Russland

Warum Putin plötzlich Gnade zeigt

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Wladimir Putin hat den Kremlkritiker Michail Chodorkowski begnadigt. © picture alliance / dpa
Moderation: Liane von Billerbeck · 20.12.2013
Michail Chodorkowski ist frei - und die Musikerinnen von Pusy Riot sollen es bald sein. Warum begnadigt Russlands Präsident seine Gegner? Der Dichter Alexander Delphinov hat dafür eine Erklärung.
Liane von Billerbeck: Geradezu beiläufig und wie aus dem Handgelenk kündigte Wladimir Putin gestern nach einer Pressekonferenz die Begnadigung des seit zehn Jahren inhaftierten Oligarchen Michail Chodorkowski und die Amnestierung der Musikerinnen von Pussy Riot an, so als bedeute das gar nicht so viel. Chodorkowski hat das Lager inzwischen verlassen und soll auf dem Weg nach Deutschland sein.
Wie die Opposition diese Entscheidungen Putins wertet, das ist mein Thema im Gespräch mit dem in Berlin lebenden russischen Lyriker und Journalisten Alexander Delphinov. Er ist Jahrgang 1971, hat Anfang der 90er an der Künstlerbewegung "Der weiße Fluss" teilgenommen, die Häuser am Moskauer Trubnaya-Platz besetzte, hat eine Reggaeband gegründet, die in Russland Kult ist, das Projekt Vysokaja Kultura – zu Deutsch: Hochkultur – begründet und auch am Berliner Poesiefestival teilgenommen. Alexander Delphinov, ich grüße Sie!
Alexander Delphinov: Guten Tag!
von Billerbeck: Den lange als Putins Hauptfeind geltenden einstigen Yukos-Eigentümer Michail Chodorkowski begnadigt und die Amnestie der Musikerinnen von der Punkband Pussy Riot angekündigt: Was sagt das über Wladimir Putin?
Delphinov: Ich glaube, dass diese Taten seine Stärke unterstützen sollten. Das heißt, nur Putin darf entscheiden, wer begnadigt wird, wer freigelassen werden kann. Es scheint so zu sein, dass alle diese Protestwellen in den letzten zwei Jahren eigentlich nur einfach so da waren, jetzt entscheidet der Herr selbst. Und weil er jetzt gute Laune hat oder noch aus irgendeinem Grund, hat er solch eine Entscheidung getroffen. Trotzdem ist die Situation relativ unberechenbar ist, weil sowohl Michail Chodorkowski als auch die Pussy-Riot-Mitglieder Leute sind, die auch selbst unberechenbar agieren können. Wie es auf diese Situation wirken wird, werden wir später sehen, jetzt kann man das noch nicht sagen, obwohl jetzt alle spekulieren, klar. Alle versuchen jetzt zu verstehen, warum es dazu gekommen ist, genau. Im Fall Chodorkowski, weil – diese spezielle Einzelheit ist sehr wichtig –, um begnadigt zu werden sollte er ein Gnadengesuch stellen. Und das bedeutet theoretisch, dass er sich als schuldig bekennt.
von Billerbeck: Es gibt unglaublich viele Spekulationen, heute wurde auch die russische Zeitung „Kommersant“ zitiert, die behauptete, er wäre von Geheimdienstmitarbeitern besucht worden, die hätten ihm vom Gesundheitszustand seiner Mutter berichtet und dass er ja wohl keinen dritten Prozess will, oder hatten angedeutet, dass es einen dritten Prozess geben könnte. Es ist ja mehr oder weniger subtil Druck auf ihn ausgeübt worden, oder?
Delphinov: Das ist schon möglich, über seine Mutter hat auch Putin gesprochen. Wichtig ist auch, dass selbst Chodorkowski in den letzten Jahren mehrmals betont hat, dass er sich nicht mehr in die Politik einmischen will, auch wenn er wieder frei ist. Wir können jetzt wirklich nur spekulieren, ob da ein neues Abkommen zwischen Putin und Chodorkowski ist, wie zum Beispiel (…) aus London schreibt, ein ehemaliges Yukos-Verwaltungsmitglied. Es kann schon sein, dass Chodorkowski jetzt zu seiner Mutter darf, als Gegenleistung darf er nicht in die Politik gehen. Ob er doch in die Politik geht oder nicht, das ist jetzt sehr wichtig zu verstehen. Chodorkowski ist kein Anführer der Opposition, die Opposition hat auch keinen Anführer in diesem Sinne.
von Billerbeck: Das hätte ich Sie jetzt als Nächstes gefragt, was man in der Opposition eigentlich heute von Chodorkowski hält. Ist das einer von Ihnen oder einfach nur ein anderer Oligarch? Er war ja schließlich mal der reichste Mann Russlands.
Delphinov: Die Opposition ist gespalten, die Meinungen sind absolut verschieden, kontrovers. Sogar die Feinde von Chodorkowski aus den Oppositionsreihen, zum Beispiel Linke, auch diese haben Respekt vor ihm, das muss man sagen. Für mich selbst ist er oder war er vor einiger Zeit klar vielleicht der Einzige, der …
von Billerbeck: … Putin die Stirn geboten hat.
