Russland

Großmachtgehabe keimt wieder auf

Präsident Wladimir Putin vor einer russischen Flagge.
Gesicht des neoimperialistischen Kurses: Präsident Wladimir Putin © Ria Novosti / AFP / Aleksey Nikolsky
Von Thomas Franke · 22.10.2014
Russlands Großmachtanspruch fußt darauf, dass viele Menschen Russland und die Sowjetunion gleichsetzen. Dabei gehört das Land nicht mehr zu den G8-Staaten und seine Währung ist im Sturzflug. Ein Blick auf den schwierigen Abschied von alter Größe.
Russlands Staatsfernsehen am Sonntagabend. Der Moderator und Senderchef Dmitri Kisseljow doziert: Umfragen zufolge hielten die Amerikaner Putin für einen stärkeren Führer als Obama. Und dann kommt es:
"Russland ist das einzige Land der Welt, das real fähig ist, die USA in radioaktiven Staub zu verwandeln."
Kisseljow ist Direktor des der staatlichen internationalen Propagandaagentur Rossija Sewodnja, Russland heute. Und Kisseljow verehrt Putin:
"Man kann Putin als Politiker nur mit einem seiner Vorgänger aus dem 20. Jahrhundert vergleichen: Mit Stalin."
So viel Selbstbewusstsein ist neu und mit der Präsidentschaft Putins verbunden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war Russland als Sorgenfall gestartet. Katastrophale Armut, in den ersten Jahren Hunger und Lebensmittelknappheit. Parallel gab es ausufernden Mafiakapitalismus. Die Gesellschaft zerfiel und mit ihr die Identifikation mit dem neuen Russland: Woran sollte man anknüpfen? Die Sowjetunion erschien alles andere als ruhmreich, die Monarchie war 70 Jahre lang verteufelt worden, die orthodoxe Kirche ebenso.
Putin förderte die Kirche und verklärte die Sowjetunion
Michail Ratgaus ist Chefredakteur des unabhängigen Debattenportals Colta. Er beobachtet das wieder aufkeimende Großmachtgehabe Russlands mit Sorge.
"Es geht jetzt darum, dass die symbolischen Werte wieder wichtiger sind als die materiellen."
Dafür trat Vladimir Putin 2000 als Präsident an: Das Land wieder groß zu machen. Er förderte die Kirche, verklärte die Sowjetunion, stoppte die Aufklärung über die stalinistischen Verbrechen und rehabilitierte die Zarenfamilie. Stalin wird zum genialen Manager und Befreier Europas vom Faschismus. Wer das offen kritisiert, gilt als Vaterlandsverräter. Ratgaus:
"Das ist eben sehr heikel. Ich meine, das war ja bei den Nazis genauso. (...) Im bestimmten Sinne, ja. Es ging um die Wirtschaft, aber eigentlich, es ging auch um die Zurückkehr des nationalen Stolzes usw. (...) Das ist ja auch ganz neu, dass sehr viele Intellektuelle auch sehr bereit sind, diese Rhetorik auch zu unterstützen."
Russland fand mit westlicher Hilfe einen Ausweg aus der Krise der 90er Jahre. Dazu kam der steigende Ölpreis. Wirtschaft und Währung wurden stabiler, vielen Menschen ging es besser. Russland wurde unterstützt und im Kreis der Großmächte partnerschaftlich willkommen geheißen.
Doch die Aufnahme in den Kreis der Mächtigsten war von viel gutem Willen und dem Glauben an eine partnerschaftliche Zukunft geprägt. Das ist vielen Russen zu Kopf gestiegen, allen voran Vladimir Schirinowski, dem Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei Russlands, immerhin die drittstärkste Kraft im Parlament.
"Es gibt nur einen Ausweg: die Position des russischen Staatschefs. Was er entscheidet, das passiert. (...) Der Schlüssel zum Frieden auf der Erde liegt im Kreml. Nur im Büro des russischen Staatschefs. So war es vor hundert Jahren, so wird es immer sein."
Der Sturz eines Lenindenkmals in Charkiw, Ukraine. Die Sowjetunion hat solche Denkmäler überall in ihrem Einflussbereich errichten lassen.
Hermetisch geschlossenes Geschichtsbild
In den Ländern, die sich Richtung Europa orientierten, sind die Denkmäler unbeliebt, gerade bei jungen Leuten. In Russland ist das vielen unvorstellbar. In Russland dominiert ein weitgehend hermetisch geschlossenes Geschichtsbild. Und das ist resistent gegenüber Fakten. Der Zweite Weltkrieg beginnt mit dem Überfall auf die Sowjetunion 1941, nicht mit dem Angriff Deutschlands auf Polen 1939. Der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt, der den Zweiten Weltkrieg erst ermöglicht hat, ist weitgehend unbekannt. Russland sieht sich als Nachfolger der Sowjetunion. Die Sowjetunion, beziehungsweise Russland, gelten als Befreier Europas vom Faschismus.
An dieser Stelle setzt eine von vielen unterschätzte Gefahr an. Den Menschen in Russland wird systematisch eingebläut, dass sie nun an der Reihe sind, Europa noch einmal vom Faschismus zu befreien. Faschismus wird nun, jenseits von jeder Logik, gleichgesetzt mit Liberalismus, Demokratie, Homosexualität.
Der "Westen", die offenen, freien Gesellschaften Europas und Amerikas, werden als Bedrohung empfunden. Und, das darf man nicht vergessen: Russland ist Atommacht. Russland ist zwar ökonomisch eine Regionalmacht und hat durch die Sanktionen arge Probleme, wirtschaftlich das Niveau zu halten, und eigentlich keine Ressourcen, einen Krieg zu führen. Die Erfolge durch die Annexion der Krim und im Krieg in der Ostukraine aber geben dem Größenwahn gefährliches Kraftfutter.