Sachbuch

Plädoyer für ein britisches Europa

Flaggen wehen vor dem Europaparlament in Straßburg
Ist Europa zu deutsch? © Bild: EP
Von Eberhard Straub · 13.12.2014
Europa ist zu deutsch, glaubt der irische Historiker Brendan Simms. Statt zu verhandeln, müsse es dazu bereit sein, die Feinde der Demokratie zu bekämpfen – ob sie nun Russen, Islamisten oder Chinesen seien.
Unter britischen Historikern findet das Heilige Römische Reich Deutscher Nation eine wachsende Beachtung. Sie möchten in dieser übernationalen Föderation eine Vorform der Europäischen Union erkennen. Solche Vorstellungen reizen das polemische Talent ihres irischen Kollegen aus Cambridge. Brendan Simms, ein Kenner der Geschichte Preußens, fürchtet gerade, dass die EU dem ohnmächtigen Alten Reich längst allzu ähnlich geworden sei.
"Die Deutschen und die Europäer müssen die föderativen Traditionen des Alten Reiches und seiner Nachfolgerin aufgeben, das heißt, sie müssen den grundlegenden Glauben abstreifen, Europa könne nur durch Krisen voranschreiten, die den Ruf nach 'mehr Europa' und damit nach mehr Krisen wecken."
In der EU mit ihren Schwerfälligkeiten sieht er ein Abbild der unpraktischen Reichsstände.
Er spricht wie ein Schüler Carl Schmitts
"Die Deutschen brachten nicht nur ihre sich rasch erholende Wirtschaft, sondern auch einen großen Teil ihrer vormodernen politischen Kultur in die Europäische Gemeinschaft ein, insbesondere eine Vorliebe für die Verrechtlichung politischer Streitigkeiten, für endlose Debatten und ordentliche Verfahren. (…) Wie das Alte Reich beruht die Europäische Gemeinschaft nicht auf der Konzentration, sondern auf der Diffusion von Macht."
Lesart-Cover: Brendan Simms "Kampf um Vorherrschaft"
Cover - Brendan Simms: "Kampf um Vorherrschaft"© Deutsche Verlagsanstalt
Brüssel und Straßburg gleichen dem immerwährenden Reichstag in Regensburg. Dessen Verzopftheit weist hin auf ein ewig gleiches Deutschland, das mit dem Willen zur Entpolitisierung – damals im Alten Reich und heute in der Union – ein Vakuum erzeuge. In diesem deutschen Europa wird nicht gehandelt, sondern verhandelt. Der Historiker spricht wie ein Schüler Carl Schmitts, der in der Entscheidung den Kern des Politischen erkennen wollte.
"Erfolgreiche Vereinigungen (…) kommen nicht durch eine Evolution zustande, sondern durch einen 'Urknall'. Sie sind eher Ereignisse als Prozesse."
Brendan Simms vermisst ein kollektives Feuerwerk, das die europäische Einheit explosionsartig zum Ereignis mache, wie 1707 die Union zwischen England und Schottland und 1776 die Union der Vereinigten Staaten. Anglo-amerikanischer Pragmatismus habe nämlich mit seiner zündenden Botschaft von Freiheit und Selbstbestimmung anziehend auf den Rest der Welt gewirkt.
Engländer waren schon immer die besseren Europäer
Europa müsse sich folglich anglisieren und amerikanisieren, immer dazu bereit, alle Feinde einer freiheitlichen, humanitären Demokratie zu bekämpfen, ob sie nun Russen, Islamisten oder Chinesen seien.
Enthusiastisch wirbt der Professor aus Cambridge für die Befreiungsideologie der Whigs. Sie waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts die liberalen Gegenspieler der konservativen Tories im britischen Parlament.
Dabei fügten sich die Schotten erst nach zähen Bürgerkriegen in die Union des Vereinigten Königreichs, in der die katholischen Iren gerade keine Freiheit fanden. Doch derartige Details können des Autors Eigensinn nicht erschüttern: dass Engländer schon immer die besseren Europäer waren, aber leider nie als solche richtig erkannt wurden.

Brendan Simms: Kampf um Vorherrschaft. Eine deutsche Geschichte Europas 1453 bis heute
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt
Deutsche Verlagsanstalt, München 2014
896 Seiten, 34,99 Euro

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