Sachbuch

Mit voller Wucht

Ein Demonstrant der Gruppe Anonymous steht vor dem Brandenburger Tor bei Nacht und hält ein Plakat mit einem Foto von Edward Snowden in die Höhe.
Der Informant Snowden trat den NSA-Skandal los - und die Berliner Regierung machte eine sehr unglückliche Figur. © picture alliance / dpa / Florian Schuh
Von Vera Linß · 30.07.2014
Schon als oberster Datenschützer des Landes war Peter Schaar sehr kritisch, doch sein aktuelles Buch ist noch deutlicher: Er kritisiert massiv die Bundesregierung. Aber sein Buch ist mehr als eine Abrechnung mit der Regierung.
Deutschland hat versagt bei der Kontrolle geheimdienstlicher Überwachung. So lässt sich das Fazit von Peter Schaar zusammenfassen. Schon als oberster Datenschützer des Landes sparte er nicht mit Kritik an der Untätigkeit staatlicher Stellen. In seinem aktuellen Buch findet er – inzwischen nicht mehr im Amt – noch deutlichere Worte für das Einknicken der Bundesregierung angesichts der Zügellosigkeit von NSA und britischem GCHQ. Ein "schwaches Bild“ etwa hätten die Minister Friedrich und Pofalla abgegeben, als sie im Herbst vergangenen Jahres geradezu naiv die Affäre für nicht existent erklärten. Und auch für die Große Koalition spiele Überwachung keine besondere Rolle.
Peter Schaars Rückschau ist aber weit mehr als eine Abrechnung mit der Bundesregierung. Er will vor allem jene sensibilisieren für die Gefahren, die von Geheimdiensten ausgehen, die sich nicht täglich mit Datenschutz und Spionage auseinander setzen. Und das gelingt ihm mit voller Wucht. Nicht alles, was er dafür ins Feld führt, sind neue Informationen. Im ersten Abschnitt fasst er Geschichte und Hintergründe des NSA-Überwachungsskandals zusammen. In einem weiteren Kapitel analysiert er, wie die Digitalisierung das Ausspähen von Daten begünstigt. Vieles davon hat man schon einmal woanders gelesen. Die Zusammenballung aller Fakten aber erzeugt eine besonders beklemmende Wirkung.
Pikante Zusammenhänge offengelegt
Spannend wird es, wenn der einstige Bundesbeauftragte für Datenschutz pikante Zusammenhänge offen legt und dafür Details liefert, die bislang nur wenig bekannt sind. Zum Beispiel wechselte der auch für den Datenschutz zuständige Facebook-Sicherheitschef Max Kelly 2010 zur NSA – im Rahmen einer in den USA üblichen Personalrotation. Nicht weniger skandalös ist die Nähe von Geheimdiensten und (Internet-)Wirtschaft bei der Entwicklung von Verschlüsselungswerkzeugen. Schaar berichtet von IT-Unternehmen, die gegen entsprechende Finanzspritzen der NSA Know How liefern, mit dem die von ihnen entwickelte Software geknackt werden kann.
Schaar sieht Korrekturmechanismus
Dennoch empfiehlt Peter Schaar jedem Bürger, seine Daten zu verschlüsseln, weil es die Ausspähung der Privatsphäre zumindest erschwert. Vor allem aber fordert er von der Politik, den Überwachungswahn zu stoppen und das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder herzustellen. Präzise erklärt er, welche Gesetze dafür verschärft werden müssen – durch die EU, aber auch durch die Bundesregierung. Verhalten optimistisch stimmen ihn überraschenderweise kleine Gesetzesänderungen, mit denen Barack Obama das massenhafte Datensammeln zu Beginn dieses Jahres eingeschränkt hat. Schaar interpretiert dies als Zeichen eines Korrekturmechanismus, mit dem die USA in der Geschichte schon mehrfach Übertreibungen zurückgefahren hätten.
Diesen Optimismus muss man nicht unbedingt teilen. Das unaufgeregte, konstruktive Herangehen Schaars an die brennenden Fragen des Datenschutzes schärfen aber auf wohltuende Weise den Blick und sind ein wichtiger Beitrag zur wünschenswerten Emanzipation des überwachten Bürgers.

Peter Schaar: Überwachung total. Wie wir in Zukunft unsere Daten schützenAufbau Verlag, Berlin 2014301 Seiten, 17,99 Euro