Sachbuch-Preisträger der Leipziger Buchmesse

"Georg Forster ist ein Glücksfall für die Reiseliteratur"

10:14 Minuten
Der Naturforscher, Schriftsteller und Revolutionär Georg Forster, der mit James Cook in die Südsee segelte, in ein em Gemälde von J. H. W. Tischbein.
Der Naturforscher, Schriftsteller und Revolutionär Georg Forster. © imago/United Archives
Jürgen Goldstein im Gespräch mit Nana Brink · 18.03.2016
Audio herunterladen
Der Weltreisende Georg Forster war vermutlich der erste Ethnologe der Wissenschaftsgeschichte. Sein aufrichtiges Interesse an fremden Kulturen und seine geschliffene Prosa faszinieren den Autor und Leipziger Sachbuch-Preisträger Jürgen Goldstein, der Forster ein literarisches Denkmal setzte.
Ein "sprachmächtiger Zauberer" sei Georg Forster gewesen - mit einer Anschauung von der Welt, "die unvergleichlich" sei. So schwärmt Jürgen Goldstein, Preisträger des diesjährigen Sachbuchpreises der Leipziger Buchmesse, von dem Naturforscher und Zeitgenossen von Goethe und Alexander von Humboldt. Diese Begeisterung für den Weltumsegler und politisch engagierten Gelehrten Forster zeigt sich deutlich in seiner jetzt ausgezeichneten Studie "Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt".
Der Autor Jürgen Goldstein
Der Autor Jürgen Goldstein auf dem blauen Sofa der Leipziger Buchmesse.© Deutschlandradio / Sven Crefeld
Georg Forster (1754-1794) war Entdeckungsreisender, empfindsamer Naturbetrachter und entschiedener Revolutionär. Er umsegelte als erst 17-Jähriger an der Seite von James Cook die Welt, verfasste glänzende Reiseerzählungen und rief 1793 in Mainz die erste Republik auf deutschem Boden aus.

Mehr als Tagebuchaufzeichnungen

Über die für ihn so inspirierenden Reiseerzählungen sagt der Autor und Philosophieprofessor Jürgen Goldstein: "Georg Forster ist ein Glücksfall für die Reiseliteratur." Der Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg habe ihn gar als "Hexenmeister der Prosa" bezeichnet. Dies werde deutlich, wenn man Georg Forsters Aufzeichnungen mit denen seines ebenfalls mitreisenden Vaters oder mit denen von James Cook selbst vergleiche: Diese hätten nüchterne Tagebucheintragungen verfasst, keine Literatur.
"Georg Forster hatte immer den Leser im Blick", sagt Goldstein. In diesem Sinne sei Forster "der Meister - und ich bin derjenige, der versucht hat, ihn zu präsentieren. Und im besten Falle lernt man natürlich, wie man schreiben und dabei den Leser im Blick haben kann." Deshalb gebühre eigentlich "die Hälfte des Preises Georg Forster".

Interesse an fremden Kulturen

Faszinierend sei, wie sich Forster vor allem den Menschen und ihren fremden Kulturen und Sitten genähert habe, denen er auf seinen Reisen begegnet sei:
"Das heißt, wir haben in Georg Forster so etwas wie einen ersten Ethnologen, der nämlich auch reflektiert, wie sein Blick auf fremde Völker überhaupt ist. Aber das eben nicht in einer verkopften, abstrakten Weise, sondern sondern erzählerisch. Denn er wollte natürlich mit seinen Büchern auch Erfolg haben."
Als nächstes würde Jürgen Goldstein sich gerne Alexander von Humboldt vornehmen. Über ihn sei zwar vieles bekannt, mit seinem großen Werk "Kosmos – Versuch einer physischen Weltbeschreibung" hätten sich aber vermutlich nur wenige Leser wirklich beschäftigt.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Keine Frage, dieses Buch wird seine Leser in den Bann ziehen. Denn es hat eine Hauptfigur, dessen Leben sich liest wie ein Roman. Es geht um Georg Forster, Weltenbürger, der erste Deutsche, der die Welt umrundete 1772 bis 1775 und darüber berichtete – was ihm den Ruf einbrachte, ein begnadeter Erzähler zu sein. Einer, der auch politisch dachte und versuchte, eine Demokratie zu gründen zu Zeiten der Französischen Revolution. Jürgen Goldstein, Professor für Philosophie an der Universität Koblenz-Landau, hat eine Biografie über ihn verfasst – "Georg Forster" heißt sie, "Zwischen Freiheit und Naturgewalt" – und dafür gestern den Preis der Leipziger Buchmesse in der Sparte Sachbuch/Essayistik bekommen. Herr Goldstein, ich grüße Sie!
Jürgen Goldstein: Ich grüße Sie auch!
Brink: Herzlichen Glückwunsch erst mal!
Goldstein: Aufrichtigen Dank!
Brink: Der Preis ist für Sie natürlich eine Würdigung Ihrer Arbeit. Aber gleichzeitig macht er auch das Subjekt Ihrer Beschreibung bekannter, also Georg Forster! Sie haben Ihn als Glücksfall für die Reiseliteratur beschrieben. Warum?
Goldstein: Zunächst, Sie haben völlig recht, also, im Grunde genommen gehört die Hälfte des Preises Georg Forster, der nicht nur den Gegenstand geliefert hat, sondern eben auch durch seine vielen Zitate, die ich bringe, das Buch angereichert hat sprachlich. Er ist ein Glücksfall für uns, weil er über zwei Dinge verfügte in seiner Zeit: Zum einen hatte er eine Anschauung der Welt, die unvergleichlich war.

