Russland

"Die Menschen sind revolutionsmüde"

Der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Besuch im indischen Neu-Delhi
Putin habe ein System aufgebaut, das ganz auf ihn ausgerichtet sei, meint Meister. © dpa / picture alliance / Michael Klimentyev
Stefan Meister im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 12.12.2014
Der Osteuropa-Experte Stefan Meister ist davon überzeugt, dass sich die Menschen in Russland in naher Zukunft nicht gegen Präsident Wladimir Putin erheben. Kurz- bis mittelfristig halte er eine solche Revolution für absurd.
Wahrscheinlicher sei ein Machtwechsel innerhalb des Regimes, so der Experte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er widersprach damit einer These des russischen Ökonomen Konstantin Sonin, der sein Land in einem ähnlich schlechten Zustand sieht wie 1991. Der Lebensstandard in Russland sei noch immer hoch.
Es gebe Unterschiede zur Sowjetunion. Putin habe ein System aufgebaut, das ganz auf ihn ausgerichtet sei; er habe den Sicherheitsapparat unter Kontrolle. Niemand zweifle im Moment seine Machtposition an. Die Menschen seien auch "irgendwie revolutionsmüde". Gleichwohl beobachtet Meister wachsende Repressionen gegen die Zivilgesellschaft, die Opposition, Medien und Internetaktivisten: "Es ist auch eine Vorbereitung des Apparates für möglicherweise mehr Demonstrationen gegen das System, aber auch gegen ökonomische Verschlechterung."
Das Regime zieht im Moment nicht die Bremse
Denn dass sich die wirtschaftliche Lage Russlands weiter verschlechtern werde, steht für Meister außer Zweifel. Zumal Russland eine "Isolationspolitik" betreibe: "Der Konflikt mit dem Westen ist zur zentralen Legitimationsressource für das System Putin geworden. Es ist eben nicht ökonomisches Wachstum, es ist eben nicht ökonomische und gesellschaftliche Modernisierung, sondern es ist ein Konflikt mit dem Westen." Auch forcierter Handel mit Indien oder China sei keine Alternative. Von dort komme kein Geld für notwendige große Investitionen in Russland. "Man fährt (... ) auf die Wand zu vonseiten des Regimes und zieht im Moment nicht die Bremse", sagte Meister.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wenn wir an Russland denken, wenn wir Russlands Präsidenten sehen, Wladimir Putin, so wie er auftritt, so wie er Politik macht, dann hat man ein Bild der Macht vor Augen, der Stärke. Ein ganz anderes Bild als das, was wir von der untergehenden Sowjetunion hatten, erst recht danach von den Jelzin-Jahren. Aber vielleicht sollten wir uns von diesem Gedanken langsam verabschieden. Russland ist heute in einer ähnlich desaströsen Lage wie 1991. Diese These kommt aus Russland selbst, vom russischen Starökonomen Konstantin Sonin, und er glaubt, dass das nicht folgenlos bleiben wird. Er erwartet eine neue Revolution. Wir machen den Thesen-Check mit Stefan Meister, Russland-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Morgen!
Stefan Meister: Guten Morgen!
Frenzel: Eine Revolution in Russland. In der Bandbreite von absurd bis plausibel, wo würden Sie diese These verorten?
Meister: Ich würde immer fragen: kurz-, mittel- oder langfristig? Und kurz- bis mittelfristig würde ich es eher als absurd abtun, so schlecht geht es Russland ökonomisch nicht. Russland ist Teil der globalen Weltwirtschaft, sie haben immer noch gefüllten Währungsfonds, der Lebensstandard ist immer noch relativ hoch, die Leute können konsumieren, die Leute können immer noch reisen.
Also, das sind auch Unterschiede zur Sowjetunion, wo ich sagen würde: kurz- bis mittelfristig eher nicht. Aber wenn wir langfristig denken, ist die ökonomische Situation natürlich so desaströs und wird sie sich auch weiter verschlimmern, dass es tatsächlich fraglich ist, ob dieses Regime dazu in der Lage sein wird, die Bedürfnisse der Bevölkerung überhaupt noch zu erfüllen.