Delphinov: Ja, wer kann als Präsidentschaftskandidat von unserer Seite dann kommen, wer? Er. Obwohl ich kein Fan von ihm bin, würde ich es auch so sagen, vor einiger Zeit. Jetzt nicht mehr, jetzt weiß ich nicht, jetzt ist die Situation viel schwieriger geworden, viel bunter und alle diskutieren auch. Ich würde schon sagen, dass er von linker Seite wieder als ein Oligarch eingeschätzt wird, und alles, was dazugehört, ein Kapitalist, der vielleicht Mut hat, aber trotzdem ein Kapitalist bleibt. Von der rechten Seite ist er auch ein Feind. Also, das heißt, man kann nicht sagen, dass die Opposition in Russland politisch wie kulturell sich einigt, und auch im Fall Chodorkowski einigt sie sich nicht.
von Billerbeck: Der Zeitpunkt dieser Entscheidungen, hat der damit zu tun, dass beispielsweise Obama und Gauck angekündigt haben, den Olympischen Spielen in Sotschi fernzubleiben?
Delphinov: Ich würde schon sagen, dass die Olympischen Spiele jetzt auch hier eine Rolle spielen. Putin zeigt sich jetzt wie eine liberale Autorität. Es scheint so zu sein, als ob er indirekt sagt, kommt doch, kommt doch bitte. Wir haben 60 Milliarden Dollar schon für unser schönes Gebäude ausgegeben, wir wollen euch alle einladen, um da zu feiern, im Winter, in dem einzigen Gebiet Russlands, wo auch im Winter Plustemperatur ist, da haben wir die Winterspiele organisiert! Okay. Nach den Spielen kann es zu neuen Repressionen kommen, wir wissen schon, dass ein Prozess gegen Udalzow und seine Mitstreiter gestartet werden sollte. Udalzow ist ein linker Oppositioneller, der unter Hausarrest sitzt, da gibt es keine Amnestie, keine Begnadigung. Wir wissen, dass auch zwei junge Männer aus dem Bolotnaja-Fall jetzt amnestiert wurden, aber mehrere andere bleiben in Haft oder unter Hausarrest.
von Billerbeck: Also, es ist sehr willkürlich, wie Putin agiert?
Delphinov: Ja. Das heißt, er spielt mit großen Figuren wie Chodorkowski und Pussy Riot, alle kennen diese Leute, auch im Westen. Deswegen ist es auch ein Zeichen in der Öffentlichkeit. Und die Namen von den Bolotnaja-Häftlingen, die jetzt auch amnestiert wurden …
von Billerbeck: Die kennt niemand.
Delphinov: Die kennt niemand, die werden auch kaum erwähnt jetzt.
von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, nach der Begnadigung von Michail Chodorkowski und der angekündigten Amnestie für die Musikerinnen von Pussy Riot spreche ich mit dem in Berlin lebenden Dichter Alexander Delphinov über die Lage in Russland und die Folgen dieser Entscheidung. Sie kennen die Aktivistinnen von Pussy Riot. Wie schaut denn nun deren Umfeld auf diese anstehende Freilassung?
Delphinov: Ich kenne sie wirklich ein bisschen, ich kenne auch ein bisschen die Umgebung. Ich gehöre selbst zu der kunstaktivistischen Szene sozusagen. Und genauso wie im Fall Chodorkowski sind auch in diesem Fall jetzt die Leute sehr verschiedener Meinungen. Einige sagen, die sollten jetzt diese Amnestie ablehnen und weiter in Haft bleiben, so werden sie als Kämpferinnen stärker. Andere sagen, wir freuen uns, die sind endlich raus. Das heißt, wir haben etwas gemacht in diesen Jahren und endlich hat es Wirkung. Vielleicht sind nicht alle frei, aber einige schon, es ist schon ein guter Anlass, um weiterzuarbeiten.
von Billerbeck: Nun waren diese jungen Frauen, diese Musikerinnen, im Straflager, man hat sie dort bestimmt nicht zimperlich behandelt. Haben die die Kraft zum Weitermachen?
Delphinov: Ich glaube, schon. Weil, die haben sich so gezeigt, auch im Lager, auch davor. Ich weiß nicht, ob Pussy Riot als Projekt weiterhin entwickelt wird oder ob sie jetzt was anderes machen. Als Pussy-Riot-Mitglieder waren sie anonym, jetzt wissen wir die Namen, jetzt kann es nicht so gehen wie früher. Es gibt auch Leute, die sich sehr viel radikaler äußern als früher. Es gibt so eine Art Theorie der kleinen Taten, wir sollen auf kleine Taten uns konzentrieren, wir sollen nicht große Demos organisieren, wir sollen, ich weiß nicht, Wohltätigkeitsprojekte unterstützen.
von Billerbeck: Was denken Sie?
Delphinov: Ich weiß nicht. Ich habe an einigen Aktionen teilgenommen und ich überlege jetzt auch, wie es weitergehen sollte. Ich würde mal sagen, ich mache jetzt eine kurze Pause und verarbeite die Situation in meinem Kopf, das sollte noch etwas dauern. Ich bin weiterhin im Kontakt mit den Kollegen, aber ich glaube, dass es mit allen Sachen gleichzeitig weitergehen kann. Ich glaube nicht, dass es in Russland, in Moskau zu einer Situation kommen kann ähnlich wie in Kiew, aber ich glaube schon, dass es trotz all dieser Niederlagegefühle, trotz all dieser depressiven Stimmungen wir uns strukturieren können und dass wir die Lage in Russland politisch wie kulturell besser machen können.
von Billerbeck: Das sagt der in Berlin lebende russische Dichter und Journalist Alexander Delphinov. Herzlichen Dank!
Delphinov: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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