Sacha Batthyany: "Und was hat das mit mir zu tun?"

Ein Kriegsenkel auf der Suche nach sich selbst

In der Gedenkstätte Kreuzstadl in Rechnitz im Burgenland wird an die 180 ermordeten Juden erinnert.
In der Gedenkstätte Kreuzstadl in Rechnitz im Burgenland wird an die 180 ermordeten Juden erinnert. © picture alliance / dpa / Bundesheer/Peter Lechner
Von Stefan Mesch · 23.02.2016
Kurz vor Kriegsende feierte Gräfin Margit von Batthyány-Thyssen im Burgenland ein Fest mit der örtlichen Waffen-SS. In derselben Nacht wurden 180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen. Sacha Batthyany, Schweizer Journalist und Enkel von Margits Schwester, geht seinem Erbe schonungslos nach.
Das Massaker scheint aufgearbeitet: Mit Anfang 30, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee in Ungarn, feiert Gräfin Margit von Batthyány-Thyssen auf Schloss Rechnitz im Burgenland ein Fest mit Angehörigen der örtlichen Waffen-SS. In der selben Nacht werden 180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen und in einem bis heute nicht entdeckten Massengrab verscharrt.
Die Gräfin beginnt ein neues Leben in der Schweiz, als Pferdezüchterin und Sportschützin. Ob sie persönlich Ende März 1945 auf Menschen schoss, konnte bisher nicht belegt werden. Elfriede Jelinek zeigt sie 2008 im Drama "Rechnitz (Der Würgeengel)" als dekadente Schützin auf Menschenjagd. Schon 2007 schrieb Sacha Batthyany, Schweizer Journalist und Enkel von Margits Schwester, in der "Süddeutschen Zeitung" über Geld, Schuld, Abhängigkeiten und nie gestellte Fragen in drei Generationen.
"Und was hat das mit mir zu tun?" fragt Batthyany neun Jahre später in einem 250 Seiten langen, sehr persönlichen Report: Er reist ins Burgenland, nach Südamerika und Russland, zitiert ausgiebig aus Tagebüchern, befragt Verwandte, beginnt eine Psychoanalyse. Erschoss Tante Margit, verstorben 1989, jüdische Zwangsarbeiter? Oder teilte sie bloß die Gewehre aus? Fallen solche Abstufungen ins Gewicht? Für wen: für die Nachkommen und ihre Familien? Für die Opfer? Für uns alle?
Batthyany sah die Millionärin nur bei seltenen Besuchen, erlebte sie als kühle, etwas morbide Randfigur. "Das Geld hat euch stumm gemacht", wirft er seinem Vater vor, "Tante Margit hat bezahlt, und deshalb hatte sie die Macht. Sie entschied, worüber man spricht – und worüber eben nicht. Tante Margit hatte euch alle in der Hand."

Batthyany kreist um Lebenslügen und Hässlichkeiten

Kurz nach Jelineks Stück beklagten sich zwei andere Batthyany-Neffen in der österreichischen Presse über Zuspitzungen, Spekulationen und Jelineks künstlerische Freiheiten: ein larmoyanter, ehrenpusseliger Text, der betonen will, dass der Hergang des Massakers nicht zweifelsfrei rekonstruiert wurde.
Sacha Batthyanys Bericht geht einen anderen, produktiveren Weg: Wie lebte die Großmutter damit, ihrer reichen Schwester dankbar sein zu müssen? Was bereut sie selbst, als Tochter eines Schlossherren? Ihr Mann saß zehn Jahre lang in einem sibirischen Gulag. Erklärt das, warum Sachas Kommunikation mit den Eltern bis heute oft scheitert? Österreich, Ungarn, Deutschland, die Schweiz: Staaten und Menschen, die bewältigen oder vergessen wollen, und Batthyany dabei auf unterschiedliche Arten immer neu abstoßen, irritieren, erschrecken.
"Und was hat das mit mir zu tun?" stellt schlichte, offensichtliche, nur scheinbar überholte Fragen: Im Versuch, sich selbst aus den Versäumnissen seiner Familie heraus zu verstehen, verheddert sich Batthyany in mitunter absurden Spekulationen, persönlichen Vorurteilen, Ängsten. Er schreibt naiv und zugänglich, sehr offen, mutig. Manchmal auch peinlich sentimental.
Batthyanys Nabelschau, Therapie-Bericht hätte schnell ein weiteres eitles Grusel-Buch über den vermeintlichen Glamour des NS-Regimes werden können: ein Autor mit Adelstitel, fasziniert von den Tätern. Eine Familie, die mit den Großen tanzte. Und mordete? Stattdessen aber kreist er ohne falsche Gewissheiten um Schwachstellen, Lebenslügen, Hässlichkeiten – auch die eigenen. Einmal ohrfeigt er sein Kind. Einmal schüttelt er den Vater. An allen Ecken und Enden fehlt hier Souveränität. Zum Glück: Oft werden Bücher klüger, je weniger sie zu wissen vorgeben. Batthyany scheitert an fast jeder Frage. Ein großer Gewinn!

Sacha Batthyany: Und was hat das mit mir zu tun?
Ein Verbrechen im März 1945. Die Geschichte meiner Familie
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016
256 Seiten, 19,99 Euro

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