Sachbuch

Enthüllungen ohne Ende

Demokratie-Aktivisten der Organisation Campact demonstrieren im Juli 2013 vor dem Bundeskanzleramt in Berlin für den Ex-US-Geheimdienstler Edward Snowden.
Demokratie-Aktivisten der Organisation Campact demonstrieren im Juli 2013 vor dem Bundeskanzleramt in Berlin für den Ex-US-Geheimdienstler Edward Snowden. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Vera Linß · 31.03.2014
Marcel Rosenbach und Holger Stark gehören zu den wenigen Journalisten, die bei der Auswertung von Edward Snowdens Unterlagen mitmachen dürfen. Ihre vielen Zahlen und Detais ermüden zwar manchmal. Trotzdem ist ihr Beitrag extrem wichtig.
Das Buch beginnt wie ein Thriller: Überraschend begegnet man Edward Snowden in Genf. Von hier aus reist er – getarnt als UNO-Mitarbeiter – drei Jahre lang für die CIA durch Europa, installiert "Software" und schirmt US-Präsident Bush beim Nato-Gipfel 2008 in Bukarest ab.
Man erfährt, dass der blasse, zerbrechlich wirkende junge Mann wenig später den Geheimdienst verlässt, zwar aus gesundheitlichen Gründen, aber schon mit Zweifeln behaftet, weil er mitbekommt, wie die CIA Aussagen von einem Schweizer Bankier erpresst.
Zurück in den USA, wird es noch fast fünf Jahre dauern, bis aus dem Skeptiker der Whistleblower wird. Erst als Snowden – inzwischen in NSA-Diensten – auf ein Dokument stößt, das die maßlose Ausweitung der geheimdienstlichen Überwachung nach "9/11" belegt, beginnt der IT-Spezialist, Schritt für Schritt seine Enthüllungen zu planen.
Das alles hat das Zeug zu einem Agentenkrimi und genauso packend schildern Marcel Rosenbach und Holger Stark die Wandlung des heute 30-jährigen Snowden, der schließlich im Mai 2013 seinen Wohnort Hawaii in Richtung Hongkong verlässt und unzählige geheime NSA-Dokumente an Journalisten weitergibt.
Zahlen, Statistiken, Vorgänge
An diesem Punkt im Buch möchte man gern tiefer eintauchen und wünscht sich weitere Geschichten etwa darüber, was sich nach dem 6. Juni letzten Jahres in Politik und Geheimdienst abspielte, als der britische "Guardian" zum ersten Mal von den "NSA-Files" berichtet hat. Vor allem aber wird die Neugier darauf geweckt, welche Anekdoten sich aus den 1,77 Millionen geleakten Dokumenten selbst erzählen lassen. Doch Fehlanzeige. Stattdessen jede Menge Zahlen, Statistiken, Vorgänge.
Sicher ist dies der Sprengkraft des Materials geschuldet, das außerdem zu aktuell ist, als dass es schon jetzt für Geschichten reif sein könnte. Rosenbach und Stark gehören zu den wenigen Journalisten weltweit, die bei der Auswertung der von Snowden beschafften Unterlagen mitmachen dürfen.
All die vielen trockenen Fakten lassen sich aber eben nur schwer in eine publikumsfreundliche Dramaturgie übersetzen. Und das ermüdet beim Lesen zeitweilig – leider. Denn wichtig ist auf jeden Fall, was die beiden "Spiegel"-Journalisten in ihrer aufwendigen Recherche sehr gut strukturiert aufbereitet haben.
Beschleunigung der Diskussion
All das, was unter dem Stichwort "NSA-Affäre" seit einem dreiviertel Jahr diskutiert wird, erhält man hier noch einmal in geballter Form zusammengefasst. Das ist einzigartig! Aber auch unbekannte Fakten liefern die Autoren. Zum Beispiel den Auszug aus einem NSA-Dokument, das Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Datenbank hochrangiger Überwachungsziele aufführt. Ein Tabubruch, der dem US-Präsidenten noch nicht mal eine Entschuldigung wert war. Überraschend auch: Der Bündnispartner Deutschland wird durch die NSA im selben Maße überwacht wie die Erzfeinde China oder Irak.
Wie dringend sich die Demokratie gegen diese grenzenlose Überwachung zu Wehr setzen muss, wird durch das Buch nochmals deutlich. Zwar können Stark und Rosenbach keine neuen Ideen zu dieser Debatte beitragen, aber sie helfen, die Diskussion deutlich zu beschleunigen.

Marcel Rosenbach und Holger Stark: "Der NSA-Komplex. Edward Snowden und der Weg in die totale Überwachung"
DVA, München 2014,
384 Seiten, 19,99 Euro

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