Sachbuch

Der Mann, der alles wissen wollte

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Eine Illustration von Athanasius Kircher über die chinesische Methode des Mono-Print. © imago / United Archives
Von Günther Wessel · 17.02.2015
Wenn im Barock jemand den Titel eines Universalgelehrten beanspruchen konnte, dann war es der Jesuit Athanasius Kircher. 40 dickleibige Bücher zeugen von seiner Wissbegierde. John Glassie hat ihm eine höchst vergnügliche Biografie gewidmet.
Die wichtigsten Fakten über Athanasius Kircher sind schnell erzählt: Er wurde 1602 in der thüringischen Kleinstadt Geisa geboren, war Jesuit, lebte, lehrte und forschte ab 1633 in Rom, wo er auch 1680 starb. Der Ertrag seines wissenschaftlichen Lebens: 40 dickleibige Bücher und zeitweise großer Ruhm, der allerdings noch zu Lebzeiten verblasste, weil sich René Descartes' Urteil durchsetzte: Kircher sei "eher ein Scharlatan als ein Gelehrter".
Doch stimmt das? Sind Kirchers Werke, wie John Glassie einen Historiker von 1906 zitiert, "bezüglich ihrer Zahl, ihres Volumens und ihrer Nutzlosigkeit auf dem gesamten Gebiet des Wissens unübertroffen"? Glassie antwortet mit einem klaren Jein. Ihn fasziniert sein Held, dessen Neugierde auf die Welt und sein Mut, den Dingen auf den Grund zu gehen. Unter großem Einsatz: Er lässt sich in den rauchenden Krater des Vesuv abseilen, um seine Theorie von Flüssen und Meeren im Erdinneren zu beweisen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse mischen sich mit hanebüchenem Schwachsinn
Der Jesuit ist Teil einer entstehenden Wissensgesellschaft im 17. Jahrhundert, Zentrum eines Netzwerkes von korrespondierenden Wissenschaftlern. Schritt für Schritt ersetzen diese den Glauben durch rationales Denken und experimentelle Methoden. Nur mitunter sind ihre Schritte zu kurz, führen in falsche Richtungen, und so mischen sich bei Kircher wissenschaftliche Erkenntnisse mit hanebüchenem Schwachsinn.
Er identifiziert unter dem Mikroskop die Krankheitserreger der Pest, hält aber an der Theorie der Ur- oder Spontanzeugung fest, die besagt, dass Lebewesen aus unbelebter Materie entstehen können. Oder auch am Magnetismus, den er für die letztgültige Kraft hält – Pflanzen würden wachsen, weil sie der magnetischen Kraft der Sonne unterlägen, Arzneien würden wirken, weil sie anzögen, was ihrer Natur ähnlich sei.
John Glassie durchschaut seinen Helden, der früh vom Glauben an seine eigene Genialität durchdrungen war. Typisch ist Kirchers Behauptung, er könne ägyptische Hieroglyphen entziffern – man glaubte ihm begeistert, weil man hoffte, dass sich darin alte Weisheiten finden. Doch seine Übersetzungen sind am Ende komplette Hirngespinste.
Solche Großspurigkeit fiel dann doch schon zu Kirchers Lebzeiten auf. Auch deswegen hat seine (pseudo-)wissenschaftliche Arbeit kaum Spuren hinterlassen. Trotzdem zeigt sein Lebenslauf vorzüglich, wie sich Wissenschaft entwickelt hat. Schon deswegen ist es schön, dass ein Mondkrater nach Kirchner benannt wurde, Jules Vernes ihn in dem Buch "Reise zum Mittelpunkt der Erde" in Gestalt des Hamburger Professor Otto Lidenbrok wiederauferstehen ließ und dass es nun diese flott, mitunter auch spöttisch geschriebene Biografie gibt. Denn Athanasius Kircher, der Mann, der alles wissen wollte, sollte einfach nicht vergessen werden.

John Glassie: Der letzte Mann, der alles wusste
Das Leben des exzentrischen Genies Athanasius Kircher
Aus dem Englischen von Barbara Kleinschmidt
Berlin Verlag, Berlin 2014
352 Seiten, 24,99 Euro

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