Sachbuch von Ari Turunen

Über das großspurige Leben

Ein Pfau spreizt sein buntes Federkleid
Ein Pfau spreizt sein Federkleid - das galt lange als Symbol für Stolz, Arroganz und Eitelkeit. © picture-alliance / dpa / Federico Gambarini
Von Hans von Trotha · 10.08.2015
Viel auszusetzen hat Hans von Trotha an Ari Turunens Geschichte der Arroganz: den Hang zur Monokausalität etwa oder die Art, wie sich der Autor in gestrecktem Galopp durch die Weltgeschichte pflügt. Aber das Buch mache Spaß - wenn man nicht arrogant an die Sache herangehe.
Der Verlag wird darauf setzen, dass dieses Buch auch als Geschenk mit neckischem Widerhaken eingesetzt wird. Der Rückentext treibt das Spiel mit der Arroganz noch weiter: "Dies ist das beste Buch, das Sie je gelesen haben!" Das spricht für eine ironisch-spielerische Polemik. Oder handelt es sich um eine dieser Analysen, die man als historischen Vampirismus bezeichnen könnte – die sich an einem Randaspekt der Kulturgeschichte fest- und sie anhand dessen analytisch aussaugen?
Ein Tsunami an Namen, Daten, Fakten
Das Buch des finnischen Wissenschaftsjournalisten Ari Turunen ist keines von beidem, aber auch nicht so recht etwas Drittes. Man sieht sich als Leser einer Art Tsunami von Material in Form von Fallbeispielen ausgesetzt, ohne dass immer klar wäre, wofür all das ein Beispiel sein soll. Es hagelt Zahlen, Namen, Anekdoten im Viertelseitentakt, wild durch die Genres und Jahrhunderte. Finnische Mythen, Firmenpleiten, Dschingis Khan, Arschlöcher in der Arbeitswelt, die Überfischung der Meere, die chinesische Kulturrevolution, der Contergan-Skandal, Ertrunkenen-Statistiken auf Hawaii, Harry Potter, die erste Platte von U2, der Erste Weltkrieg ...
Ganz schwindelig, vergisst man leicht, worum es eigentlich geht – und das ist der Zustand, in dem die Lektüre am meisten Spaß macht. Denn unter dem, was da kolportiert wird, ist viel Wissenswertes (woher kommt der Begriff Snob oder die Redewendung "auf großem Fuß leben"? Wie konnte die Einführung von ABS zu einem Anstieg der Unfallzahlen führen?) Aber zu einem Ganzen, zu einer Geschichte gar, fügt sich's nicht. Was auch daran liegt, dass Turunens Thema nicht, wie behauptet, die Arroganz ist, sondern ... tja was eigentlich: die Ungleichheit, die Einfalt, die Eitelkeit, die Ungerechtigkeit, das Missverständnis, kurz: das Allgemeinmenschliche als historisches Verursacherprinzip. Der Versuch, das auf die Arroganz zu reduzieren, funktioniert nicht, jedenfalls nicht so.
Im Sog der Vereinfachung
Das ist das eine Problem. Das andere wiegt schwerer. Je weiter man liest, desto mehr sträubt man sich regelrecht gegen das Wort deshalb – eine Vokabel, die Historiker nicht von ungefähr meiden, wissen sie doch, dass kaum etwas auf dieser Welt nur eine Ursache hat. Turunen aber ist ein Fanatiker der Monokausalität. Er haut einfach so raus, warum Rom untergehen, Hitler aufsteigen oder der Sonera-Konzern in die Miesen geraten musste. Die Monokausalitätsorgie führt bisweilen zu grotesken Verkürzungen ("Als Alexander der Große und Napoleon an die Macht kamen, änderte sich die chemische Struktur ihres Gehirns"). Im Sog der Vereinfachung kommt auch die Sprache nicht immer mit ("Filme werden dem eigenen Nabel angepasst").
Wenn man sich allerdings nicht an der weitgehenden Abwesenheit von Analyse und an der letztlich fehlenden These stört, ist es ein Vergnügen, durch die Beispiele zu surfen. Man wird regelrecht zum Beispieljunkie. Und so kann es passieren, dass man das Buch, obwohl es als Geschichte gründlich misslungen ist, nicht aus der Hand legt. So wird es selbst zum Beispiel – dafür, dass auch ein misslungener Versuch Spaß machen kann, wenn man selbst nicht ganz und gar arrogant an die Sache herangeht.
Ari Turunen: "Kann mir bitte jemand das Wasser reichen?" - Eine kurze Geschichte der Arroganz
Übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara
Verlag Nagel und Kimche, Zürich 2015
208 Seiten, 19,90 Euro
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