Das System Putin legitimiert sich über den Konflikt mit dem Westen
Frenzel: Haben Sie den Eindruck, dass es in der Lage sein wird, dass da die Zeichen der Zeit erkannt werden in Russland?
Meister: Leider nein, ich habe eher das Gegenteil. Es ist der Fall, ja, wir haben eine Isolationspolitik von russischer Seite, wir haben wachsenden Konflikt, oder der Konflikt mit dem Westen ist eigentlich zur zentralen Legitimationsressource für das System Putin geworden. Es ist eben nicht ökonomisches Wachstum, es ist eben nicht ökonomische und gesellschaftliche Modernisierung, sondern es ist ein Konflikt mit dem Westen.
Es sind wachsende Repressionen auch nach innen, gegen Zivilgesellschaft, gegen Opposition, gegen Medien, Internetaktivisten, es ist auch eine Vorbereitungen letztlich des Apparates auf möglicherweise eben mehr Demonstrationen auch gegen ... ja, gegen das System, aber auch gegen ökonomische Verschlechterung. Also, ich habe eher das gegenteilige Gefühl, dass es eben in dieses ... Also, man fährt auf die schwarze ... auf die Wand zu sozusagen vonseiten des Regimes und zieht im Moment nicht die Bremse.
Frenzel: Es gibt ja offenbar den Versuch Putins und der russischen Führung, Alternativen zu suchen. Heute ist Putin in Indien. Der Blick in diese Richtung, in andere Länder, in die BRICS-Staaten, ist das eine Alternative, ist das eine Möglichkeit?
Meister: Es ist keine wirkliche Möglichkeit. Es ist natürlich schon eine Möglichkeit, bestimmte Produkte insbesondere aus dem militärindustriellen Komplex in diese Länder zu exportieren. Energie ist das, was Russland in erster Linie exportiert und das wäre dann das zweite. Aber es ist ja keine Modernisierungsoption, da kommt nicht das Geld her, nicht die großen Investitionen für Russland, in die Infrastruktur, in das Bildungssystem, in das Gesundheitssystem und dergleichen, sondern es geht letztlich darum, auch wieder in diesem Konflikt mit dem Westen eine Alternative aufzuzeigen, zu sagen, wir haben hier Alternativen, bewegt ihr euch mal.
Also, es ist alles auch dieser überideologisierte Konflikt, den wir da gerade haben. Und dann natürlich ist es der Versuch, dorthin die Produkte, die wenigen Produkte, die Russland hat und die wettbewerbsfähig sind auf dem Weltmarkt, zu verkaufen. Und das tut man aber im Moment auch zu einem schlechten Preis. Zum Beispiel Gas nach China verkauft man eben zu einem schlechteren Preis als man das in Europa tut, einfach nur um diese Option überhaupt irgendwie zu haben.
In ein bis zwei Jahren gibt es nicht mehr genug zu verteilen
Frenzel: Wenn wir noch mal auf diese Revolutionsfrage kommen, Sie sagen, das ist nicht plausibel, kurz- und mittelfristig. Langfristig, wenn wir das mal übersetzen mit Veränderung, vielleicht nicht Revolution: Wie groß ist denn der Unmut schon? Wir haben eine solche Stimme dieses Starökonomen. Macht sich da Unmut breit gegenüber der russischen Führung oder steht eigentlich auch die Elite noch zusammen?
Meister: Das ist natürlich ein kleiner Teil der Elite, den dieser Herr Sonin da repräsentiert, das ist der liberalere Teil, der zutiefst frustriert ist über die Rückkehr von Putin 2012, über diese Ideologisierung und auch diese Propaganda, die man überall hat in Russland, die Stigmatisierung jeglicher kritischer Stimmen insbesondere aus dem wirtschaftsliberalen Bereich, die einfach von Anfang an sagen, das ist der völlig falsche Weg!