Hexenmeister der deutschen Prosa

Er ist drei Jahre und 18 Tage mit James Cook um die Welt gesegelt, hat die Antarktis besucht, hat die Pazifischen Inseln besucht und so weiter und so fort. Das war schon außergewöhnlich. Was dann aber hinzukommt, ist, dass wir in Georg Forster einen sprachmächtigen Zauberer haben. Lichtenberg hat ihn einen Hexenmeister in der deutschen Prosa genannt. Das heißt, er war in der Lage, das, was er gesehen hat, in Sprache umzusetzen, auszudrücken.
Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wenn man etwa die Tagebücher von James Cook liest oder von seinem Vater Reinhold Forster, merkt man, dass die stilistisch derartig abfallen im Vergleich, dass es kein Vergnügen ist, das zu lesen. Forster hat immer seinen Leser im Blick und schafft es dann, eine unglaublich anschauungsgesättigte Sprache zu entfalten. Das ist unser Glücksfall.
Brink: Forsters Reise um die Welt, also der Bericht über diese dreijährige Weltreise, die Sie ja auch erwähnt haben, die hat er als 18-Jähriger angetreten. Sie haben es gesagt, das war die zweite Weltumsegelung von James Cook. Das ist ja so ein bisschen der Kern, um Forster zu verstehen. Was hat Sie daran fasziniert, abgesehen von der Sprache?
Goldstein: Ja, wenn Sie sagen, er hat sie angetreten, muss man eigentlich sagen: Er hat sie angetreten bekommen in dem Sinne, dass er von seinem Vater einfach mitgenommen wurde. Er wurde nicht gefragt.
Brink: Ein Glücksfall, nicht?
Goldstein: Und für ihn war natürlich diese Segelfahrt eine Tortur, also sowohl physisch als auch psychisch, weil es über alle Grenzen ging. Jetzt habe ich die Frage vergessen, müssen wir noch mal schneiden!
Brink: Kein Problem! Die Frage war: Diese Weltumsegelung, die er ja mitgemacht hat, das ist doch der Kern, um ihn zu verstehen. Was hat Sie daran so fasziniert?

