Sachbuch zur Geschichte der Buchführung

Ohne Rechenbrett in den Kapitalismus

Rechenbrett
Weg damit: Die Italiener verabschiedeten sich vom Rechenbrett. © imago stock&people
Von Katharina Döbler · 23.03.2015
Wenn die italienischen Kaufleute im 13. Jahrhundert beim Rechenbrett geblieben wären, sähe die Welt heute vielleicht anders aus. Stattdessen führten sie die doppelte Buchführung ein - und prägten so ganz nebenbei die gesamte wirtschaftliche Entwicklung.
Buchhaltung gilt als das so ziemlich uninteressanteste Betätigungsfeld, das die moderne Gesellschaft zu bieten hat. Dass aber hinter Zahlenreihen und Bilanzen ein System steckt, das nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung der letzten 500 Jahre geprägt, sondern auch unsere Weltwahrnehmung stark beeinflusst hat, zeigt die Ökonomin und Literaturwissenschaftlerin und Jane Gleeson-White in ihrem Buch über Entstehung und Folgen der doppelten Buchführung.

Im 13. Jahrhundert entwickelten italienische, vor allem venezianische, Kaufleute diese Methode, jede geschäftliche Transaktion zweifach aufzuzeichnen: auf der Soll- und auf der Haben-Seite ihrer Hauptbücher. Und zwar in arabischen Zahlen und Rechnungen mit der Null, im Gegensatz zu den herkömmlichen römischen Ziffern, die nur mit einem Rechenbrett addiert und subtrahiert werden konnten. In einer mathematischen Enzyklopädie von Luca Pacioli, einem Freund von Leonardo da Vinci, verbreitete sich diese innovative Methode in einem der ersten gedruckten Bücher über ganz Europa. Nun ließen sich Bestände und deren Wert, Gewinne und Verluste präzise ermitteln und entsprechend kalkulieren.
Dopppelte Buchführung in der Neuzeit
Gleeson-White vertritt mit Werner Sombart ("Der moderne Kapitalismus", 1917) die Ansicht, dass man Kapitalismus ohne doppelte Buchführung schlechthin nicht denken könne: Die Definition von Kapital basiert auf ihr, ebenso die Vorstellung von Ertrag, Produktivvermögen und letztlich auch, auf dem Umweg über Marx, der Mehrwert. Von Joseph Schumpeter übernimmt sie zusätzlich die These, dass die kapitalistische Praxis das Geld zu einem "Instrument rationaler Kosten-Nutzen-Kalkulationen" gemacht habe, "deren hoch aufragendes Denkmerkmal die doppelte Buchführung ist".
Von da ist es nicht weit zu John Maynard Keynes und dessen volkswirtschaftlichen Berechnungen, die in die Politik des New Deal einflossen und ebenfalls auf der doppelten Buchführung beruhen: Wie sonst soll man kalkulieren, wie viel staatliche Investitionen nötig sind, um dem kriselnden Kapitalismus wieder in die Spur zu helfen?
Die vermeintlich objektiven Zahlen spiegeln nicht die Realität
Doch von da an geht sie mit einer Steilkurve in die aktuellen Debatten um die Definition von Volkswirtschaften über das Bruttoinlandsprodukt – in das bekanntlich natürliche Ressourcen ebenso wenig einfließen wie Bildung oder Gesundheit. Die Enron-Pleite 2001, bei der Milliarden einfach aus der Buchführung verschwanden und das undurchschaubare Spiel mit Finanzprodukten, das zur Krise von 2008 geführt hat, liefern zusätzlich Argumente für eine Aussage, die keineswegs neu ist, aber vielleicht nicht oft genug wiederholt werden kann:
Die vermeintlich objektiven Zahlen über Soll und Haben sind für bestimmte Operationen nützlich. Die Realität aber spiegeln sie keineswegs.

Jane Gleeson-White: "Soll und Haben. Die doppelte Buchführung und die Entstehung des modernen Kapitalismus"
Aus dem Englischen von Susanne Held
Klett Cotta, Stuttgart 2015

366 Seiten, 24,95 Euro