Frenzel: Das sind ja inhaltliche – wenn ich da kurz einhaken darf –, das sind ja inhaltliche Argumentationen, Positionen. Aber wenn man sich die Oligarchen anschaut, wenn man sieht, die kommen nicht mehr an ihre Konten ran, ihre Kinder studieren in London und haben da immer mehr Schwierigkeiten: Könnte es sein, dass die sich gegen Putin wenden, weil sie sagen, so wie er das Land regiert, fährt er uns auch gegen die Wand?
Meister: Ich bin da im Moment skeptisch, muss ich sagen. Viele Leute gehen entweder weg, gerade Oligarchen haben die Option wegzugehen, versuchen eher im Ausland Assets zu kaufen oder haben das alles schon im Ausland. Und andere stehen im Moment auch zu Putin. Diejenigen, die noch die Vorteile haben, es gibt ja noch was zu verteilen in Russland, ja, es gibt immer noch einen Fonds, wo man auch denen ihre Kredite absichern kann und sie auch letztlich unterstützen kann. Also, im Moment passiert das noch nicht.
Es kann eben passieren, wenn es dann nicht mehr genug zu verteilen gibt. Und das, das wird, denke ich, in ein, zwei Jahren der Fall sein. Aber ich sehe im Moment nicht, dass sich diese Leute abwenden. Putin hat einfach auch ein System aufgebaut, was auf ihn ausgerichtet ist, wo er den Sicherheitsapparat unter Kontrolle hat und wo im Prinzip sich im Moment niemand gegen ihn stellt und niemand auch einfach seine Machtposition im Land erst mal anzweifelt.
Frenzel: Die Frage ist ja auch: Sollten wir uns das wünschen, eine Revolution, oder müssten wir die nicht eher sogar fürchten?
Meister: Natürlich sollten wir uns das nicht wünschen. Also, eine Destabilisierung dieses Riesenlandes in Europa wäre sicherheitspolitisch, ökonomisch, wäre das ein Desaster. Also, ein schwaches Russland ...
Frenzel: Wenn sie am Ende eine Demokratie bringt in Russland?
Meister: Bitte?
Skeptisch, ob Revolutionen die Demokratie bringen
Frenzel: Wenn sie am Ende eine Demokratie bringt in Russland, wäre das anders?
Meister: Also, ich bin halt mit den Revolutionen sehr skeptisch, ob die dann die Demokratie bringen. Und ich glaube, die Russen sind auch irgendwie revolutionsmüde. Weil, was kam dann danach sozusagen? Also, ich glaube, wir brauchen auf jeden Fall für Veränderung einen Regimewandel, ja, und wir brauchen auch gesellschaftliche Prozesse in Russland. Und wir hatten ja diese Prozesse auch bis 2012. Also, ich bin da auch nicht so pessimistisch. Es gibt natürlich Teile der Gesellschaft, die das nicht gut findet, und die wird auch wieder stärker werden können.
Aber ob das jetzt durch eine Revolution geschehen muss oder ob es nicht eben dann doch durch einen Machtwechsel geschieht, das muss man schauen. Also ... Ja, auch dieses System ist dann auch wieder relativ anpassungsfähig immer gewesen. Im Moment ist es sehr autistisch, aber es kann eben möglicherweise aus dem System heraus, aus der Elite heraus ... Es gibt ja alternative Personen, die hat Putin nur im Moment ... hört er nicht. Die gibt es ja in der Elite. Möglicherweise gibt es da an irgendeinem Punkt auch so einen Wandel. Aber ob da wirklich eine Revolution kommt, ob die Menschen dann wirklich in der Masse auf die Straße gehen und er weggeputscht wird, da bin ich im Moment sehr, sehr vorsichtig.
Frenzel: Sagt Stefan Meister, der Programmleiter für Osteuropa und Zentralasien am Robert-Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Meister: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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