Im beste Sinne unverbildet

Goldstein: Mich hat fasziniert, dass Georg Forster im Grunde genommen im besten Sinne unverbildet war. Er war völlig unvorbereitet. Er hatte keine Schule besucht, keine Universität besucht, hatte kaum einen philosophischen Kanon im Kopf. Und wird dann mitgenommen auf eine Weltumsegelung und hat dann einen erstaunlich frischen Blick. Er hat eine rasche Auffassungsgabe und er schaut für damalige Verhältnisse erstaunlich vorurteilsfrei auf fremde Kulturen, fremde Sitten, Moralvorstellung und so weiter und so fort.
Das heißt, wir haben in Georg Forster so etwas wie einen ersten Ethnologen, der nämlich dann auch reflektiert, wie sein Blick auf Fremde Völker überhaupt ist. Aber das eben nicht in einer verkopften, abstrakten Art und Weise, sondern erzählerisch. Denn er wollte natürlich mit seinen Büchern auch Erfolg haben. Das musste er, denn die Reise um die Welt hat ihm selbst kein Geld eingebracht.
Brink: Also, er hat ja sozusagen die Eisberge angefasst, er hat den Sand in Tahiti in der Hand gehabt. Bringt er das auch so rüber, also dass man es richtig greifen kann? Ja ungewöhnlich für die Zeit auch, dass man als Mensch so weit rumkommt!
Goldstein: Er hatte den Vorteil, dass er Zeichner war. Das heißt, er hat das, was er auf der Reise gesehen hat, gezeichnet, Pflanzen, Tiere und so weiter. Menschen nicht, dafür war nämlich jemand anderes an Bord zuständig, William Hodges. Er hat also gezeichnet und hat im Grunde dann das Prinzip der zeichnerischen Annäherung auf die Sprache übertragen. Er schafft also im Text der "Reise um die Welt" immer wieder kleine Idyllen, kleine Bildchen, wo er etwa die Ankunft auf Tahiti beschreibt.
Das könnte man als idealisierend tadeln, aber tatsächlich ist es der Versuch, in einer eleganten Sprache und in einer schlackenfreien Prosa die Anmut und Schönheit der Natur, wie er sie erfahren hat, widerzugeben. Oder ein anderer Punkt. Die "Reise um die Welt" ist ja ein sehr langer Text. Das heißt, man braucht eine Ausdauer und das spiegelt natürlich auch die Ausdauer, die man braucht, um die Welt zu umsegeln. Das heißt, auch vom Leser wird etwas abverlangt an Ausdauer.
Brink: Ein schönes Bild. Sie haben den Tonfall erwähnt, in dem er schreibt, das ist eine elegante Prosa. Nun haben Sie sich ihm als Biograf genähert. Setzt einen so was unter Druck, wenn man schreibt, oder war es eher ein Ansporn?

Bei Forster in die Schule gehen

Goldstein: Im besten Falle kann man bei so einem Autor in die Schule gehen. Man schaut, wie der andere es macht. Und selbst wenn man es dann nicht ganz einlösen kann, ist dann natürlich der Versuch da, selbst eine Sprache zu entfalten, die wie ein Passepartout wirkt für die Zitate, die ich dann bringe. Das heißt, Forster ist der Meister und ich bin derjenige, der versucht hat, ihn zu präsentieren. Und im besten Falle lernt man natürlich einfach davon, wie man schreiben kann und dabei den Leser im Blick haben. Denn ich bin ja von Haus aus Philosoph. Das heißt, normalerweise schreibt man viel abstraktere, argumentative Texte. Und hier war es die bewusste Entscheidung, Forster in dem zu folgen, worin er brillant ist. Forster ist ein grandioser Erzähler und deswegen war bei mir die Entscheidung, dass ich auch über ihn erzählerisch schreiben muss und ihn nicht in eine Theorie oder so etwas stopfe.
Brink: Wird man dann auch so in sein Leben hineingezogen? Also, will man das dann auch erleben, will man dahin fahren? Haben Sie sich dabei ertappt?
Goldstein: Gegen Reisen habe ich gar nichts, das würde mich immer reizen. Von daher könnte ich das Preisgeld jetzt dafür auch verwenden, das war schon ein Tipp, den ich sofort bekommen habe. Ja und nein. Das Interessante ist eben, dass einem Forster sehr nahekommt, wenn man halt alle Briefe, alle Tagebücher liest, das ganze Leben sozusagen Revue passieren lässt.
Gleichzeitig wird eine Grenze aber nie verwischt: Er ist ein Mann des 18. Jahrhunderts. Das heißt, er bleibt einem, ja, nicht fremd, aber er steht an einer anderen Stelle innerhalb der Geschichte. Man würde sich gerne über die Jahrhunderte hinweg einmal die Hand reichen, aber es ist kein Autor, mit dem man sich jetzt einfach identifizieren kann oder so. Das wäre im Grunde genommen dann auch ein falscher Schritt.
Brink: Das hätte ich nämlich gerade gefragt: Wie nähert man sich einem Menschen, der vor über 250 Jahren geboren worden ist?
Goldstein: Forster macht es einem leicht, weil die Sprache dann das Medium ist. Es ist ein Genuss, die Texte zu lesen, und das Leben ist sehr spannend gewesen, die Zeit ist sehr spannend. Alleine wenn man überlegt, mit wem er es zu tun hatte auch in Europa, Goethe, Schiller und Lichtenberg und wen nicht alles. Und über die Sprache kann man halt dann im Grunde genommen auch seinen Denkweg, seinen Reflexionsprozess nachvollziehen. Das ist unglaublich spannend.
Brink: Weil Sie sagen, er ist ja so ein begnadeter Erzähler gewesen, gleichzeitig hatte er ein Objekt, was er beschreibt, die Dinge, die er beschreibt, die Reisen, über die er schreibt, die ja eigentlich fast jeden interessieren, faszinieren. Und dann habe ich mich wirklich gefragt, warum man Humboldt kennt, aber warum man Forster vergessen hat, oder zumindest fast vergessen hat! Haben Sie darauf eine Antwort?

