Sachbuch über Big Data

Gefährliche Datenfusion

Auf einer Tafel hat ein Programmierer Elemente eines Algorithmus aufgemalt. Aufgenommen beim Advance Hackathon in Köln am 29.04.2012.
Die Autorin spricht vom "algorithmischen Wettrüsten". © picture alliance / Maximilian Schönherr
Von Vera Linß · 15.09.2014
Wie funktioniert Big Data? Entziehen sich die Hochleistungscomputer zunehmend unserer Kontrolle? Das Sachbuch "Sie wissen alles" macht zehn kluge Vorschläge, den profitablen Datenmissbrauch einzudämmen.
Ob Kulturwissenschaftler, Soziologen oder Philosophen – sie alle eint die Sorge um die Gefahren, die vom digitalen Datensammeln ausgehen. Was wirklich im tiefsten Innern der Computer abläuft, wissen sie allerdings selten. Wenn sich jetzt eine Expertin für künstliche Intelligenz mit einem Buch an die breite Öffentlichkeit wendet, ist deshalb die Hoffnung groß, endlich gut verständliche Einblicke in die Funktionsweise von Algorithmen zu erhalten, jenen bedrohlichen Programmen, die Big Data überhaupt erst zum Leben verhelfen.
Yvonne Hofstetter hat diese Erwartungen voll und ganz erfüllt. Sie weiß, wovon sie spricht. Und das gibt ihrem Buch Autorität. Denn anders als viele Kritiker der Digitalisierung ist sie als Unternehmerin Teil des Datengeschäfts. Ihre Firma Teramark beliefert militärische und zivile Auftraggeber mit Software, die Informationen intelligent auswerten kann. Nachvollziehbar beschreibt Hofstetter die drei Stufen der sogenannten Datenfusion. Die Sammlung mithilfe hochleistungsfähiger Computer und die Analyse der Daten sind noch relativ ungefährlich verglichen mit Phase drei. Erst hier beginnen die Maschinen mithilfe von Algorithmen selbstständig Entscheidungen zu treffen und sich der Kontrolle der Menschen zu entziehen.
Algorithmisches Wettrüsten an der Börse
Wie das enden kann, hat bereits der Bankencrash 2008 gezeigt, als die "Risikomodelle der Wall-Street-Mathematiker" von der Realität eingeholt wurden und – ganz nebenbei – auch ahnungslose Sparer um ihre Existenz brachten. Das "algorithmische Wettrüsten" an der Börse ist für Hofstetter aber nur die Vorstufe dessen, was bald den Rest der Gesellschaft erreichen wird. Weil mit dem Internet der Dinge – all den intelligenten Gadgets, die wir zur Kommunikation und Selbstvermessung nutzen – die künstliche Intelligenz in den Alltag einzieht, kann ihr bald niemand mehr entkommen.
Mit klaren Worten benennt die Expertin die Verantwortlichen für diese Krise: Eine verfehlte Industriepolitik habe dazu geführt, dass zur Jahrtausendwende Spitzentechnologen aus dem staatlich überwachten Rüstungsbereich abgewandert sind – erst in die Finanzwirtschaft, dann in Internetunternehmen, wo ihre Ideen unkontrolliert "wucherten". Die größte Gefahr aber ist aus ihrer Sicht die Unwissenheit darüber, wie einflussreich die sind, die künstliche Intelligenz programmieren und nutzen.
Perfide Finanzprodukte
Das perfideste Beispiel, das Yvonne Hofstetter anführt, ist ein Finanzprodukt der Deutschen Bank. Hier haben Anleger auf den frühen Tod von Menschen gewettet, die dafür regelmäßig getrackt wurden. Wegen moralischer Bedenken wurde das Produkt eingestellt. Diese Art von Selbstregulierung dürfte allerdings die Ausnahme sein, weshalb Hofstetter zehn kluge Vorschläge macht, wie dem profitablen Missbrauch von Daten entgegenzuwirken ist. "Den Staat professionalisieren" scheint der Wichtigste zu sein. Dabei kann ihr aufklärerisches Buch helfen und die dringende Debatte darüber befördern, welche Gesetze die Fremdbestimmung des Menschen durch Big Data verhindern können.

Yvonne Hofstetter: Sie wissen alles. Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen.
C. Bertelsmann, München 2014
352 Seiten, 19,99 Euro

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