Sachbuch

Wie Politik die Herzen gewinnt

Auf blauem Hintergrund sind die Silhouetten einer Familie mit Mutter, Vater, Tochter und Sohn in weiß zu sehen.
Die US-amerikanische Philosophin Martha C. Nussbaum plädiert für Liebe und Anerkennung als sozialen Kitt. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Eike Gebhardt · 21.11.2014
Politik wird vor allem mit dem Kopf gemacht - stimmt nicht, meint Martha C. Nussbaum. Die Philosophin zeigt in ihrem Buch "Politische Emotionen", warum öffentliche Emotionen für den sozialen Zusammenhalt nötig sind.
"Alle politischen Prinzipien, gute wie schlechte, bedürfen der emotionalen Unterfütterung, damit sie langfristig Bestand haben", glaubt Matha Nussbaum. Ein seltsames Argument, gelten doch Gefühle als notorisch unzuverlässig. Immerhin: Ohne Emotions-Appeal hat keine Politik eine Chance auf Unterstützung. Politik lässt sich nicht auf Verwaltungsakte stutzen, das Konstrukt "Europa" kann man nicht lieben wie ein Vaterland.
Für die Philosophin Nussbaum sind Emotionen Bewertungen, Werturteile – ihre Förderung oder Bekämpfung ist daher immer eine Gratwanderung: "Wo es um psychologische Maßnahmen zur Sicherung seiner Stabilität und Stärke geht, sind einem … Staat die Hände gebunden, … [der] sich der Rede und Vereinigungsfreiheit verpflichtet fühlt. ... Überlässt man die Prägung von Gefühlen antiliberalen Kräften, erlangen diese einen gewaltigen Vorsprung bei der Gewinnung der Herzen …, und dann besteht die Gefahr, dass Menschen liberale Werte für lasch und langweilig halten." Neonazis und IS lassen grüßen.
Mit Recht betont Nussbaum immer wieder jene philosophischen Traditionen, die ethische Entscheidungen nur auf der Grundlage von Vernunfturteilen akzeptieren. Bloßer Prinzipiengehorsam sei unmündig, auch wenn es gute Prinzipien sind.
Argumentative Schwäche
Allerdings bietet Nussbaum selber reichlich oft Prinzipien als Mittel gegen Volksverführer auf. Verdächtig häufig hebt ihr Argument mit Formulierungen wie: "Menschen neigen zu ..." an, benutzt anthropologische Konstanten (die menschliche Natur halt) als Erklärung, während sie doch als Philosophin die Umstände hinterfragen sollte, die zu einer solchen "Natur" führen. Theoretisch fordert sie das durchaus, ja, sie plädiert für die Formbarkeit von Emotionen, die dann zu kollektiven Einstellungen gerinnen könnten.
Wie Nussbaum für Liebe und Anerkennung als sozialen Kitt zu plädieren, ist so neu wie die Schmähung von Hass, Rassismus, Neid usw. Zwar hatte schon Platon entschieden, Hass sei durchaus moralfördernd – z.B. für das eigene Heer – und Neid ist oft nur ein anderes Wort für Wettbewerb, zumindest dessen Motor und Motiv.
Untertitel verspricht zu viel
Ein derart schlichtes Plädoyer aber für gute und gegen böse Emotionen – ohne ihre situativen Ambivalenzen in Rechnung zu stellen – ist eigentlich unverständlich bei einer so brillanten Philosophin. Auch gute Emotionen vernebeln unser Urteilsvermögen, das Nussbaum doch als Grundlage einer gerechten Gesellschaft wissen will. Wir bevorzugen z.B. nahe Menschen im Falle eines Konflikts – right or wrong: my family, my country.
Da helfen auch nicht die kulturgeschichtlichen Hilfstruppen, die sie für ihren Kreuzzug mobilisiert: Von Mozart bis Tagore, von Wordsworth bis Winnicott, von Sophokles bis Gandhi, von Herder bis Habermas: "Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist", wie der Untertitel suggeriert – und vor allem wie wir Liebe in Gerechtigkeit übersetzen -, erfahren wir hier nicht. Ihre Beispiele – sie machen den Großteil des Buches aus – bezeugen eher wohlwollende Steuerung von oben als die emotionale Formkraft demokratischer Diskurse.

Martha Nussbaum: Politische Emotionen. Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist
Suhrkamp, Berlin 2014
596 Seiten, 39,95 Euro

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