Russland

Wladimir Putin ist kein Peter der Große

Putin-Plakat bei einer Demonstration in Berlin.
Putin-Plakat bei einer Demonstration in Berlin. © picture alliance / AP Images / Gero Breloer
Von Sylke Tempel · 24.04.2014
Wladimir Putin will eine konservative Revolution, die sich als Antipode zu Europa inszeniert, meint die Journalistin Sylke Tempel. Die Modernisierungspartnerschaft mit Europa ist für sie gescheitert - und das ist eine Tragödie für Russland.
Der preußische Offizier war nur aus einem Grund nach Konstantinopel geladen worden. Helmuth Graf von Moltke sollte die marode Armee des Osmanischen Reichs modernisieren. Zutiefst beeinflusst von den liberalen Reformen im Preußen seiner Zeit, wurde er aber in den Jahren seines Aufenthalts in der Türkei von 1835 bis 1839 zum feinsinnigen und empathischen Beobachters eines Reichs, das geradezu verzweifelt versuchte, das Geheimnis des Fortschritts im Europa der beginnenden Moderne zu entschlüsseln – und womöglich zu übernehmen. Eines Reichs, das ihn durchaus an einen anderen Nachbarn Europas erinnerte.
Wer werde es wohl eher schaffen zu modernisieren, schrieb Moltke an seine Frau. Konstantinopel oder St. Petersburg? Nur um sogleich zu antworten: In Konstantinopel herrsche ein Rat der Religionsgelehrten, der weniger weise denn abergläubisch sei. In Petersburg aber habe man schneller begriffen, was Modernisierung bedeute. Um es mit heutigen Begriffen auszudrücken: Peter der Große hatte eine umfassende Modernisierungspartnerschaft mit Europa gepflegt.
Um oder mit Europa?
Russland ist eine große europäische Kulturnation. Es hat viele der wichtigsten Schriftsteller, Maler und Komponisten hervorgebracht. Fast 200 Jahre nach den Beobachtungen des alten Moltke ist jedoch immer noch nicht geklärt, ob es UM oder MIT Europa ringen will.
Im Konflikt um die Annexion der Halbinsel Krim geht es selbstverständlich auch um eine politische Zeitenwende. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich ein Land in Europa – auch mit Hilfe militärischer Mittel - einen Teil eines anderen souveränen Landes einverleibt. Vor allem aber geht es um das, was Russland sein will. Oder besser: das was es nach dem Willen Putins nicht sein darf. So wie Europa.
Die große ideologische Leere, die nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Sowjetunion und den wilden Über-Kapitalismus-Jahren unter Boris Jelzin entstand, versucht Wladimir Putin mit einem neuen Projekt, mit neuem Inhalt zu füllen. Er will eine konservative Revolution, die sich als Antipode zu Europa inszeniert.
Der Konflikt um die Ukraine war kein Resultat einer zu forsch betriebenen Ost-Erweiterung der NATO. Putin fürchtet die NATO nicht – er fürchtet die Demonstranten vom Maidan. Weil sie Europa nicht für einen Hort der Dekadenz, sondern für eine Hoffnung auf Rechtsstaatlichkeit auch in ihrem eigenen Land halten.
Wenn in der Ukraine, diesem Russland kulturell so nahen Land, so viele Bürger so ausdauernd und so unerschrocken auf die Straße gehen, weil sie endlich ein Ende der Korruption wollen – dann könnte dies auch in Russland geschehen.
Modernisierungspartnerschaft ist gescheitert
Die Modernisierungspartnerschaft mit Russland, die Außenminister Steinmeier noch vor nicht allzu langer Zeit verteidigte, ist vorerst wohl gescheitert. Man wird sich andere Partner als Putin - nämlich in der russischen Zivilgesellschaft – dafür suchen müssen. Putin, dessen politische Karriere in St. Petersburg begann, ist kein Peter und schon gar nicht groß. Er ist ein Anti-Peter.
Er umgibt sich nicht mit Menschen, die darüber nachdenken wollen, wie man das Projekt der westlichen Moderne, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, auch für Russland adaptieren könnte. Er umgibt sich mit der alten Schar von Getreuen, die nur in Rastern von schwarz und weiß denken können.
Für all jene Russen, die wie so viele Ukrainer auf die Möglichkeit hoffen, sich frei in einer offenen, korruptionsfreien, nicht von Ex-KGB-Leuten und Oligarchen regierten Gesellschaft entfalten zu dürfen, ist seine konservative Revolution nicht nur einer der vielen Rückschläge im Ringen Russlands mit und um Europa. Es ist eine Tragödie im hier und heute.
Sylke Tempel
Sylke Tempel© Marco Limberg
Sylke Tempel, Jahrgang 1963, studierte Politologie, Geschichte und Judaistik, bevor sie für verschiedene Zeitungen als Korrespondentin aus dem Nahen Osten berichtete. Derzeit ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik" in Berlin, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird. Zuletzt hat sie zwei Bücher geschrieben: "Israel – eine durch ein altes neues Land" (2008) und "Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert" (2010), beide im Rowohlt Verlag erschienen.
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