Russisches Filmfestival

Keine Liebesgrüße aus Moskau

Mag es nicht, wenn in Filmen geflucht wird: Russlands Kulturminister Wladimir Medinski auf dem Moskauer Filmfestival
Mag es nicht, wenn geflucht wird: Russlands Kulturminister Wladimir Medinski auf dem Moskauer Filmfestival © dpa / picture alliance / Ekaterina Chesnokova
Von Jörg Taszman · 27.06.2015
Auch wenn man sich auf dem Filmfestival in Moskau betont international gab: Staatliche Subventionen fließen in Russland vor allem in Mainstreamproduktionen. Experimentelle Filmemacher haben es dagegen schwer.
Den wohl bedeutendsten russischen Film des Vorjahres, Andrei Zvyagintsevs "Leviathan", kann man in Moskau bereits auf DVD erwerben. Auf dem Cover prangt groß das Logo 18+, der Film darf also Minderjährigen nicht zugänglich gemacht werden. Nun finden sich im Film weder Gewalt- noch Sexszenen, dafür wird, wie das in Russland üblich ist, kräftig geflucht und mit normal gebräuchlichen Kraftwörtern nicht gegeizt. Ins Kino kam der Film in Russland nur in einer Version, mit Tonlücken. So sollen sensible Gemüter wie der selbsternannte Hüter der russischen Sprache, Kulturminister Wladimir Medinski, vor Vulgärem geschützt werden.
Seit dem 1. Juli des letzten Jahres gilt ein neues Filmgesetz, dass nicht nur den Gebrauch der Sprache überwacht, sondern auch die öffentliche Aufführung eines Films. Die junge Moskauer Produzentin Ksenia Sakharova drehte 2014 mit "Olya's Love" einen Dokumentarfilm über zwei junge LGBT-Aktivistinnen. Sie musste - wie alle Produzenten in Russland - den Film erst dem Kulturministerium vorlegen:
"Alle Filmemacher brauchen jetzt eine Aufführungslizenz, um ihren Film öffentlich zu zeigen. Egal ob in einem Filmklub, auf einem Festival oder im Kino. Dieses Dokument erhält man vom Kulturministerium. Und unser Kulturminister übt in unserem Land Zensur aus und wir haben die Aufführungserlaubnis nicht erhalten. Unser Film wurde in Moskau nur einmal im Dezember gezeigt, auf dem Art Dokfest Filmfestival, das immer noch ein relativ unabhängiges Filmfestival ist."
Staatliche Subventionen fließen in populäre Filme
Verboten wurde der Film übrigens nicht wegen seiner LGBT-Thematik, sondern weil Demonstranten im Film Putin und die offizielle Macht beschimpfen. Ksenia Sakharova würde nicht einmal auf die Idee kommen, ihre Filme dem Moskauer Filmfestival anzubieten, auch wenn sie bestätigt, dass die Selbstzensur die wohl schlimmere Form der Zensur ist. Die Auswahl der russischen Filme im Festivalprogramm reflektiert den Stand des russischen Kinos nur sehr ungenau. Staatliche Subventionen fließen verstärkt in als populär eingestufte Filme. Und zum 70. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland förderte man in erster Linie Kriegsepen wie "Die Schlacht um Sebastopol", übrigens noch als eine russisch-ukrainische Co-Produktion.
In dem durchaus sehenswerten russischen Blockbuster geht es um die junge sowjetische Scharfschützin Ljudmilla Pavlichenko. In den USA nannte man sie ehrfürchtig "Lady Death", weil sie im Zweiten Weltkrieg 187 deutsche Soldaten tötete. Sie wurde, später eine Freundin von Eleanore Roosevelt. "Die Schlacht um Sebastopol" lief beim Filmfestival nicht einmal in einem Informationsprogramm, dafür zeigte man im Wettbewerb die deutsch-russische Koproduktion "Dear Hans". Dort geht es um deutsche Ingenieure, die im Zuge des Molotov-Ribbentrop-Paktes bis 1941 als Spezialisten in der Sowjetunion arbeiteten.
Im Vorfeld befürchteten viele Zensur, weil die Zusammenarbeit der beiden Diktatoren Hitler und Stalin derzeit nicht gerne thematisiert wird. In diesem Fall bewahrheiteten sich die Zensurgerüchte nicht. Aber der Film von Alexander Mindadze ist leider eine künstlerische Katastrophe. Das politisch hochbrisante Thema wird verschenkt. Die deutschen Schauspieler wie Marc Waschke oder Birgit Minichmair agieren viel zu hysterisch und theatralisch.
Angst vor Zensur ist das größte Übel
Tatsächlich ist die Angst vor Zensur stärker als die wirklich ausgeübte Zensur, meint die in England lehrende Filmwissenschaftlerin Birgit Beumers und ausgewiesene Expertin des russischen Kinos:
"Ich glaube nicht, dass die Zensur eine große Rolle spielt. Sehr viele Medien machen da mehr daraus, als es vielleicht nötig ist. Die Filme mit den vulgären Ausdrücken, die dann im Kino und Fernsehen herausgeschnitten werden müssen, diese Filme laufen auf Festivals ohne die 'Beeps'. Ich glaube auch nicht, dass diese Form der Zensur ein Grund dafür ist, dass wir jetzt keine Experimente in der Filmindustrie mehr sehen. Ich denke, das hat Gründe, die mit der staatlichen Unterstützung von Mainstreamfilmen verbunden sind, wobei die experimentellen Filme und Filmemacher mehr im Hintergrund und Untergrund bleiben."
Was in Russland derzeit künstlerisch und inhaltlich möglich ist, bewies der sehenswerte Wettbewerbsbeitrag "Orleans", russisch Orlejan ausgesprochen. Der Film von Regisseur Alexander Proschkin jr. spielt in einer fiktiven russischen Kleinstadt im Süden. Dort dominiert ein brutaler Polizist, dem ein zynischer Arzt zu Diensten steht. Die Dialoge nehmen aktuelle antiwestliche Propaganda aufs Korn oder mokieren sich über russische Durchhalteparolen.
Den ganzen Film umweht ein heftiger Hauch von Michail Bulgakows Klassiker "Meister und Margherita". In dem lange in der Sowjetunion verbotenen Kultbuch besucht der Teufel Voland in den 30er-Jahren das stalinistische Moskau. Einer der größten, russischen Verleiher "Central Partnership", der sich übrigens nicht traute, den Hollywoodfilm "Kind 44" in Russland zu zeigen, wird "Orlejan" in die Kinos bringen. Bei der Premiere in Moskau wurde herzlich gelacht und mit Szenenapplaus nicht gespart. Mal schauen, wie Kulturminister Wladimir Medinski den Film findet. Leviathan konnte er ja so gar nicht leiden.
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