Sachbuch "Die Kunst der Benennung"

Anarchistische Kreativität

Von Susanne Billig · 19.05.2015
Apus apus, Pteropus vampyrus, Tyrannosaurus rex: Jede Kennung in der Tier-und Pflanzenwelt ist zweiteilig. Michael Ohl inszeniert dieses Thema in seinem Buch "Die Kunst der Benennung" mit Witz und linguistischen Betrachtungen.
Apus apus, Pteropus vampyrus, Tyrannosaurus rex - seit der schwedische Naturforscher Carl von Linné im 18. Jahrhundert die binäre Nomenklatur für Pflanzen- und Tierarten einführte, wird jedes Geschöpf ordentlich mit einer zweiteiligen Kennzeichnung versehen - eine immense Herausforderung, wie der Biologe und Wissenschaftshistoriker Michael Ohl in seinem intelligenten Buch "Die Kunst der Benennung" erzählt.
Der Autor erkundet die Welt der zoologischen Systematik, beleuchtet die ausgefuchsten Regelwerke ihrer Nomenklatur und die vielen Späße, zu denen sich Forscher bei der Namensgebung verleiten lassen. Zum Beispiel: nicht existierende Arten benennen. "Rhinogradentia", Nasenschreitlinge, heißt eine gänzlich fiktive Ordnung von Säugetieren, die ein deutscher Zoologieprofessor ersann, samt Dutzend lateinischer Namen und einem 80-seitigen Standardwerk, erschienen in mehreren Sprachen und zahlreichen Auflagen.
Witz, linguistische Betrachtungen, Evolutionsbiologie - abwechslungsreich und mit viel guter Laune inszeniert Michael Ohl sein ausgefallenes Thema. Zur Kurzweil tragen vor allem die Fundstücke aus der Wissenschaftsgeschichte bei, etwa die Sache mit Adolf Hitler und der Fledermaus: Die Deutsche Gesellschaft für Säugetierkunde wollte das Tier im Jahre 1942 in "Fleder" umbenennen, schließlich ist die Fledermaus keine Maus. Daraufhin drohte Martin Bormann, Adolf Hitlers rechte Hand, den Biologen schriftlich mit Arbeitslager und russischer Front. Der Führer wünsche keine Umbenennung - die Säugetierkundler zogen sich weise aus dem Unterfangen zurück.
Um den Schwund der Arten geht es in dem Buch kaum
Populärnamen für Tiere bilden sich ohnehin nach Volkes Lust und Laune. Aber auch in der Systematik gilt mittlerweile: Sofern eine Kennzeichnung den gültigen Nomenklatur- und Deklinationsregeln entspricht, bleibt sie für alle Zeiten gültig, ob biologischer Unsinn oder nicht. Schließlich erwartet von einem Herrn Fischer auch niemand, dass er Fische fängt - Namen sind eben keine inhaltlichen Beschreibungen, sondern ein verbaler Zugriff, erklärt Michael Ohl.
Artensammler nutzen die Freiheit der Namensgebung seitdem mit anarchistischer Kreativität: "Phaeostigma mammaphilia" heißt eine Kamelhalsfliege - die Brust, auf der das Tier sich gerne niederließ, gehörte der mit dem Forscher reisenden Gattin. Der ausgestorbene Saurier "Elvisaurus" trug einen Stirnfortsatz, der an die Haartolle des King of Rock'n Roll erinnern soll, und die Spinne "Heteropoda zuviele" soll das Problem der Überbevölkerung brandmarken.
Zu viele von den einen, die anderen sterben aus - den Schwund der Arten erwähnt das Buch leider kaum. Schon bald wird ja von all dem Kreuchen und Fleuchen nur noch das übrig sein, was die hübschen Schwarzweißfotos des Buches zeigen - leblose Hüllen mit Etiketten auf der verschrumpelten Haut.
Namen ohne Ende, aber für wilde Tiere keine Lebensräume mehr. Ist das nicht die Schattenseite der Kultur des Zugreifens, Entlebendigens und Einsortierens in die Schubladen menschlichen Bedarfs? Schade, dass der Autor diesen Umstand nicht reflektiert.

Michael Ohl: Die Kunst der Benennung
Matthes & Seitz, Berlin 2015
317 Seiten, 29,90 Euro

Mehr zum Thema