Aus politischen Gründen vergessen

Goldstein: Er ist eigentlich kein vergessener Autor, sondern ein vergessen gemachter Autor. Dadurch, dass er nach seiner Reise um die Welt dann später in Mainz die Mainzer Republik mit ausgerufen hat, dann nach Frankreich, nach Paris gegangen ist, um Mainz der Französischen Republik einzugliedern – und das ist dann auch gelungen –, dann aber die Mainzer Republik von den österreichisch-preußischen Gruppen zurückerobert wurde, fiel Forster in politische Ungnade.
Er war ein Landesverräter, ihm drohte die Reichsacht. Das heißt, er durfte deutschen Boden nicht mehr betreten und er war als Schriftsteller geächtet, abgeschnitten von all seinen deutschen Freunden, auch von seinen Verlegern. Das heißt, das 19. Jahrhundert war nicht gut auf Forster zu sprechen, insofern es im 19. Jahrhundert auch nicht gelungen ist, dass republikanische Gedanken wirklich pragmatisch umgesetzt worden wären. Das heißt, es gibt nur sehr wenige, die an Forster erinnert haben. Goethe, Humboldt hat sich noch mal anerkennend natürlich geäußert als sein Schüler, ich meine jetzt Alexander von Humboldt. Aber zum Beispiel Lichtenberg wollte nach dem Tod Forsters sehr wohl ein paar Zeilen über seinen Freund schreiben, sagt dann aber, ich habe Familie, ich kann das jetzt nicht mehr machen. Das heißt, Forster war ein Autor, den man nicht mehr in den Mund nahm.
Die Renaissance setzt dann ganz langsam ein zum einen natürlich über die "Reise um die Welt", die sich auf Dauer nicht unterdrücken ließ, und natürlich dann durch die DDR-Ausgabe der Werke in dem Sinne, dass man halt Forster als Revolutionär rehabilitieren wollte. Das hat natürlich im Westen nicht gerade dazu geführt, dass das mit Begeisterung aufgenommen wurde. Und das führte dann auch zu einer Separierung: Man hat sich entweder mit dem Naturforscher oder mit dem Revolutionär beschäftigt. Und das halte ich für grundlegend falsch.
Brink: Und Sie haben es anders gemacht und sich mit beiden beschäftigt und sozusagen die Faszination, uns daran teilhaben lassen. Was ist die nächste Reise als Biograf, die Sie gerne gehen würden, mit welcher Figur? Was würde Sie reizen?
Goldstein: Ja, einer, von dem eben schon die Rede war: Es ist also auf jeden Fall geplant, noch ein Buch über Alexander von Humboldt zu schreiben. Der ist zwar nicht vergessen, er hat einen viel höheren Stellenwert in unserem Bewusstsein, gelesen wird er trotzdem nicht. Gehen Sie mal und fragen Sie, wer den "Kosmos" gelesen hat! Ich glaube, das ist völlig zu Unrecht, dass Alexander von Humboldt in gewissem Sinne auch keinen Ort in unserem allgemeinen Gedächtnis hat. Und das Leben und die Person ist viel zu spannend, als dass man nicht auch über ihn einmal angemessen erzählerisch schreiben sollte.
Brink: Wir freuen uns darauf! Jürgen Goldstein, danke für das Gespräch. Und genießen Sie Ihren Preis!
Goldstein: Werde ich machen, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema