und nicht sagt, wir bauen jetzt irgendwelche Kunst mitten ins Dorf oder wir machen goldene Pflastersteine auf die Straßen, sondern diese Gemeinde hat sich entschlossen, dieses wunderschöne Theater zu bauen."
Wichtiger Arbeit- und Geldgeber: das K+S Kaliwerk in Zielitz.
Wichtiger Arbeit- und Geldgeber: das K+S Kaliwerk in Zielitz.© picture alliance / dpa / Jens Wolf
Aber nicht unumstritten. Denn in den Nachbargemeinden schaut man skeptisch auf den Theater-Neubau in Zielitz. Doch vor dem Mikrofon will keiner ein kritisches Wort darüber verlieren. Denn was die Zukunft bringe wisse keiner, ist hinter vorgehaltener Hand zu hören. Keiner wisse, wie lange der Kali-Salzkonzern K&S an dem Betrieb Zielitz festhalte. Der Hintergrund: Erst vergangenen Sommer gab es Übernahmeversuche durch das kanadische Unternehmen Potash. Und wie groß die Angst war, zeigte sich daran, dass der Ministerpräsident sofort ins Werk nach Zielitz eilte, um der Geschäftsführung zumindest symbolisch den Rücken zu stärken.
Die Aktie des Unternehmens K&S sinkt, der Gewinn stagniert, im letzten Quartal halbierte er sich gar. Analysten erwarten keine schnelle Erholung, in Zielitz tut man dennoch betont lässig. Auch Bürgermeister Dyrk Ruffer.
"Ja, es gibt eine gewisse Unruhe, aber das Vertrauen in einen starken Unternehmer ist da und bleibt."
Während Zielitz träumt, prosperiert und Geld mit großen Händen ausgibt, leiden andernorts die Kommunen. Nach aktuellen Angaben der Landesregierung haben mehr als zehn Prozent der Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt für 2015 keinen genehmigten Haushalt vorlegen können. 14 Städte der 214 Kommunen im Land konnten nicht mal einen Haushalt beschließen, heißt es in einer Antwort der Landesregierung auf Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen.
Für den Sozialdemokraten Frank Damsch kommt das nicht überraschend. Er ist der Bürgermeister der Gemeinde Oberharz, die unterhalb des Brockens liegt. Nur 130 Kilometer von Zielitz entfernt. Doch die Orte trennen Welten. Mit Blick auf den Haushalt könnte man meinen auf einem anderen Finanz-Planeten gelandet zu sein. Zwischen Einnahmen und Ausgaben ergibt sich in der Gemeinde Oberharz eine Lücke von 1,8 Millionen Euro. Die man mühselig abarbeite, sagt Bürgermeister Damsch.
"Der uns vorliegende Haushaltskonsolidierungsplan der Gemeinde Oberharz, idyllisch in den Bergen gelegen, liest sich ausschnittsweise wie folgt: Schließung des Kindergartens. Reduzierung der Kosten der Pflege der Grünanlagen, Reduzierung der Kosten der Kinderspielplätze, Reduzierung der Kosten der Straßenbeleuchtung, Reduzierung des Zuschusses für Sportstätten. Übergabe der Bibliothek an einen Förderverein, Übergabe des Freibads an einen Förderverein."

Auch im Harz soll ein Theater entstehen

Im Klartext heißt das: Ohne das Engagement der Bürgerschaft hätte man die Bibliothek und das Freibad schließen müssen. Aber nicht nur das, wenn es den Einsatz der Menschen nicht gäbe, dann:
"Dann wäre hier, im wahrsten Sinne des Wortes, tote Hose."
Trotz einer Million Tagestouristen, trotz rund 360.000 Übernachtungen musste sich die Stadt Oberharz – mit einer Fläche von 272 Quadratkilometern ist sie etwa halb so groß wie das Land Bremen – im Jahr 2013 für zahlungsunfähig erklären. Weshalb Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht, CDU, dem Bürgermeister Damsch für ein halbes Jahr einen Zwangsverwalter an die Seite gestellt hatte.
Eine der Ursachen für das Haushaltsdefizit sieht der Bürgermeister in der Gemeindegebietsreform von 2009/2010. Damals hatte man quasi alle armen Harzer Ortschaften in der Stadt Oberharz zusammengefasst. Die Zahlungsschwierigkeiten waren vorhersehbar, sagt Bürgermeister Damsch.
Es ging um 24 Millionen Euro, die die Kommune in der Kreide stand. In den letzten fünf Jahren hat die Stadt Oberharz heftig gespart und die Schulden Stück für Stück abgebaut. Derzeit beträgt das Defizit knapp zwei Millionen Euro, sagt Damsch, der sich mehr interkommunale Solidarität wünscht:
"Diese Ausgleichsfunktion sollte schon, ich sag jetzt mal von der großen Politik aufoktroyiert werden, weil wer gibt schon von selbst gerne Geld her. Weil oft ist es viel Glück, warum es einer Gemeinde gut geht. Die oft nicht gewachsen ist auf der Kreativität der jeweiligen Räte oder weil die besonders pfiffig sind, sondern weil die Bedingungen von außen so sind, wie sie sind. So dass aus dieser Situation heraus, auch viel zurück kommen müsste zu den anderen Mitgliedern der kommunalen Familie. Damit bei dem einen natürlich Theaterneubauten entstehen können, aber bei den anderen Theater nicht geschlossen werden müssen."
"Wir sind ja heute morgen stehen geblieben. 3. Akt, 1. Szene. Ich würde mal sagen, um reinzukommen, fangen wir einfach mal an."
Dass es weder ein Theater, noch ein Kino gibt: Am Rand der Gemeinde Oberharz wollen sich Ehrenamtliche mit der Situation nicht abfinden. Daher haben sie den Verein Kulturrevier Harz gegründet, um die alte Waldbühne Benneckenstein zu reaktivieren, um daraus ein Off-Theater am süd-westlichen Harzrand zu machen. 1952 wurde das kleine kuschelige Amphitheater im Wald gebaut, seit 1992 verfällt es, jetzt wird es zumindest im Sommer wieder genutzt.
"Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, die Bühne wieder aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Und wollen dort halt, im Sommer erstmal nur, weil natürlich eine Open-Air-Bühne kann man primär nur im Sommer bespielen."
Sagt der studierte Theaterwissenschaftler Janek Liebetruth, einer der Organisatoren. In den letzten vier Jahren hat er als Regieassistent am Stuttgarter Schauspiel gearbeitet. Er stammt aus dem Harz, das Studium der Theaterwissenschaften hat ihn nach Berlin, dann in den Mittleren Westen der USA verschlagen. Jetzt ist er in die Provinz zurückgekommen. Sein Credo: " Kultur ist nicht die Petersilie auf der kalten Platte der Gesellschaft, sondern unverzichtbar für ein gedeihliches Zusammenleben" wie es Plakatkünstler Klaus Staeck mal formuliert hat.
Liebetruth will zeigen....
"...das wir hier auch professionelle, niveauvolle Theaterkunst machen können, so wie es die anderen Stadt – und Staatstheater auch können."
Sparauflagen oder Schuldenbremsen sorgen für Kahlschläge, besonders betroffen sei die Provinz, sagt Theatermacher Liebetruth noch. Dem wolle er einen Riegel vorschieben. Für den Oberharzer Bürgermeister Frank Damsch genau die richtige Herangehensweise, denn Liebetruth stelle die einzig richtige Frage:
"Ja, man muss konkret festlegen, was will ich in dieser Region. Will ich, dass es Wolfserwartungsland wird oder will ich, dass dort Menschen, wie es schon seit gut Hundert Jahren üblich ist, sich erholen, ihre Arbeitskraft regenerieren und Freude und Spaß haben."
Die Laune des Oberharzer Bürgermeisters Frank Damsch verdüstert sich. Er könne sich keinen Theaterbau leisten, grantelt er in Richtung Zielitz. Obwohl es strukturelle Ähnlichkeiten zum Kali-Ort im Norden Sachsen-Anhalts gebe, wie er noch hinterher schiebt.

"Da müsste man was ändern"

Denn auch die Gemeinde Oberharz habe Bodenschätze vorzuweisen. Zwar kein Kali wie in der Börde, dafür aber Kalk, dass im Harz im großen Stil abgebaut wird. Mit dem klitzekleinen, aber sehr bedeutenden Unterschied, dass die Kommune Oberharz davon überhaupt nicht profitiert. Obwohl die Fels-Werke hier ganze Kalk-Berge abbaggern.
Anders als in Zielitz landen die Gewerbesteuern aber nicht in der Gemeinde Oberharz, klagt Bürgermeister Frank Damsch. Denn das Unternehmen zahlt die Steuern am Betriebssitz in Goslar, also in Niedersachsen. Auch an den Trinkwassertalsperren verdienten andere, die braunen Augen des gelernten Elektro-Installateurs funkeln.
"Da müsste man ran, da müsste man was ändern, das steht aber nicht in unserer Macht."
Nach Tangerhütte in die Altmark. 30 Kilometer nördlich von Zielitz. Der Bürgermeister ist hier Andreas Brohm. Genau wie die Gemeinde Oberharz leidet auch Tangerhütte unter einer angespannten kommunalen Finanzlage. Ihm sei es unverständlich, sagt der einstige Musical-Manager Brohm, warum eine Gemeinde wie Zielitz für einen Theater-Neubau überhaupt Fördergelder bekomme. Könne man doch dort alles aus der Porto-Kasse zahlen. Die Gerechtigkeit in diesem Fördersystem müsse man schon mal hinterfragen, sagt Brohm noch.
"Also warum gibt's Geld von der Gemeinschaft und es kommt nur einer Kommune alleine zugute?"
Europäische Union gab 350.000 Euro dazu
Für den Bau des Theaters Zielitz gab's von der Europäischen Union 350.000 Euro und vom Landkreis 25.000 Euro. Geld das beispielsweise im 30 Kilometer entfernten Tangerhütte fehlt, mit dem man beispielsweise weltweit einzigartige Baudenkmäler hätte erhalten können. Doch die Ressourcen sind begrenzt.
Glanz und Elend: In Sachsen-Anhalt liegt beides anscheinend gar nicht weit auseinander.
Zurück zu Deutschlands einzigem Theaterneubau 2015, zum Theater-Wunder Zielitz.
"Ja, wir freuen uns darüber. Wir sind natürlich stolz, das der Ort Zielitz, dass seine Bürger und die, die hier die Theater-Künste ausprobieren, das mit großem Erfolg machen. Da kann man sich nur freuen. Und natürlich freuen wir uns, dass das Kali-Werk die Möglichkeit mit geschaffen hat, das muss man so feststellen. Eine wirklich schöne Sache."
Man merkt es schnell: Viele der Theaterbesucher, auch der 68-jährige Manfred Witzel vom ortsansässigen Bergmannsverein, können es kaum fassen, dass mitten in dem nur 1.900 Einwohner großen Ort ein Theaterneubau entstanden ist, während andernorts Theater-Türen für immer geschlossen werden.
Trotz aller Debatten darüber, ob Zielitz – das so etwas wie Sachsen-Anhalts Goldgräberstädtchen ist - nun einen Theater-Neubau braucht oder nicht, so betonen doch alle Beteiligten unisono, dass man mit Investitionen in die Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts, das Überleben des Landes sichern könne. Andernfalls würden irgendwann überall die Lichter ausgehen, so viel scheint sicher.
Wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass andernorts im Frühaufsteher-Land die Etats der Theater – wie in Halle, Eisleben oder Dessau - in den letzten zwei Jahren massiv gekürzt wurden, da ist dann doch die Rede vom Theater-Wunder Zielitz irgendwie berechtigt.
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