Rumänische Reise durchs 20. Jahrhundert

11.04.2008
Mittels seiner Romanheldin Zaira gibt der rumänische Autor Catalin Dorian Florescu seine Sicht auf das vergangene Jahrhundert und die Zeitläufe vor allem in Rumänien wieder. Diese Zaira kehrt mit 70 Jahren zurück aus den USA nach Rumänien, von wo sie vor den Kommunisten geflohen war.
"Die erste schwindelerregende Reise meines Lebens", so beginnt Catalin Dorian Florescus umfangreicher Roman "Zaira", "war jene durch Mutter." Wer seine Ich-Erzählerin Zaira so wie Laurence Sterne einst Tristram Shandy von der eigenen Geburt berichten lässt, der erreicht, dass man ihr gern zuhört, aber nicht alles glaubt. Eine ironische Haltung prägt den Roman, der von einem beinahe verfehlten Leben erzählt.

Zairas letzte schwindelerregende Reise hat sie mit etwa 70 Jahren aus den USA zurück in die Heimat, nach Timişoara in Rumänien geführt. Nun sitzt die Emigrantin, die die Rumänen für eine waschechte Amerikanerin halten, im Café und starrt auf das gegenüberliegende Haus, wo, wie sich bald herausstellt, die einzige Liebe ihres Lebens wohnt.

Zaira erinnert sich an die Ereignisse nach der "Reise durch Mutter", die das Gut bald wieder wegen ihres Bukarester Liebhabers verließ. Weil auch der Vater bei der Armee unabkömmlich war, wuchs Zaira bei der Tante und ihrem Sohn, Onkel Zizi, auf. Sie liebte Zizi abgöttisch, denn er wusste mit vielen Geschichten und Gestalten ihre Traurigkeit zu verscheuchen.

In vier Teilen und bis auf wenige kurze Szenen im Cafè schildert der Roman die Lebensgeschichte Zairas chronologisch. Alles, was das 20. Jahrhundert den Rumänen und nicht nur ihnen zu bieten hat, erlebt Zaira mehr oder weniger bewusst: die Nationalsozialisten, die faschistische Eiserne Garde, einen Deportationszug voller Zigeuner, die Rote Armee, die Herrschaft der Kommunisten, die Enteignung der Gutsherren, den Umzug der verarmten Familie in die Stadt.

Zaira wird eine berühmte Marionettenspielerin, wandert aber, weil die Kommunisten sie bedrohen, mit Tochter und Mann in die USA aus. Der Fluchtweg führt just 1968 über Prag, so dass die Familie miterlebt, wie Dubčeks Sozialismus mit menschlichem Antlitz von den Panzern der Bruderstaaten zertreten wird. Im Exilland USA sind dann noch die Spuren der Aufstände nach der Ermordung Martin Luther Kings zu sehen, bevor Zaira und die Ihren Zeitzeugen des Vietnamkriegs und weiterer weltbewegender Ereignisse werden.

Was sich wie die reizlose Fiktionalisierung eines zeitgeschichtlichen Nachschlagewerks anhört, wirkt, solange sich die Handlung in Rumänien zuträgt, recht überzeugend. Besonders die Kindheit mit Onkel Zizis fantasievollen Geschichten versieht Florescu mit warmen Farben.

Merklich einfallsloser wird er im nordamerikanischen Exil, und spätestens dann fällt auch auf, wie überschaubar er Zairas Leben strukturiert: Da gibt es einen Widersacher, einen Bauern, der als Kommunist jahrzehntelang gegen Zaira und ihre Gutsbesitzereltern intrigiert, es gibt das immerwährende Pech in der Liebe und das Glück am Kochtopf, dessen Produkte allzu lüsterne Männer glücklich in süßen Schlummer versetzen.

Langweilig wird dem Leser nicht, aber Kürzungen hätten dem Roman gut getan. Einige Szenen in der zweiten Hälfte wirken überflüssig, und die Dialoge sind der Last der Informationen nicht immer gewachsen.

Von Reisen zwischen der alten und der neuen Welt, zwischen Kommunismus und Kapitalismus hat Catalin Dorian Florescu auch in seinen Romanen "Wunderzeit", "Der kurze Weg nach Hause" und "Der blinde Masseur" erzählt. Sie alle verarbeiten prägende Erfahrungen des Mannes, der 1967 im rumänischen Timisoara geboren wurde und 1976 mit dem Vater nach Italien und in die USA ausreiste, um bald darauf zurückzukehren.

1982 emigrierte Florescu endgültig. Heute lebt er als Psychologe und Schriftsteller in Zürich und kehrt schreibend immer wieder in ein Rumänien der Kindheit und der Geschichten zurück.

Rezensiert von Jörg Plath

Catalin Dorian Florescu: Zaira
Roman. Verlag C.H. Beck, München 2008
478 Seiten, 19,90 Euro