Sachbuch

Die Huldigung der eigenen Person

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Der französische Schriftsteller und Philosoph Michel Onfray © picture-alliance/ dpa / La Presse Scavolini
Von Carsten Hueck · 17.06.2014
Beau Brummel gilt als der erste Dandy und wurde europaweit berühmt. Über diese Legende hat jetzt der Philosoph Michel Onfray ein Buch geschrieben: ein Versuch einer Konstruktion über das Dandytum.
Junge Leute, die durch extravagante Kleidung und manieriertes Gehabe auf sich aufmerksam machen, bezeichnet man gerne als Geck oder Stutzer. Während diese beiden Vokabeln mit einer gewissen Herablassung gebraucht werden, spricht aus ihrem britischen Pendant "Dandy" Faszination. Der Dandy hielt bereits Mitte des 18. Jahrhunderts Einzug in die Kulturgeschichte.
Ursprünglich war er ein Mann, der sich - im Gegensatz zur französischen Hofkultur - zwar geschmackvoll und sauber, aber schlicht zu kleiden wusste. Der keine Perücke trug und seine Wangen nicht puderte. Bald aber bezeichnete Dandy einen Typus, der sich - vor dem Heraufziehen des industriellen Zeitalters - durch das Bewusstsein eigener Exklusivität, verfeinerte Lebensart, extravagantes Auftreten und die Kultivierung von Witz und Bonmots auszeichnete.
Als sein Prototyp gilt der 1778 in London geborene "Beau" Brummel. Ihm widmet der französische Philosoph Michel Onfray einen kleinen Aufsatz, in dessen erster Hälfte er die reale Persönlichkeit und ihre Lebensumstände schildert, um dann in der zweiten zu untersuchen, wieso ausgerechnet diese Person zur Schlüsselfigur des Dandytums werden konnte.
Zwanzig Jahre, so Onfray, sei Brummel ein Star der mondänen englischen Gesellschaft gewesen, danach aber mindestens ebenso lang ein Gescheiterter, der seine Heimat verließ und schließlich auf der Flucht vor seinen Gläubigern, gezeichnet von der Syphilis, sein Leben in einem französischen Irrenhaus beendete.
Am Beginn von Brummels Karriere stand der Wille, bedeutsam zu sein. Der Eton-Absolvent und spätere Offizier eines Husarenregiments lancierte neue Moden, Kleidung und Haartracht. Schlagfertig warf er anderen schlechten Geschmack, Blasiertheit und Oberflächlichkeit vor. Er wurde so zum Liebling des Prinzregenten, des späteren Georges IV. Doch er litt, das unterstreicht Onfray, an einem gerüttelt Maß Selbstüberschätzung. Denn sein Einfluss auf die feine Gesellschaft bestand nur durch des Monarchen Wohlwollen.
Konstruktion eines Mythos
Als Brummel eines Tages glaubte, sich einem Befehl des Königs wiedersetzen zu können, wurde der Trendsetter zur Persona non grata. 1816 floh er nach Calais, versuchte, seinen Lebensstil fortzusetzen, doch mit dem höfischen Resonanzraum hatte er seine Sprache verloren. Statt in Gleichmut übte er sich nun in Rachsucht, mokierte sich über die Fettleibigkeit seines einstigen Gönners und verhielt sich unhöflich und betrügerisch. Dass diese letztlich jämmerliche Person zur Galionsfigur einer Ethik der Eleganz, des guten Geschmacks und der Individualität wurde, verdankt sich einem literarischen Konstrukt.
Der Schriftsteller Jules Barbey d'Aurevilly brachte vier Jahre nach Brummels Tod sein Buch "Über das Dandytum" heraus. Der extravagante Antidemokrat und Modernekritiker tat so, als habe er Brummel gekannt. Er legte den Grundstein für eine Theorie des Dandyismus. Bei Barbey d'Aurevilly wird der Dandy zum Konzept, zu einem Typus, der sich von "einer Gesellschaft voller Falschheit" absetzt. Baudelaire entwickelte diesen Mythos bald darauf weiter, für ihn verkörpert der Dandy die Huldigung der eigenen Person, das Bewahren einer seltenen und wertvollen Individualität.
Onfray beschreibt detailliert und schlüssig die Konstruktion eines Mythos. Nicht ersichtlich wird allerdings, warum sich der Leser heute mit diesem auseinandersetzen sollte. Für den Verlag ausgewählt hat diesen Text der Modeschöpfer Karl Lagerfeldt. Ah - jetzt wissen wir's!

Michel Onfray: Leben und Tod eines Dandys. Die Konstruktion eines Mythos
Aus dem Französischen von Stephanie Singh
Steidl Verlag, Göttingen 2014
80 Seiten 14,80 Euro