Sachbuch

Weltbilder im Wandel der Zeit

Eine illuminierte Weltkugel ist am 29.05.2011 in Gelsenkirchen zu sehen.
Ein Globus mit einer zeitgenössische Darstellung Europas © picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Von Volkart Wildermuth · 13.10.2014
Jede Landkarte transportiert ein ganz bestimmtes Weltverständnis, stellt der Autor Jerry Brotton fest. Sein Buch erzählt, wie sich Karten und Weltbilder im Laufe der Zeit verändert haben - spannend und horizonterweiternd.
Wer wissen will, wo's lang geht, der klickt heutzutage eine App an und schon liegt die Welt zu Füßen. Im virtuellen Fall geht es von der globalen Astronauten-Perspektive hinunter bis dicht über den Erdboden. Wie wenig selbstverständlich das ist, erzählt Jerry Brotton in "Die Geschichte der Welt in zwölf Karten". Die ganze Weltgeschichte kann der englische Renaissance-Spezialist zwar nicht auffächern, aber er berichtete faszinierend, wie unterschiedliche Gesellschaften und Epochen ihr Weltverständnis in Karten ausgedrückt haben.
Die älteste bekannte Karte haben die Babylonier vor über 2.600 Jahren in Ton geritzt. Ein Ring, die Salzsee, umschließt das Festland, das vom Euphrat senkrecht in zwei Teile geteilt wird. Babylon selbst liegt als Rechteck über dem Fluss, ringsum sind andere Städte deutlich kleiner dargestellt. Ein Keilschrifttext erläutert, dass der Gott Marduk so die Welt erschaffen hat. Mit Babylon an prominenter Stelle versteht sich.
Korea größer dargestellt als heute
Eine wunderschöne Karte aus Korea gibt sich da bescheidener. Das prestigeträchtige Zentrum wird dem übermächtigen Nachbarn China eingeräumt. Aber das Land der Mitte ist von vielen anderen Regionen umgeben, sogar Europa und Afrika sind eingezeichnet, bilden sozusagen ein Gegengewicht. Korea mag am Rand liegen, aber ist deshalb keineswegs randständig, es ist auch deutlich größer dargestellt, als in heutigen Atlanten.
Keine Karte, so die These von Jerry Brotton, stellt einfach die Welt da, sie transportiert immer auch ein Weltbild. Besonders augenfällig ist das bei der mittelalterlichen Hereford-Karte, bei der der Osten oben liegt. Pilgerrouten sind eingezeichnet, die Karte hatte durchaus praktischen Nutzen. Aber so erklärt Brotton, es ging den Kartografen vor allem um eine spirituelle Reise. Ganz im Osten ist das Paradies einzeichnet. Die Vertreibung führt in die wilden Regionen Asiens. Jerusalem bildet den Mittelpunkt, mit dem Versprechen der Erlösung. Die Machtzentren verlagerten sich dann weiter nach Westen, nach Europa. Das liegt am unteren Rand der Welt. Für die zeitgenössischen Betrachter der Hereford Karte ein sicheres Zeichen für das bald bevorstehende Jüngste Gericht.
Auch Google Earth verzerrt die Darstellung
Die Stärke von Jerry Brotton liegt darin, dem Leser solch verborgene Seiten der Karten zu zeigen. Das gelingt ihm auch bei Google Earth. Das fotorealistische Programm zeigt nicht einfach die Welt, wie sie ist. Die Auflösung, ist dort besonders hoch, wo kaufkräftige Menschen leben, und auch die mit der Karte verknüpften Informationen zielen meist auf den Gelbeutel der Nutzer.
Jerry Brotton schreibt überzeugend, die Geschichten der Karten, der Kartografen und Kontroversen sind spannend. Als Leser muss man sich etwas konzentrieren, um bei den vielen Namen den Überblick zu behalten. Vor allem braucht man auch Kraft. Das Buch ist ziemlich schwer, sicher keine Bettlektüre. Leider sind die Abbildungen der Karten oft ziemlich klein. Gerade die Details liefern Jerry Brotton wichtige Hinweise für seine Interpretationen, doch diese Details können die Leser kaum erkennen. Das aber ist der einzige Kritikpunkt an einem Buch, das definitiv den Horizont erweitert.

Jerry Brotton: Die Geschichte der Welt in zwölf Karten
Bertelsmann Verlang, München 2014
720 Seiten, 39,99 Euro

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