Russland verschärft Versammlungsrecht

Von Gesine Dornblüth · 06.06.2012
Die Verschärfung des Versammlungsrechts, die die Abgeordneten der Regierungspartei Einiges Russland gestern gegen den Widerstand der Opposition durchgesetzt haben und der der russische Föderationsrat heute bereits zugestimmt hat, ist vielleicht der größte Rückschritt für die Demokratie in Russland seit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion.
Bis zu einem Polizeistaat ist es nun nicht mehr weit, da hat die Opposition völlig recht. Die Regierung hatte die schärferen Maßnahmen propagandistisch intensiv vorbereitet. Wann immer in den vergangenen Wochen irgendwo auf der Welt Polizisten mit Knüppeln, Wasserwerfern oder Tränengas gegen Demonstranten vorgingen, zeigte das staatliche russische Fernsehen diese Bilder unkommentiert. Die Botschaft: Seht her, anderswo schlägt die Polizei auch zu.

Parallel dazu deutet die Regierung die Ereignisse der letzten großen Protestkundgebung Anfang Mai dreist um. Die Sicherheitskräfte hatten damals den Demonstrationszug der Opposition gestoppt. Daraufhin gingen einzelne Provokateure auf die Polizei los. Diese löste die Kundgebung auf und nahm hunderte Demonstranten fest. Das staatlich gelenkte Fernsehen spricht nun von "Massenunruhen".

Die Vertreter von Einiges Russland behaupten, es gehe ihnen um die Sicherheit. Sie verweisen auf das Demonstrationsrecht in einigen europäischen Ländern und den USA. Dort gibt es sogar Gefängnisstrafen für Verstöße gegen das Versammlungsrecht. Aber diese Vergleiche sind verlogen. Denn in den genannten Ländern funktioniert die unabhängige Justiz - in Russland nicht.
Auf dem Papier ist richtig, was die Befürworter der Gesetzesreform um Präsident Putin einwenden: Die Geldstrafen von umgerechnet mehreren tausend Euro drohen nur dann, wenn eine Versammlung ausartet und Personen oder Sachen beschädigt werden.

Aber wer soll in der Praxis entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Schaden eingetreten ist? Ob ein Rasen von Demonstranten herunter getrampelt wurde oder vorher schon kaputt war? Oder ob ein Anwohner geschädigt wurde, weil die Menschenmenge ihn daran hinderte, rechtzeitig seinen Hauseingang zu betreten? In einem demokratischen Staat entscheiden unabhängige Richter über so etwas. Die russischen Richter sind aber nicht nur käuflich, sondern auch noch chronisch überlastet. Das neue Gesetz öffnet deshalb Tür und Tor für staatliche Willkür.

Trotzdem sollte man den Kopf nicht in den Sand stecken. Da ist zunächst einmal mal die parlamentarische Opposition. Lange hat sie die Entscheidungen von Einiges Russland einfach abgenickt. Das ist jetzt offenbar vorbei. Sicher werden aus den alten Herren an der Spitze der Opposition, aus Zjuganow, Schirinowskij, Mironow, keine echten Demokraten mehr. Aber es gibt auch noch die Entwicklungen außerhalb des Parlamentes und außerhalb der Parteien.

Sie ist umso wichtiger. In Moskau entsteht eine Bewegung. Sie erkämpft sich Freiräume und schafft Gegenöffentlichkeiten. Gut möglich, dass diese Bewegung durch den überzogenen Druck des Staates noch Zulauf bekommt. Dann hätte sich die Regierung mit dem neuen Gesetz einen Bärendienst erwiesen.
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