Sachbuch

Festungen im Verborgenen

Ein Team des "Berliner Unterwelten"-Vereins bei der Erkundungstour eines Bunkers im Berliner Volkspark Friedrichshain.
Ein Team des "Berliner Unterwelten"-Vereins bei der Erkundungstour eines Bunkers im Berliner Volkspark Friedrichshain. © picture-alliance/ dpa/dpaweb
Von Wolfgang Schneider · 16.01.2014
Bunker sind extreme Bauwerke für ebenso extreme Situationen. Das üppig bebilderte Buch von Christian Welzacher erkundet die NS-Bunker im Atlantik und untersucht die Verstrickungen von Architektur und Krieg.
In den Spuren von Paul Virilio und dessen "Bunker-Archäologie" betreibt der Kunsthistoriker Christian Welzbacher die fröhliche Wissenschaft des Bunkers. Am Anfang steht eine architekturgeschichtliche Wallfahrt zu zwei Monumentalbauten der Moderne, den massiven Beton-Kirchen von Le Corbusier in Ronchamp und von Claude Parent in Ste-Bernadette: Metaphysik des Bunkers. Auch die nationalsozialistischen Atlantikbunker erscheinen als "rätselhafte Betonaltäre errichtet im Angesicht des leeren Meereshorizonts".
Wie eine Kirche weist der Bunker ungeachtet seiner Verkapselung über sich hinaus. Er ist die Projektionsfläche eines kommenden Krieges – oder wirkungsvollstes Mahnmal eines vergangenen. Stärker als andere Gebäude gewährt der Bunker eine Zeiterfahrung: Vorahnung oder Vergangenheitsgrusel.
Der Bunker als Schutzraum erscheint zunächst als Zusammenführung der beiden anthropologisch grundlegenden Behausungstypen "Höhle" und "Hütte" sowie als vollgültige moderne Synthese von Material (Beton), Form und Funktion, die bei genauerem Hinsehen jedoch brüchig wird. In seiner Form ist der Bunker als Tarngebäude oft ein Chamäleon, das sich der jeweiligen Umgebung anpasst.
Die Politik der Verbunkerung
Vor allem führt Welzbacher Argumente gegen die Zweckmäßigkeit von Bunkeranlagen an: Immer wieder wurden die Befestigungen von der Gegenseite einfach ignoriert beziehungsweise umgangen, immer wieder wurden die, die drinnen saßen, buchstäblich ausgehungert, oder der Bunker wurde ihnen zur Todesfalle wie bei vielen Luftangriffen des Zweiten Weltkriegs. Welzbacher zielt auf eine Pointe ab: Die "grundsätzliche Ineffizienz" der Bunker. Ihre Bedeutung müsse deshalb in etwas anderem liegen als ihrem Zweck: "Sie sind Kunstwerke." Nun ja.
Auch dieses Buch will ein Kunstwerk sein: ein Essay, der keineswegs in Beton gegossen ist, sondern leichthändig mit Formen spielt und als Gespräch (auch per Mail oder Skype) zwischen mehreren internationalen Bunker-Experten inszeniert ist. Es gibt Ortsbegehungen und architekturgeschichtliche Reflexionen, es geht um die Psychologie und die Politik der Verbunkerung, es gibt ein reich bebildertes "Vademecum" für Bunker-Aufenthalte. Bunker-Analogien und Bunker-Metaphern wird reichlich stattgegeben, in einer autobiographischen Reminiszenz firmiert gar die mütterliche "Fruchtblase" als erste Bunker-Erfahrung. Den Bunker als inneres Erlebnis vermitteln Erzählungen, etwa die von einem Mann, der bei Angriffen im Schutzraum Glücksräusche empfindet: Prosa des Makabren.
Ein Leitmotiv ist die Verstrickung von Architektur und Krieg. Fast lässt sich von Komplizenschaft sprechen: Der Krieg ist ein guter Auftraggeber und liefert den Architekten neue Arbeitsbrachen. Scharoun pries die "mechanische Auflockerung" der Stadt durch den Bombenkrieg. Offiziell wurde beim Städtebau der Moderne das Glück der Menschen in lichtvollen Räumen ins Feld geführt. Den aufgelockerten Stadtsystemen nach 1945, den Abstandskorridoren und Grünflächen zwischen den Großblocks ist jedoch die Erfahrung des Bombenkriegs eingeschrieben: die Feuerstürme, deren Voraussetzung die dichte Bauweise der alten Stadtkerne war.
Angereichert mit den Fotoarbeiten von Stefan Thiess, bietet "Bunker" eine gedanklich anregende, facettenreiche, zugleich launige und verspielt selbstreferentielle Lektüre. Ein paar matte Kalauer und schwach legitimierte Abschweifungen abgerechnet.

Christian Welzbacher: Bunker. Expeditionen zum Nullpunkt der Moderne
Mit Fotoarbeiten von Stefan Kiess
Matthes & Seitz, Berlin 2014
188 Seiten, 22,90 Euro

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